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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

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Meissner, Carl: Deutsche Handwerkskunst von neuer Art auf der deutschen Kunst-Ausstellung in Dresden, [2]
DOI Artikel:
Einiges über den Städte-Bau der Zukunft, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7397#0172

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August-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 12g.

dem Aufnehmen der »Kunst des absoluten Gefühls«, der
Musik sehr günstig ist. Und trotz diesem Verzichten auf
alle sinnliche Fülle — auch in der Farbe — ist ein feiner
ästhetischer Eindruck, eine trauliche Stimmung stiller Ver-
tiefung erreicht. Im Einzelnen wäre mancherlei anzumerken.
Die aus drei schrägen übergreifenden Stützen zusammen-
gesetzten Füsse der Notenpulte wirken etwas kokett. Die
Form der Sessel um den Fenstertisch ist weder künstlerisch —
noch nach der Seite der Bequemlichkeit, die sonst überall
sehr klug berücksichtigt, völlig gelöst. Dem Notenschrank
fehlt oben eine abschliessende Leiste, die dem Auge für das
Daraufstehende eine genügende Basis gäbe. Aber der Ge-
sammteindruck ist jedenfalls mit dem Dülfer'schen Raum der
am meisten harmonische, den wir empfangen.

Damit sind wir am Ausgangspunkt. Wie viel wäre nun
noch von den kleineren Stücken zu sagen. Aber der Raum

gönnt nur noch eine Erwähnung. Neben den Poterien von
Läuger, von den Heiders und von Schmuz-Baudiss machen
sich die Töpfereien von Frau Elise Schmidt-Pecht in Konstanz
sehr sympathisch geltend. Die polirten Standuhren von
Ferdinand Morawe sind mit feinem Verständniss entworfen.
Ihre einfachen Formen ermüden das Auge nie, während aus
den Ringer'schen Wanduhren eine vielleicht allzu starke
Freude am Bildmässigen spricht. Lichtkörper von Riemer-
schmid, von Berner, von Wenig und anderen machen neue
oft recht annehmbare Vorschläge für die Lösung der
elektrischen Beleuchtungsaufgabe. Die Metallgefässe von
Steinecken und Lohr, von Elkan und von Karl Gross,
die geschmackfeinen Stickereien von Frau Margarethe
von Brauchitsch in Halle und noch manch Anderes ver-
diente aus dem reichen Material der summa summarum
vortrefflichen Ausstellung genannt zu werden.

EINIGES ÜBER PEN STÄPTE-BAU PER ZURUNFT.

Worin liegt denn eigentlich der unwiderstehliche Reiz
der mittelalterlichen Städte? Warum heimeln uns
diese alten Marktplätze, diese gewundenen Strassen mit ihren
wunderlichen Giebeln so an? Gewiss ist viel daran die
Eigenart der Häuser, ihre abwechslungsreichen Formen und
das ehrwürdige Alter Schuld; nicht zum geringsten aber
wird die Wirkung durch die beständige Begrenzung des
Gesichtsfeldes und die mannigfaltigen Abschlüsse bedingt.
Es ist das noch leichter einzusehen, wenn man den Eindruck
einer Stadtanlage des entgegengesetzten Extrems bedenkt,
einer Anlage aus der Zeit vom dreissigjährigen Kriege bis
zu diesem Jahrhundert, wie sie nach dem Muster von Versailles
überall entstanden sind. Durch die endlosen Strassen sehen
wir meist in die unbegrenzte Ferne, in der alles grau in grau
öde verschwimmt, ohne den geringsten Ruhepunkt für das
Auge zu erhaschen. Die Architektur der Häuser kommt
nirgends zur Geltung, da der Blick naturgemäss nach vorn
gerichtet ist und nur ausnahmsweise seitlich zu den Bauten
abschweift, sodass uns nur die endlose Ferne bleibt und in
uns den trostlosesten Eindruck von der Stadt hinterlässt.
Wenn wir auch die malerische Unregelmässigkeit der gewun-
denen Strassen in unserer Zeit nicht wieder hervorzuzaubern
vermögen, wenn wir auch überall grade Strassen voraussetzen
müssen, wo keine geschichtlichen Begründungen für unregel-
mässige Anlagen vorliegen, so brauchen wir uns doch die
Reize nicht entgehen zu lassen, die eine beständige Unter-
brechung der Perspektive in sich schliesst, und wir können
wohl die Fehler eines Versailles vermeiden, wenn wir überall
für einen Abschluss, einen Hintergrund im Bilde sorgen.

