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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 5.1907

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Heft 12
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Veth, Jan: Rembrandt im Museum zu Kassel, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4704#0505

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In dem fahlen Oberlicht, auf einer blassroten
Tapete, unter einem rubensartig farbenfreudigen
Van Dyck, zwischen der bilderbuchartigen Bunt-
heit eines kuriosen Teniers und einem übrigens
schönen Ostade aufgehängt und von einem schweren
Rahmen umschlossen, kommt die Tonalität dieses
Bildes, die viel bescheidener ist als die von Rem-
brandts köstlicher kleinen Winterlandschaft im
selben Museum, nicht wirklich zu ihrem Recht.
Aber vertieft man sich hinein, so gerät man in
Staunen, welchen Reichtum die einfache Skala bietet.
Auch an dem grossen Seelendurchdringer, den die
neuere niederländische Malkunst hervorgebracht
hat, haben wir ein Beispiel von dem Fliehen aller
offenen Farbe, um dadurch in dem Totalton nur
ein reineres Ausdrucksmittel für prächtige Visionen
zu finden. Es ist blos ein anderes Instrument, auf
dem der Maler so spielt, aber vor diesem Rembrandt
fragt man sich: ist es eins von minder mächtigem
Klang?

Oder geben nicht die unendlichen Nuancie-
rungen von wonnigem Dunkel und tiefer Gold-
bronze, von braunem Ocker und zartem Bister, von
sanft glühendem Grau und roter Sepia, durch ver-
blasstem Lapis Lazuli und warmem Rot und Oliv-
grün nur eben rehaussiert und von gerösteten
Ambertönen ganz durchschmort, zusammen einen
Reichtum und eine Tiefe, vor welchen eine weitere
Farbenskala häufig weichen muss!

Das ganze Kolorit besteht schliesslich aus nichts
anderem, als aus dem guten Zusammenfügen be-
freundeter Farben, wovon Hoogstraeten spricht; aber
in dem Gedämpften, Verhaltenen liegt ein musikali-
sches Ineinanderstreichen zu so mächtigen Akkorden,
wie man sie bei den Malern der ungebundenen
Farbe kaum antreffen wird.

Man hat sich oft darüber gewundert, dass der
Mann, dessen Porträts und biblische Vorstellungen
auf einer krassen Realität basieren, in seinen ge-
malten Landschaften nicht die Wirklichkeit wieder-
giebt, wie sie unsern Augen erscheint. Aber, scheint
solche Landschaft auch zum Teil auf Konvention
zu beruhen: was thut das, wenn die Konvention
solch mächtigen Lebensatem erhielt, wenn sie zu-
gleich so dröhnend von Kraft, und doch so zart,
so sanft, so schmelzend sprechen konnte. Übrigens,
mit welchem Recht wird hier von Konvention ge-
redet, nur weil Rembrandt die Lokalfarben in den
musikalischen Totalton verschmelzen lässt, weil er
felsartige Berge, Ruinen und Cypressen im Hinter-
grunde zusammenbringt mit dem Fluss, der Brücke,

der Windmühle des Vordergrundes, weil er in
einem Bilde giebt, was weder er noch wir je bei
einander gesehen haben? Aber er schmiedet das
Auseinanderliegende zusammen in einen schwer ge-
tragenen Traum, so wie er immer das Leben von
hier und dort, von gestern und von morgen in
breitgeflügelten Rhythmen zu tieferer Deutung zu
erhöhen weiss. Die Berge waren einfach die Dünen
seiner Heimat, feierlicher ausgebaut, und ihre Sil-
houette ist schliesslich zu keinem andern Zweck
angebracht, als um seinem Himmel einen selt-
sameren Glanz zu geben. Schauderndes Gebüsch,
chaotische Wälder, herabstürzende Ströme, spukende
Ruinen, lockender Azur und klagende Wolken-
schleier sind in solchen Gemälden nicht ihrer selbst
willen da; aber ihreStimmen scheinen inRembrandts
stolzen Neuschöpfungen der Natur aufzuschreien,
zusammenzurauschen, anzuschwellen zu einem ein-
zigen prächtigenj leidenschaftlichen Orgelton.

Die Frage ist, ob nicht gerade die gemalten
Landschaften den Schlüssel zu Vielem in Rembrandts
geistigem Arbeitsprozess bieten und ob er nicht auch
sonst immer mehr im tieferen Sinne wahr als im
engeren Sinne wirklich gewesen ist: ob wir in Rem-
brandt nicht über den Anschauer hinaus noch den
Seher zu begrüssen haben.

Sind, einen Saal weiter, die wunderlichen
Architektur-Arabesken hinter seinem Porträt des
Jan Krul, oder ist im selben Saal die viel reicher ge-
gliederte Halle hinter dem unendlich viel schöneren
„ausgehenden Herren in schwarzer Seide" der wahr-
genommenen Wirklichkeit entlehnt?

War die Sphäre der Rührung, in die wir ihn
schon seine frühen Werke tauchen sahen, unmittel-
bar angeschaut oder dichterischen Ursprungs?

Bot Saskia als Braut nicht viel mehr eine mär-
chenhafte Apotheose als ein Porträt?

Ist nicht das ganze Missverständnis, das die
Nachtwache immer und immer wieder hervor-
gerufen hat, vor allem darin zu suchen, dass man
in ihr die konkrete Abbildung einer wirklichen
Handlung, anstatt einer prächtigen Vision sehen
wollte?

Konnten wir in der Holzhackerfamilie mit all
ihrer zarten Gefühlsdeutung etwas anderes finden
als die süss-beängstigende Veranschaulichung eines
symphonischen Traumbildes?

Was hat der lebensmüde Wächter, der unter
einem schweren Harnisch gebeugt und mit noch
schwererer Gedankenlast über seinen ermüdeten
Brauen so wenig soldatesk auf einen unwahrschein-

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