Seite 134.
Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.
September-Heft.
und Frische ihrer Erzeugnisse in P'orm, Ornament und Farbe Gediegenheit, zur Ehrlichkeit und Wahrheit und hiermit steht
wandte sie sich an diejenigen, denen sie dienen wollte. Dass der Kern unserer modernen Kunstströmung in voller Parallele
die führenden Kunst-Zeitschriften die Aufnahme-und Urtheils- 1 zu jener lebensinhaltreichen Zeit, deren Zeitgenossen mehr
fähigkeit des einzelnen heranbildeten und schärften, steht ! nach innen als nach aussen lebten — mit leisem Anflug von
ausser Frage — so ganz über Nacht ist das Verständniss ' Spott nennt man sie die Zeit der Biedermänner. Man kannte
für die neue Formen- und Farbenwelt nicht angeflogen, und, i nicht jenen Scheinluxus auf Kosten anderer, nicht jene raffi-
wenn es nicht unbescheiden klingt, möchten wir bei diesem nirte Ausartung des Lebens über das natürliche Soll-Haben
Hinweise daran erinnern, dass wir allezeit, noch bevor wir 1 hinaus, nicht jenen Tand, falschen Schein und jene protzige
von einem ausgesprochen modernen Stil reden konnten, beson- I Talmikunst und Unehrlichkeit, an denen die letzten 30 Jahre
ders aber in den letzten fünf Jahren das Feld dafür vorbereitet 1 so reich waren. Dass derartige ungesunde Zustände eine
haben. — Was bei dem bürgerlichen Hausrath ganz besonders 1 gesunde Entwickelung unmöglich machten, liegt auf der
angenehm berührt, ist die Rückkehr zur Schlichtheit und ' Hand; Halbheit und Plattheit, Schablone und Nachäffung
paradirten und der Einfluss dieser auf
Geschmack, gute Sitte und Lebensgewohn-
heiten hat gerade auf die mittleren bürger-
lichen Kreise trübe Schatten geworfen.
Die Nachahmung der alten Stilarten ist
weniger Schuld an diesen Vorgängen, denn
sie verlangte schliesslich doch mindestens
Materialechtheit und ein liebevolleres Ein-
gehen auf Einzelheiten; zur Ausartung
wurde sie erst durch wirthschaftliche Miss-
stände und Uebergriffe halbgebildeter
Klassen getrieben. Selbstverständlich soll
damit nicht alles in einen Sack gesteckt
werden; aber hier tritt ja auch nicht der
Einzelne, sondern die Masse in den Vorder-
grund, und diese hat in ihrem Bedürfnisse
nach der Bazar-Waare, nach bronzirten
Gipsfiguren, papiernen Buntfenstern und
den billigsten Berliner Möbeln, jener ver-
rufenen Schundwaare, ihren Geschmack
und ihre Stellungnahme der Kunst gegen-
über nie verleugnet.
Der illustrative Inhalt des vorliegenden
Heftes, aus lauter bisher nicht ausgeführten
Original-Entwürfen für Möbel und textile
Dekorationen für die bürgerliche Wohnung
bestehend, wendet sich nun ganz persönlich
an das Individuum, denn derartige Dinge
würden undankbare Massenartikel bilden.
Sie fallen nicht auf; ihre Schönheit und
Intimität will gefühlt werden,
unaufdringlich als Einzelstück
dienend im Rahmen eines Gan-
zen. — Mit Recht klagt einer
unserer berufensten Mitarbeiter
über den Mangel an Schnitzerei
an unseren modernen Möbeln
und damit über die Brachlegung
ganzer Industrien und vieler
geschickter Hände. Aber da-
nach fragt eine so wuchtig ein-
setzende Bewegung nicht, die
ja auf der anderen Seite auch
; wieder neuen Techniken die
Wege ebnet oder kostspieligere
Materialien verarbeitet. Die
Xylektypom - Füllungen, relie-
firte Holzmaser, Erfindung der
Firma J. Buyten & Söhne in
Düsseldorf, die die Flächen-
dekoration der Möbel in eigen-
artiger Weise bereicherte, ferner
Abbildung Nr. 1156. Zierschrank mit Büchergefachen. Entwurf von MAX HÖLZER, Mainz. die Bevorzugung kostbarerer
Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.