Betrachten wir einen mittelalterlichen Platz, so sehen
wir stets die Strassen in den Ecken einmünden und immer
so gerichtet, dass ihre Achsen nicht unverändert auf der
anderen Seite des Platzes fortgesetzt sind, dass also nie zwei
Strassen sich genau gegenüberliegen. Könnten wir daraus
nichts lernen? Warum müssen denn bei uns die Strassen
immer die Seiten des Platzes halbiren und dadurch ihre
architektonische Bedeutung vollkommen zerstören? Man
kann sich der Einsicht unmöglich verschliessen, dass die
Wirkung eines Platzes viel bedeutender ist, wenn die Seiten
in ihrer vollen Länge ungekürzt ihn umgeben, ihn so wirklich
abschliessen, eine architektonische Durchbildung ermöglichen
und ihm gewissermassen den Karakter eines geschützten
Hofes verleihen und nicht den eines erweiterten Strassen-
kreuzungspunktes. Die Architektur wird dann ringsum voll

zur Geltung kommen und es ist so ein lohnendes Feld für
künstlerische Thätigkeit geboten. Sind die Achsen der über
den Platz hinweggehenden Strassen auch nur um eine Kleinig-
keit, vielleicht kaum die Strassenbreite selbst, auf der anderen
Seite des Platzes verschoben, so ist jedes Strassenstück auf
irgend einen architektonischen Punkt orientirt, der seinem
erhöhten Werth entsprechend künstlerisch ausgezeichnet
werden wird und so der Strasse eine reizvolle Perspektive
verleiht. Aber auch an unzähligen Punkten, wo keine Plätze
vorhanden sind, ist eine künstlerische Abgrenzung des Gesichts-
feldes in den Strassen leicht zu ermöglichen, ja sie ergibt
sich eigentlich von selbst. Wenn man nämlich behauptet,
dass eine Verkehrsader gerade gelegt werden müsse, weil
die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten die Gerade
sei, so zieht man einen Scheinschluss, denn eine Verkehrs-
ader verbindet im allgemeinen nicht zwei, sondern unendlich
viele Punkte, sodass das sinngemässeste Strassensystem ein
unendlich verzweigtes Netz sein würde. Dem innersten Wesen
der Verkehrsader entspricht also eine häufige Gabelung nach
verschiedenen Richtungen, was sich in der That bei jedem
grossstädtischen Verkehr beobachten lässt. Bei jeder Gabe-
lung aber richten sich die Achsen der verschiedenen bethei-
ligten Strassenzüge auf bestimmte architektonische Punkte,
die dementsprechend betont werden können. In den meisten
Fällen ist es nicht schwer, solche Punkte durch Monumental-
bauten derart auszuzeichnen, dass alle Strassen auf diese
orientirt sind. So ist die grosse Oper in Paris der breiten
Avenue wie ein Eisbrecher vorgelagert, um den Verkehr in
zwei Seitenstrassen zu vertheilen! Ebenso geschickt liegt
St. Madeleine nach allen Seiten hin dominirend, ohne irgendwie
den Verkehr zu stören. Verunglückt ist dagegen die Anlage
der Kaiser Wilhelm-Gedächtnisskirche in Berlin, zwar nicht
ästhetisch, aber praktisch, da gerade die Hauptverkehrsader
total unterbrochen wird.

Wo also der Hauptverkehr ohne Knickpunkt geradeaus
sich fortsetzt, ist eine Unterbrechung der Perspektive durch
kompakte Bauten nur auf Kosten der Nützlichkeit zu ermög-
lichen. In solchen Fällen wird man am besten zu dem oft
schon herangezogenen Hülfsmittel greifen, isolirte, den Ver-
kehr nicht hemmende Monumentalbauten zu schaffen. Das
natürlichste würden Thore sein, die einen ästhetischen Ab-
schluss bieten, aber so angelegt sind, dass sie dem Verkehr
kein Hinderniss bereiten. Vergleichen wir hier die Thore
in München, den Are de triomphe in Paris und das Branden-
 
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