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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Pichler, Louise: Der Verlobungstag (Schluß)
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0176
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Töne niederer gestimmt worden zu sein, was dann
freilich nicht ohne vorübergehende Storung der
Harmonie vor sich gehen konnte.
Ein mißliches Ding ist's um solche, bis über
die Wolken hebende Stimmungen, in denen ein
Lüftchen drohend werden kann. Im vorliegenden
Falle waren's zuerst die Staubwolkeu, welche die
Gemüther auf empfindliche Weise auf ihr irdisches
Dasein zurückführten, den Toiletten der Damen ge-
fährlich, wie der Lunge des Finanzrathö, der von
einem Husten mit bedenklichen Erstickungssymptomen
befallen wurde.
Im Badeort angelangt, hatte der Finanzratl)
im Salon sich niederlassen wollen, um möglichst
schnell an dem Guten, was zu haben wäre, für die
Beschwerde der Fahrt sich schadlos zu halten. Die
jüngeren Leute aber sammt ihren Müttern hielten
einen Sitz im Grünen, mit Aussicht auf die be-
lebten Promcnadeplätze, für angemessener, und der
Obcramtmann, in Erwägung dessen, wie der blaue
Himmel und die grünen Büsche zur Erhöhung der
Gefühle beitragen würden, stimmte eifrigst damit ein.
Nun wollten die Damen nicht in der Sonne
sitzen, und der Finanzrath mußte die Zugluft meiden.
Man suchte und wählte so lange, bis die sämmt-
lichcn Sitze von andern herzuströmcndcn Gästen
eingenommen waren und man sich nach langem
Nmherwandcrn dazu verstehen mußte, in den Salon
zurückzukehren. Jndeß aber hatte auch dieser sich
angefüllt, und besondere Zimmer waren nicht zu
habeu.
Durch Barmherzigkeit ciues menschenfreundlichen
Kellners, der noch im ersten Monat seiner Dienst-
laufbahn stand, wurde ihnen ein übriggebliebcncr
Sitz ausgemittelt, der freilich keine Aussicht auf die
Promenadeplätze, sonderu nur auf einige landwirth-
schaftliche Zubehöre der Badeanstalt bot und der
Sonne ebenso gut als der Zugluft ausgesezt war.
Das verlobte Paar und die Damen hatten nicht
so viel Sinn für das Praktische des Landlebens,
um sich hier behaglich zu finden. Sie machten sich
bald auf, um in einem Spaziergang die Schönheiten
der Badeanlagen in Augenschein zu nehmen. Der
Oberamtmann hätte von Herzen gerne sich ihnen
angcschlossen, wenn nicht der Finanzrath erklärt
hätte, daß, nachdem Sonne und Zugluft ihn nicht
vermocht hatten, den schwer errungenen Sitz zu
verlassen, auch kein Brautpaar in der Welt von
O-

Hero und Leander bis zu Siegwart's und Werther's
Zeit, die des Orlanclo knrioso nicht ausgeschlossen,
dieß bewerkstelligen sollten. Dem Oberamtman lag
nun ob, ihm zur Gesellschaft zurückzublciben, und
der Finanzrath — war für's Rührende weniger
empfänglich.
Des Erstern lezte Hoffnung war nun auf die
Heimfahrt gestellt und auf das Abendroth, den
Sternenhimmel und den Vogclgesang.
Die Zeit der Heimfahrt rückte denn endlich herbei
und die Gesellschaft versammelte sich wieder, doch
schien die allgemeine Stimmung den Hoffnungen
des Oberamtmanns sich abermals ganz und gar un-
günstig gestaltet zu haben. Die Hofräthin hatte auf
der Promenade an Eleganz und Schönheit für ihre
Erwartungen zu viel, die Doctorin zu wenig ge-
sehen; Herr von Auen glaubte Grund zur Unzu-
friedenheit zu haben, weil Ida den Artigkeiten einiger
Bekannten, die sich zu ihnen gefunden hatten, zu
viel Aufmerksamkeit geschenkt — und Ida, die mit
siebzehn Jahren schon allen Triumphen der Eitelkeit
absagcn sollte, meinte mit demselben Recht ihre Em-
pfindlichkeit äußern zu dürfen. —
Die Lieutenants und Handelsbeflisscncn all, die
sie heute gesehen, waren ihr so gleichgültig, als
die Schicksale der französischen Republik, aber vom
Verlobten einen Tadel hinzunchmcn, schien ihr um
so unerträglicher, da sic früher nicht einmal von den
Eltern einen solchen je erhalten hatte. Der Finanz-
rath endlich hatte Hals- und Gliederschmerzen von
der Zugluft davou getragen, und was die Ober-
amtmännin betraf, so kostete sic's allen Aufwand
weiblicher und mütterlicher Scclcnstärke, um Allen
noch einmal zu versichern, daß sie sich außerordentlich
amüsirt hätten.
Für die zu hoffende gefühlvolle Scene waren
also die Aussichten auf's Tiefste gesunken. Zwar
fuhr das elterliche Paar in demselben Wagen mit
dem verlobten — aber das leztere schien in einer
nichts weniger als begeisterten Gemüthsstimmung
zu sein und nahm von Abcndwolken, Sternen und
singenden Vögeln nicht mehr Notiz, als wenn die-
selben nur ganz selbstberechtigt und ohne alle Be-
ziehung auf das verlobte Paar leuchteten und sängen,
oder als wenn Tausende verlobter Paare vor ihnen
schon ganz Aehnlichcs gesehen und gehört hätten,
und noch in Zukunft Aehnlichcs sehen und hören
würden. Der Obcramtmann, der jezt, zum Acnßer-

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