April-Heft. Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration. Seite 59.
glatt und von Schnitzereien frei sei, damit man sich beim fortgeschritten ist. Wir wollen ferner die Kunst und das
täglichen Gebrauch nicht die Wolle vom Rock scheuere. Verständniss für dieselbe in das Volk bringen. Suchen wir
Dies ist der Stuhl, wie er mir vorschwebt für Vortrags- ihm erst das Vorurtheil zu nehmen, dass der Werth eines
säle, Eisenbahnwagen, Lesezimmer, Speisesäle, Kneiptafeln etc., Stückes in seinen Verzierungen liege, und liefern wir ihm
kurz überall da, wo man im allgemeinen ohne eigene Thätigkeit einen gut konstruirten Stuhl zu demselben Preise wie heute
sich dem Zuhören, der
Unterhaltung etc. längere
Zeit hingibt, er dürfte
aber auch sonst überall
zu gebrauchen sein. Auf
einem richtig konstruirten
Stuhl muss man sitzen
wie in Abrahams Schooss,
so dass man gar nicht
mehr aufstehen möchte!
In erster Linie kommt es
darauf an, nicht schema-
tisch zu arbeiten, sondern
in jedem einzelnen Falle
zu prüfen, in welcher Weise
man durch die Konstruk-
tion der Eigenart des Ge-
brauchszweckesRechnung
tragen kann. Eine Haupt-
eigenart aber, die den Ge-
brauch überhaupt erst er-
möglicht, ist ein annehm-
barer Preis. Die modernen
Stühle werden, wie bereits
erörtert, weniger durch
das Material so sehr ver-
teuert, als durch die tech-
nischen Schwierigkeiten,
welche ihr Aufbau dem
Tischler macht. Die
meisten Stühle sind zu-
sammengekünstelt, aber
nicht konstruirt. Man kann
kühn behaupten, dass ein
Kavallerie - General eher
von heute zu morgen ein
tüchtiger General - Post-
meister wird, als dass ein
Künstler im Handum-
drehen in die Feinheiten
der Holztechnik eindringt.
Die Technik hat sich nicht
nach dem Künstler zu
richten, sondern umge-
kehrt. Jeder Student eines
technischen Faches muss
zu seiner Prüfung eine
ganz erhebliche Zeit prak-
tischer Arbeit am Schraub-
stock und Schmiedefeuer,
auf dem Bau und im Abbildung Nr. 1061. Modernes Zier-Schränkchen. Entwurf von ALFRED KUHNO—FRIEDENAU b. Berlin.
Bergwerk nachweisen, um
mit dem Material, das er
konstruktiv verarbeitet, vertraut zu werden, wie viel mehr den muschelgekrönten Allerweltsstuhl. Bieten wir dem Arbeiter
muss man dies vom Künstler verlangen! Er soll sich einmal für billiges Geld einen Stuhl, auf dem er wirklich ausruhen
an die Hobelbank stellen und seine Konstruktionen auszu- kann von der Arbeit! Aber es hat ganz den Anschein, als
führen versuchen, ich glaube, sie nähmen bald eine andere, ob es der Künstler unter seiner Würde achtet, sich mit
wesentlich einfachere Gestalt an. Wir wollen einen neuen gewöhnlichem Geräth abzugeben, überall sieht man nur kost-
Stilkarakter schaffen. Nun gut, man beachte aber, dass der bare Salon-Möbel, an Spielereien und Nippes vergeudet der
Stilkarakter jeder Zeit vom Einfachsten zum Komplizirten Künstler seine Kraft, statt mit Mühe und ehrlichem Fleiss
glatt und von Schnitzereien frei sei, damit man sich beim fortgeschritten ist. Wir wollen ferner die Kunst und das
täglichen Gebrauch nicht die Wolle vom Rock scheuere. Verständniss für dieselbe in das Volk bringen. Suchen wir
Dies ist der Stuhl, wie er mir vorschwebt für Vortrags- ihm erst das Vorurtheil zu nehmen, dass der Werth eines
säle, Eisenbahnwagen, Lesezimmer, Speisesäle, Kneiptafeln etc., Stückes in seinen Verzierungen liege, und liefern wir ihm
kurz überall da, wo man im allgemeinen ohne eigene Thätigkeit einen gut konstruirten Stuhl zu demselben Preise wie heute
sich dem Zuhören, der
Unterhaltung etc. längere
Zeit hingibt, er dürfte
aber auch sonst überall
zu gebrauchen sein. Auf
einem richtig konstruirten
Stuhl muss man sitzen
wie in Abrahams Schooss,
so dass man gar nicht
mehr aufstehen möchte!
In erster Linie kommt es
darauf an, nicht schema-
tisch zu arbeiten, sondern
in jedem einzelnen Falle
zu prüfen, in welcher Weise
man durch die Konstruk-
tion der Eigenart des Ge-
brauchszweckesRechnung
tragen kann. Eine Haupt-
eigenart aber, die den Ge-
brauch überhaupt erst er-
möglicht, ist ein annehm-
barer Preis. Die modernen
Stühle werden, wie bereits
erörtert, weniger durch
das Material so sehr ver-
teuert, als durch die tech-
nischen Schwierigkeiten,
welche ihr Aufbau dem
Tischler macht. Die
meisten Stühle sind zu-
sammengekünstelt, aber
nicht konstruirt. Man kann
kühn behaupten, dass ein
Kavallerie - General eher
von heute zu morgen ein
tüchtiger General - Post-
meister wird, als dass ein
Künstler im Handum-
drehen in die Feinheiten
der Holztechnik eindringt.
Die Technik hat sich nicht
nach dem Künstler zu
richten, sondern umge-
kehrt. Jeder Student eines
technischen Faches muss
zu seiner Prüfung eine
ganz erhebliche Zeit prak-
tischer Arbeit am Schraub-
stock und Schmiedefeuer,
auf dem Bau und im Abbildung Nr. 1061. Modernes Zier-Schränkchen. Entwurf von ALFRED KUHNO—FRIEDENAU b. Berlin.
Bergwerk nachweisen, um
mit dem Material, das er
konstruktiv verarbeitet, vertraut zu werden, wie viel mehr den muschelgekrönten Allerweltsstuhl. Bieten wir dem Arbeiter
muss man dies vom Künstler verlangen! Er soll sich einmal für billiges Geld einen Stuhl, auf dem er wirklich ausruhen
an die Hobelbank stellen und seine Konstruktionen auszu- kann von der Arbeit! Aber es hat ganz den Anschein, als
führen versuchen, ich glaube, sie nähmen bald eine andere, ob es der Künstler unter seiner Würde achtet, sich mit
wesentlich einfachere Gestalt an. Wir wollen einen neuen gewöhnlichem Geräth abzugeben, überall sieht man nur kost-
Stilkarakter schaffen. Nun gut, man beachte aber, dass der bare Salon-Möbel, an Spielereien und Nippes vergeudet der
Stilkarakter jeder Zeit vom Einfachsten zum Komplizirten Künstler seine Kraft, statt mit Mühe und ehrlichem Fleiss