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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

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Ebe, Georg: Das Historische Erbe der Architektur und die "Moderne", [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7397#0155

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Seite 116.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitsc

hrift für Innen-Dekoration.

Juli-Heft.

Ausdruck zu gewinnen, eine Forderung, der noch keine
bedeutende Epoche ausgewichen ist und deren Erfüllung zu
den wichtigsten Lebenszwecken der Menschheit gehört, doch
darauf drängen, ihren Ausgangspunkt anders als von der
dekorativen Seite zu suchen. Es soll deswegen der Einfluss
des Kunstgewerbes und der davon abhängigen Innen-Deko-
ration auf die architektonische Stilbildung keineswegs unter-
schätzt werden; ist doch früher das Rokoko unter ähnlichen
Einflüssen des Kunstgewerbes und bezeichnender Weise nicht
ohne wesentliche Mitwirkung einer anderen ostasiatischen
Kunstweise, der chinesischen, bei uns erwachsen. Allerdings
ist das Rokoko auf diesem Wege gerade in der Gestaltung
des Aeusseren zu keiner festen Stilbildung gelangt, denn in
den Hauptformen seiner Bauten blieb immer ein abge-
schwächtes, klassizistisches Barock massgebend. In demselben
Sinne wie damals das Chinesische und noch weitergehend,
mag heute das Japanische seinen Einfluss auf die Stilbildung
üben, mindestens hat uns dasselbe schon jetzt von der akade-
mischen Schablone, von den unendlichen Palmetten- und
Akanthusmustern, von dem verschnörkelten Kartuschenwerk
und von den mythologischen figürlichen Ueberresten, den
Sphinxen, Greifen, Hippokampen und Hermen befreit, und
den Blick auf einen viel weiteren Kreis der Naturmotive
gelenkt. Ausserdem hat die neue Stilrichtung für die Aus-
stattung der Innenräume mehrfach Mittel gefunden und für
die praktische Ausführung verwendet, welche über das äusser-
lich anhängende dekorative Gebiet, über Wandteppiche, Papier-
tapeten und Malereien hinausgreifend, sich auf die konstruk-
tiven Grundformen erstrecken. Die vermehrte Anwendung
des Eisens für Decken- und Stützenbildungen kann zwar
kaum hierher gerechnet werden, denn sie gehört der seit
dem Beginn unseres Jahrhunderts ruhig fortschreitenden
typischen Entwickelung, also gewissermassen noch dem
historischen Erbe an; obgleich das unverhüllte Zeigen der
Eisenkonstruktion erst der letzten Zeit eigen ist. Auch die
Negative, welche sich in dem absichtlichen Vermeiden der
früher allzu üppig ins Kraut geschossenen Stuck-Dekorationen
des Barocks und sogar fortschreitend in dem völligen Unter-
drücken der Gesimse, Architrave, Pilaster und aufwandvollen
Kaminmäntel, wie es schon das Rokoko übte und wie es
jetzt wieder hauptsächlich von den Engländern bevorzugt
wird, geltend macht, mag nur als ein nebensächliches Symptom
erwähnt werden. Dagegen ist es schon von grösserer Bedeu-
tung, wenn beispielsweise die Holztäfelung eines Raumes in
organischer Weise als ein Gerüst aufgefasst wird, selbst wenn
die übergrossen stilisirten gemalten Pflanzenformen mit den
üblichen langen Stengeln und Wurzelgeflechten japanischer
Art in den Füllungen nicht vorhanden wären. Falls gelegent-
lich das architektonische Gerüst eines Zimmers, Sockel, Wand-
theilungen und Thüreinfassungen, aus gefugten Verblend-
ziegeln hergestellt sind, so ist das freilich wieder ein Zurück-
gehen auf mittelalterliche Vorbilder. Die bisweilen gesuchte
Einfachheit, welche in dem absichtlichen Vermeiden aller
bezeichnenden Kunstformen liegt, ist nur eine Umgehung
des gestellten Problems, keine Lösung desselben. Ueberhaupt
sollte man nicht zu freigebig mit der Ertheilung des Prädikats
»neuerfunden« umgehen; vielleicht, dass manche Vertreter der
neuen Richtung sich in allzubilliger Weise diesen Ruhm
zusprechen.

