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Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 1.1900-1901

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Kritische Rundschau
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26

Pazaitrek: Englische Einflüsse in unserem Kunstgewerbe.

England aus ihren sieghaften Zug durch
die ganze Culturwelt unternahmen. Aber
nicht nur englische Maschinen für alle
Zweige unserer Grossindustrie und Werk-
zeuge für unser Handwerk kamen über
den Canal zu uns, sondern mit diesen
auch manche kunstindustrielle oder kunst-
gewerbliche Anregung von mitunter recht
problematischem Werthe.

Und doch haben uns die Engländer
auch in sesthetischer Hinsicht eine hoch-
schätzbare Gabe überliefert, aber nicht
als Producenten, sondern als Grosshändler,
welche kostbare Elemente theils aus der
neuen, theils aus der alten Welt, zu
uns importirten. Vom freien Self-made-man
Unkle Sam brachten sie uns die nüch-
ternen, aber so überaus praktischen cons-
tructiven Gesetze und aus dem hochent-
wickelten, ostasiatischen Inselreiche Nippon
die schlichte, beziehungsinnige, naturver-
tiefte Decorationsweise. Ja, dem Amerikaner
einerseits und dem Japaner andererseits
verdanken wir es zum guten Theile, wenn
die moderne kunstgewerbliche Bewegung
eine gewisse Basis erhalten hat, eine Art
archimedischen Punkt, von dem aus die
Welt bewegt werden kann. — Die Eng-
länder haben hiebei lediglich das Verdienst,
uns die richtige Combination Amerika-
Japan zuerst übermittelt zu haben.

Das Aufsehen, welches England mit
dieser Richtung überall erregte, war —
zumal man das Recept nicht sofort merkte
— ein ungemein grosses, und als man
mehr von dieser Specialität auf dem lech-
zenden Markte verlangte, erkannte man
allmählich die Grenzen des englischen
Geschmackes, der durch Anleihen an die
nicht sonderlich glückliche altenglische
Formenwelt die erschöpften Fonds neuzu-
füllen trachtete. Auf diese Weise kamen
die schwerfälligen, altschottischen Büffets,
auf diese Weise kamen die Chippendale-
und Sheraton-Möbel, auf diese Weise
kam auch die englische Variante des
Empirestils in Mode, — lauter Elemente,
die die moderne kunstgewerbliche Be-
wegung nicht gerade wesentlich weiter
zu bringen geeignet sind. Einen wirklich
bedeutenden Vortheil hatte fast ausschlies-
lich unsere Textilindustrie, sowie die
verwandten Zweige, wie z. B. die Tapeten-
industrie, denn in der Flächenmusterung
gelang den modernen Engländern manch
glücklicher Wurf Schon in ihren Kunst-
schulen lernen die Söhne und Töchter
Albions vor allem eine tüchtige und den
verschiedenen Materialien gut angepasste
Pflanzenstilisirung, die sie mit dem grössten

Nutzen bald überall verwerthen können.
Allerdings ist gerade dieses Moment nicht
ausschliesslich speeifisch englisch, da sich
auch die andern Culturnationen in richtiger
Erkenntnis der grossen Wichtigkeit mit
Geschick auf selbstständige Stilisirungen
geeigneter Naturmotive geworfen haben.

Wohl auf keinem andern Gebiete
erkennt man die historisch beglaubigte,
geringe künstlerische Phantasie der Eng-
länder deutlicher wie in der Glasdecora-
tion. Um den unwiderleglichen Beweis
hiefür zu erlangen, braucht man nur bei-
spielsweise das grosse Werk von Albert
Hartshorne « Old englisch Glasses» (Lon-
don 1897) durchzublättern. Es gibt wohl
keine ungraziöseren und schwerfälligeren
Formen, als man sie hier, fast auf jeder Seite
antrifft. Trotzdem dereinst venetianische
Glaskünstler, wie anderwärts, auch hier
herangezogen worden waren, um die
heimische Glasindustrie zu veredlen, merkt
man den englischen Erzeugnissen keine
Spur bessernden Einschlages an, und die
Verwandten, auch nicht übermässig ge-
fälligen holländischen Gläserformen sind
dagegen noch die reinsten Patricier. —
Im Jahre 1688 kam der geniale deutsch-
böhmische Glashändler Georg Franz
Kreybich (den unbegreiflicher Weise Hart-
shorne gar nicht einmal kennt) nach Lon-
don, um, wie er uns berichtet, daselbst
zum erstenmale geschnittenes und bemaltes
Glas feilzubieten; sechs Wochen sass er
daselbst ohne ein Stück zu verkaufen,
und erst als der Hof den Anfang gemacht,
wurde der Absatz reissend und die
«Winkliers haben sich drum geschlagen
und alles gekauft». Damals waren sechs
Glashütten in London, die ein technisch
vorzügliches Glas lieferten, allerdings in
den traditionell plumpen Formen. Auch
nach der Einfuhr böhmischer Glaswaren
änderten sich die Verhältnisse dort eben-
sowenig, wie hundert Jahre früher nach
den venetianisirenden Versuchen. Dick-
wandige Kelche, gewöhnlich auf hohen,
breiten, mit einigen Luftblasen oder
Spiralfäden versehenen Stilen, gewöhnlich
nicht geschliffen, höchstens mit derbgra-
virten Sprüchen oder Blumen -— haupt-
sächlich die Rosen und Disteln Gross-
britanniens — verziert, — so sahen die
alten englischen Gläser aus und im selben
Charakter repräsentirt sich auch der
Idealentwurf von Morris, den die mo-
dernsten Engländer als ihren kunstgewerb-
lichen Apostel verehren.

Wenn jenseits des Canales solche
Principien in der Glasdecoration im Vor-
 
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