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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

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Ebe, Georg: Das Historische Erbe der Architektur und die "Moderne", [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7397#0108

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Mai-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Seite 79

Abbildung Nr. 1090. Wiener Rathhaus - Keller: »Die Schwemme.« Maler HEINRICH LEFLER und Architekt JOSEF URBAN in Wien.

wenn die Schätzung des Alten bisweilen in Uebertreibung Bauernhauses, welches am längsten den Ausdruck treuherziger,
ausartet und geradezu lächerlich wird, indem sie jede, auch
die beste Wiederherstellung eines alten Monumentes als Ent-
heiligung abweist und den unbedeutendsten Brocken um
jeden Preis erhalten will, selbst entgegen den dringendsten
Verkehrsinteressen. Mystische Schauer wehen uns aus den
für die Ewigkeit gefügten Todtenwohnungen der Aegypter
und aus der düsteren Kolossalität ihrer Tempelhallen entgegen;
harmonischer Reiz lockt uns zu den heiteren Schöpfungen
der Griechen, welche es verstanden, ihre Seele in den Marmor-
block zu hauchen, und in deren Tempelbauten, wie der
Dichter sagt, Säulenschaft und Triglyphe klingt. Weniger
poetisch aber machtvoller ergreifen uns die römischen Bau-
wunder ; sie verkörpern den Stolz dieser grossen Weltbesieger,
welche zugleich eine neue Bautechnik ins Leben riefen, um
ihre kolossalen Gewölbbauten in kürzester Zeit unter Zuhülfe-
nahme ungeschulter Arbeiterschaaren vollenden zu können.
Wieder in ganz anderer Weise als alles Vorige erscheinen
uns die märchenhaften Zauberschlösser der Mauren, sie flüstern
stillverschwiegen von verklungener Liebeswonne und seeligem
Versenken in die Genüsse des Lebens. Endlich und nicht
an letzter Stelle fordern die Werke unserer eigenen Vor-
fahren nicht nur die Bewunderung, sondern auch die warme
Antheilnahme jedes für die Grösse des Vaterlandes schlagenden
Herzens heraus; wir bewundern die stolz zum Himmel
strebenden Dome, als hehre Zeugen der das Mittelalter durch-
strömenden religiösen Begeisterung; wir loben den malerischen
Sinn an den vielgestaltigen Burgbauten, deren Thürme und
Mauern den Trotz des Ritterthums athmen; wir blicken mit
Verehrung auf die öffentlichen und privaten Prachtbauten
der Städte, welche den endlich überlegenen Gewerbfleiss der
Bürger verkünden und versenken uns liebevoll in die Ein-
fachheit des mit der umgebenden Natur eng verwachsenen

altvaterischer Sitte festhält. So mag es kommen, dass die
wechselnden Bilder der Vergangenheit die ganze Seele erfüllen
und mannigfache Anregung zu neuen Thaten bieten, aber
als reinster Gewinn dieser Erinnerungen bleibt uns die tiefe
Sehnsucht nach dem einmal in seiner Art als vollendet Er-
kannten zurück.

Allerdings kann den modernen Künstler die poetische
Auffassung des Alterthums nicht weiter helfen. Was ist ihm
Hekuba ? Die nüchterne überlegende Betrachtung der Quellen,
aus denen er schöpfen will, ist hier mehr am Platze; sie lässt
ihn die strengen Grenzen erkennen, welche jeder historischen
Kunstepoche durch nationale Eigenart und Zeitumstände
gezogen sind; sie zeigt ihm, dass mit dem Untergange eines
Volksthums auch sein eigenthümliches Schönheitsideal unrettbar
dem Tode verfallen ist, und führt ihn zu der endlichen Ueber-
zeugung, dass gerade deshalb für die Folgezeit immer Platz
für ein neues Leben bleiben muss, das sich aus einem frisch
hinzutretenden Ideenkreise entwickelt. Die absolute Kunst
hat kein Volk besessen; sie ist in keiner Epoche zu finden,
auch nicht in der Blüthezeit der Griechen, wie man wohl
noch bis zur Mitte unseres Jahrhunderts in einigen Kreisen
behauptet hat.

Wir dürfen es getrost aussprechen: die ganze Formen-
welt der altorientalischen Kunstepochen, der ägyptischen,
babylonischen, assyrischen und phönikischen, hat für die
Neueren nur noch ein rein historisches Interesse; denn ein
unmittelbarer Gewinn kann uns aus diesem, zwar die ersten
Stufen der künstlerischen Erfindung darstellenden und des-
halb ehrwürdigen, aber jetzt veralteten Kreise kaum mehr
zuwachsen. Die krystallinisch starren Formen des Aussen-
baues, der wenig entwickelte Innenbau, der oft ganz fehlende
Zusammenhang zwischen der Gestaltung des Aeusseren und
 
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