Zur Umgestaltung der Aussen - Architektur hat »die
Moderne« bisher die verhältnissmässig geringsten Beiträge
geliefert, denn der jetzt vorherrschende nationale Zug, welcher
die malerische Belebung der Silhouette, die Abwendung von
der Palazzofassade des Südens mit ihrem flachen Dache und
von den Formen des italienischen Kasinos in den Vorder-

grund stellt, kommt doch nicht auf ihre Rechnung. Wesent-
licher für die Möglichkeit des Erfolges der neuen Richtung
in der Ausbildung der Fassadensysteme erweist sich das freie
Herausgreifen und Nebeneinanderstellen der aus verschiedenen
Perioden geschöpften Stilformen, und zwar nicht allein der
antikisirenden und spätgothischen, wie dies in der Deutsch-
renaissance üblich ist, sondern auch der aus anderen Stil-
perioden geschöpften Elemente, immer vorausgesetzt, dass
dieselben besonders geeignet erscheinen, als schlagender Aus-
druck für die moderne Gedankenwelt, für die andringenden
geistigen und materiellen Bedürfnisse unserer Zeit zu dienen.
Es darf wohl als eine Annäherung zu dem erwünschten ein-
heitlichen Stil der Zukunft gelten, wenn die Schranken, welche
das Gebiet der historischen Stilarten von einander absondern,
allmählich abgeschwächt oder im günstigsten Falle ganz
beseitigt werden könnten. Gleichzeitig wird sich bei dem
stetigen Innehalten dieses Zieles die volle Ausnutzung des
historischen Erbes von selbst ergeben. Und weshalb sollte
es den Neueren nicht gelingen, sich das Beste aller Zeiten
anzueignen ohne dem Prinzip des Neuschaffens untreu zu
werden; und weshalb sollte es unmöglich sein, die Besonder-
heiten, welche dem Stilbilde einer früheren Epoche anhaften
und keineswegs das Maass der allgemeinen Entwickelung
der Typen darstellen, mit allem Veralteten abzustreifen, ohne
den Kern preiszugeben? Eine Klippe auf diesem Wege
könnte das Streben nach dem Sensationellen bilden, welches
heute mehr als je im Schwange ist. Man hat Sensations-
romane, Sensationsdramen und Sensationsbilder hervorgerufen,
weshalb sollte man nicht auch Sensationsstücke zu bauen
versuchen? Im gewaltigen Ansturm gegen den Bestand des
Alten will man um jeden Preis originell sein, und trifft damit
eine andere Achillesferse der modernen Kunst, denn absolute
Originalität kann keinem Spätgeborenen gelingen.

Es würde zu weit führen, wenn an dieser Stelle der
Versuch gemacht werden sollte, die vielen Typen der archi-
tektonischen Formenwelt nachzuweisen, welche noch heute
vorzugsweise im Stande sind, lebensvoll auf das Kunstschaffen
einzuwirken. Es mag nur im allgemeinen noch einmal darauf
hingewiesen werden, dass es die Raumkombinationen und die
Fassadensysteme sind, deren Entwickelung sicher auf den
alten Grundlagen fortschreitet, so ziemlich unbeirrt von dem
etwaigen Wechsel in der Auffassung des Details. Daher
dürfen wir nach allem Gesagten alles Heil für die Kunst der
Gegenwart einerseits von der vollständigen, innerlichen Ver-
arbeitung des durch die Kunstforschung gebotenen Materials,
die doch nun einmal erfolgen muss, andererseits von einer
unbefangenen, dem todten Regelkram abholden frischen
Schaffenskraft erwarten. Die wahre Lösung dieses Problems,
die Vereinigung der Gegensätze, wird allerdings dem schöpfe-
rischen Genie vorbehalten bleiben müssen. Glücklich der,
dem Thatkraft und Selbstgefühl die Brust schwellen und
befähigen, kräftig in die Speichen des ewig rollenden Trieb-
rades der Zeitideen einzugreifen! Georg Ebe—Berlin.

IV T/^>v'T~vT ^ Ein ausführlicher Bericht über die
l^V-^ X VZ-^>. Moderne Zimmer-Ausstattung auf der
Deutschen Kunst-Ausstellung in Dresden musste wegen
Raum-Mangels für das nächste Heft zurückgestellt werden.
Wir veröffentlichen im vorliegenden Hefte bereits eine An-
sicht des Musik-Zimmers von Richard Riemerschmid und
werden im August-Hefte eine grössere Serie hochinteressanter
Innen-Räume aus dieser überaus reichhaltigen Abtheilung
der Dresdener Ausstellung folgen lassen. DlE Redaktion
 
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