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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Pichler, Louise: Der Verlobungstag (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0175
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einen Blick konnte sie ihre Antwort kund geben,
denn sie fühlte, daß seine Augen auf ihr ruhten,
und so oft sie die ihrigen aufschlagen wollte — es
war unmöglich!
Fest, erstaunt, und stammend hafteten indes seine
Blicke auf ihrem hochgeröthetcn, zitternden Antlitz.
Maier hatte endlich ein Asyl errungen in der
lieben ländlichen Heimath, in einem werthcnBerufe,
nachdem er Jahre hindurch die stolze Herablassung
von Oberen, denen er an Bildung sich glcichstehend
wußte, die peinigende Vertraulichkeit von Collegen,
die in derselben unter ihm standen, standhaft er-
tragen; nur häusliches Glück bedurfte er noch, um
die Stadt sammt ihren geselligen Freuden ohne Be-
dauern zu verlassen. Jenes aber konnte ihm weder
eine überbildete Städterin, noch ein allzu natur-
wüchsiges Dorfmädchen gewähren. Zu der Harmonie
eines gegenseitig genügenden Stilllebens forderte er
neben einem bildungsfähigen Sinn und weichen
Gemüthe noch einige Feinheit der Umgangsform,
die nur in gebildeter' Umgebung zur Natur wird.
In Marien hatte sein beobachtendes, tiefer blicken-
des Auge ein frommes, zartes und darum eben so
schüchternes Gemüth erkannt, einen offenen Sinn
für alles Schöne, der nur wenig verstanden und
geleitet worden war. Marie schien ihm ein Wesen,
das nach seinem Sinne sich bilden, das ihn ver-
sieben und ihm dadurch den Mangel geselligen Um-
gangs ersetzen könnte. Als besonnener, ehrenhafter
Mann aber hatte er diese Gedanken und Gefühle,
die ohnedies nie zu eiuer leidenschaftlichen Höhe
sich verstiegen hatten, sorgfältig in sich verschlossen,
so lange (.»noch keine Aussicht auf eine sichere, die
nöthigen Mittel bietende Anstellung hatte. Darum
war seine Erklärung für Marie so überraschend, so
ungeahnt. Aber auch er war überrascht.
Er hatte wohl gehofft, in Marieu'ö schüchternem,
an wenig Sonnenschein gewöhnten Gemüthe, nach
und nach durch zarte, freundliche Aufmerksamkeit
im häuslichen Vereine Zuneigung, Vertrauen wecken
zu können, nun fühlte er aus ihrem gefesselten,
zitternden Schweigen das Geständniß, daß er ge-
liebt war! — daß ihn, der Jahre lang unter dem
Menschengewühls einsam hingegangcn, ein Gemüth
verstanden und nach seinem innersten Werthe ge-
achtet hatte; gerade dieß Gemüth, das er selbst als
eine verhüllte, unbekannte Perle betrachtete. Wie
ein Heller, blitzender Strahl fiel diese Gewißheit in

sein, nur an dämmernden Schatten gewöhntes Ge-
müth und entzündete die ruhige, iuuige Neigung
zur stammenden, freudigen Liebe.
„Marie!" sprach er, und seine Stimme bebte;
auch in ihrem Herzen rührte der Klang alle bisher
stummen, ihr selbst unbewußten Saiten an. Alles
andere Bewußtsein trat zurück, sie dachte nicht mehr
daran, ihn zu erinnern, daß er als Mann im Amte
vorthcilhafter wählen könnte, daß er mit ihr außer
der unnützen Ehre, des Oberamtmanns Schwieger-
sohn zu heißen, keine weltlichen Güter zu hoffen
habe — sie zagte nicht mehr, weil ihre Eltern eine
solche Standeserniedrigung schwer nur zugcben
würden. Nie hatte ein Mund ihren Namen in
solchem Tone ausgesprochen, nie hätte sie, das
schüchterne theilnahmlose Wesen, gewußt, daß sic
solch lebhafter, schwungvoller Empfindungen fähig
sei, wie jezt sie beseelten. Halb unbewußt lag ihre
Haud in der seinigen; diese Berührung durchzuckte
ihn mit seligem Gefühle; es war das Erstemal,
daß eine Hand traulich hingcbend in die seine sich
legte; die seine, die keinen warmen Druck mehr ge-
fühlt hatte, seit Vater und Mutter ihm gestorben
waren und ihn einsam ließen in der sremden, kalten,
geräuschvollen Welt! Und ringsumher dufteten die
Blumen, jubelten die Lerchen, glühten Berge und
Wolken im lezten verschimmernden Tagcsscheine!
Da hörte man die Wagen anfahren; noch war's
frühe, man hatte sie so bald nicht erwartet. Marie
erhob sich, um ihnen entgegen zu gehen.
„Sie müssen heute noch mit dem Vater reden!"
sagte sie zu Maier, „ich möchte nicht ein Geheimnis
vor ihm im Herzen behalten!"
Er drückte zustimmend ihre Hand; sie hatte Recht,
in diesem Augenblicke hatte er Muth alleu Schwierig-
keiten entgegenzutreten, die von eingewurzelten Stan-
desvorurtheilcn gegen seine Wünsche erhoben werden
konnten. — Mit verdrießlichen Mienen schauten die
Ankommenden ihnen entgegen. Niemand nahm sich
die Mühe, Maier zu bemerken, oder nach dem Grund
seiner Anwesenheit zu fragen.
Die Fahrt war zwar ganz glücklich ausgefallen,
in sofern kein Pferd durchgegangen, kein Wagen
umgcworfen worden, kein Gewitter ausgebrochen,
kein Shawl verloren und kein Pistolen-Duell an-
gesponnen worden war.
Nur schienen die Gemüther allesammt, mochten
sie zarter oder gröber besaitet erscheinen, um einige
 
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