Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

DOI Heft:
Pichler, Louise: Der Verlobungstag (Schluß)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0173
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dcr Vcrlobungstag.
Skizze ans dem schwäbischen Familienleben
Louise Pichler.
(Schluß.)

Das Geräusch von Tritten im Sande weckte
Marie aus ihren Gedanken auf. Sic blickte empor;
cs war — uicht ein genialer, adeliger Referendar,
sondern der einfache Kanzleigchülfe Maier, der her-
beikam, um ihr zu ihrem Geburtstage Glück zu
wünschen und in zierlicher Vase ein prächtiges
Exemplar der weißen Theerose zu überbringen,
deren Besitz sie sich unlängst gewünscht hatte, da
eine solche in ihrem Flore noch fehlte.
Es war ein seltsamer Mann, dieser Maier.
Vom Oberamtmann geschäzt wegen seiner Tüchtig-
keit in allen Arbeiten, wich er sichtlich jeder ver-
traulicheren Annäherung aus, die derselbe gegen
einen Begünstigten hie und da bewies. Von sei-
nen Collegen geachtet wegen seiner wohlwollenden,
von Manchem erprobten Gesinnung, mied er doch
ihre Gesellschaft. Statt in Bier- und Weinknei-
pen Pflegte er Sonntags nach veralteter Sitte in
die Kircke zu gehen. Ja, man behauptete, daß er
nicht einmal Kartenspiel verstände. Statt dessen
konnte er mit seiner Flöte sich ganze Abende hindurch
beschäftigen, oder all' seine freien Stunden über
Büchern zubringcn, und zwar nicht einmal bei ver-
nünftigen, neuen Romanen aus der französischen
Schule mit nngeuchmen Schaucrscencn, und einem
Giftmord sammt einem paar Todtschlägereien in
jedem Bändchen, — sondern bei sogenannten Clns-
sikcrn in fremden, tobten Sprachen, deren Kennt-
nis; ihm in der wirklichen Welt gar nichts nützen
konnte und weder von den Behörden noch den
Untergebenen beachtet ward — oder etwa noch
bei veralteten Sachen von Goethe und Schiller,
die man neben einem schönen, neuen Roman gar
nicht mehr nnschen mag. Maier war ein Pfarrers-
sohn und einst selbst zum Theologen bestimmt, bis
der Tod des Vaters seinen Studien nach zweijäh-
rigem Aufenhalt im nicdern Seminar, wo er nur
als Hospes ausgenommen war, ein Ende machte,

und die Verwandten ihn als vermögenslose Waise
in einer Schreibstube unterbracht«:. Seine Er-
ziehung aus dem Lande im väterlichen Hause und
die nachher genossene wissenschaftliche Bildung hatte
seinem ohnedieß nachdenklichen Gcmüthe eine Rich-
tung gegeben, die sich, wie seine Bekannten mit
Bedauern bemerkten, nicht wieder verwischen ließ.
Dieß zeigte sich in all' seinem Betragen, seinen
Gewohnheiten, selbst in der Einrichtung seines Zim-
mers, das anstatt mit Pseifenköpfen, abgebrochenen
Rapieren, die in diesem Zustande zuweilen aus dem
Vorrath, den alte Studenten davon haben, ange-
kauft werden, verrosteten Pistolen zum Gebrauch
für die Herbstfcierlichkeiteu uud dergleichen: — nur
mit einigen Bildern und Blumen geschmückt war,
deren Pflege ihn: Liebhaberei geworden. Diese
Neigung hatte ihn in nähere Berührung mit Ma-
rien gebracht, die er nach den Verhältnissen des
Landstädtchenö täglich zu sehen Veranlassung hatte.
Marie war überrascht und herzlich gerührt von
seiner Aufmerksamkeit. Ihr Geburtstag sollte also
nicht ganz unbeachtet vorübcrgehen; es hatte Je-
mand daran gedacht, sie zu erfreuen; hatte mit einer-
zarten Aufmerksamkeit, der sie so wcuig gewöhut
war, ihre Wüusche erforscht, hatte es sogar eiuiger
Mühe werth gehalten, dieselben zu erfüllen und ihr
Freude zu machen — denn im Städtchen selbst konnte
er sicherlich die schöne Theerose nicht bekommen haben.
All' dies; that ihr so wohl; nie noch hatte eine
frisch erschlossene Blume, so sorglich sie dieselbe auf-
gezogen haben mochte, ihr so freundlich in die Seele
geblickt, wie diese Rose. Und gerade von Maier
mußte sic kommen, dessen gediegene Bildung, dessen
inneren Werth sic ungeachtet ihrer eigenen Uner-
fahrenheit ahnte, dessen Aufmerksamkeit sie mehr
in ihrer eigenen Achtung hob, als die ausgesuch-
teste Artigkeit des bcwundcrtsten jungen Aetuars,
der je aus einem Casino als Vortänzcr brilliirt!
 
Annotationen