September-Heft.
und Frische ihrer Erzeugnisse in P'orm, Ornament und Farbe Gediegenheit, zur Ehrlichkeit und Wahrheit und hiermit steht
wandte sie sich an diejenigen, denen sie dienen wollte. Dass der Kern unserer modernen Kunstströmung in voller Parallele
die führenden Kunst-Zeitschriften die Aufnahme-und Urtheils- 1 zu jener lebensinhaltreichen Zeit, deren Zeitgenossen mehr
fähigkeit des einzelnen heranbildeten und schärften, steht ! nach innen als nach aussen lebten — mit leisem Anflug von
ausser Frage — so ganz über Nacht ist das Verständniss ' Spott nennt man sie die Zeit der Biedermänner. Man kannte
für die neue Formen- und Farbenwelt nicht angeflogen, und, i nicht jenen Scheinluxus auf Kosten anderer, nicht jene raffi-
wenn es nicht unbescheiden klingt, möchten wir bei diesem nirte Ausartung des Lebens über das natürliche Soll-Haben
Hinweise daran erinnern, dass wir allezeit, noch bevor wir 1 hinaus, nicht jenen Tand, falschen Schein und jene protzige
von einem ausgesprochen modernen Stil reden konnten, beson- I Talmikunst und Unehrlichkeit, an denen die letzten 30 Jahre
ders aber in den letzten fünf Jahren das Feld dafür vorbereitet 1 so reich waren. Dass derartige ungesunde Zustände eine
haben. — Was bei dem bürgerlichen Hausrath ganz besonders 1 gesunde Entwickelung unmöglich machten, liegt auf der
angenehm berührt, ist die Rückkehr zur Schlichtheit und ' Hand; Halbheit und Plattheit, Schablone und Nachäffung
paradirten und der Einfluss dieser auf
Geschmack, gute Sitte und Lebensgewohn-
heiten hat gerade auf die mittleren bürger-
lichen Kreise trübe Schatten geworfen.
Die Nachahmung der alten Stilarten ist
weniger Schuld an diesen Vorgängen, denn
sie verlangte schliesslich doch mindestens
Materialechtheit und ein liebevolleres Ein-
gehen auf Einzelheiten; zur Ausartung
wurde sie erst durch wirthschaftliche Miss-
stände und Uebergriffe halbgebildeter
Klassen getrieben. Selbstverständlich soll
damit nicht alles in einen Sack gesteckt
werden; aber hier tritt ja auch nicht der
Einzelne, sondern die Masse in den Vorder-
grund, und diese hat in ihrem Bedürfnisse
nach der Bazar-Waare, nach bronzirten
Gipsfiguren, papiernen Buntfenstern und
den billigsten Berliner Möbeln, jener ver-
rufenen Schundwaare, ihren Geschmack
und ihre Stellungnahme der Kunst gegen-
über nie verleugnet.
Der illustrative Inhalt des vorliegenden
Heftes, aus lauter bisher nicht ausgeführten
Original-Entwürfen für Möbel und textile
Dekorationen für die bürgerliche Wohnung
bestehend, wendet sich nun ganz persönlich
an das Individuum, denn derartige Dinge
würden undankbare Massenartikel bilden.
Sie fallen nicht auf; ihre Schönheit und
Intimität will gefühlt werden,
unaufdringlich als Einzelstück
dienend im Rahmen eines Gan-
zen. — Mit Recht klagt einer
unserer berufensten Mitarbeiter
über den Mangel an Schnitzerei
an unseren modernen Möbeln
und damit über die Brachlegung
ganzer Industrien und vieler
geschickter Hände. Aber da-
nach fragt eine so wuchtig ein-
setzende Bewegung nicht, die
ja auf der anderen Seite auch
; wieder neuen Techniken die
Wege ebnet oder kostspieligere
Materialien verarbeitet. Die
Xylektypom - Füllungen, relie-
firte Holzmaser, Erfindung der
Firma J. Buyten & Söhne in
Düsseldorf, die die Flächen-
dekoration der Möbel in eigen-
artiger Weise bereicherte, ferner
Abbildung Nr. 1156. Zierschrank mit Büchergefachen. Entwurf von MAX HÖLZER, Mainz. die Bevorzugung kostbarerer