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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 14.1903

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193

Bücherschau

194

zu einer selbständigen künstlerischen Technik sich ent-
wickelten.

Zu den in der Anmerkung Seite 63 genannten fünf
Exemplaren eines Papierreliefs der Verkündigung lässt sich
ein sechstes mit dem Monogramm im Museum zu Lübeck
hinzufügen.

Ein dankenswertes Verzeichnis stellt am Schlüsse das
Werk des Meisters zusammen, ein ausführlicher Anhang
bringt urkundliche Belege. Karl Steinacker.

Giovanni Segantini. Sein Leben und sein Werk. Heraus-
vom k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht. Text
von Franz Servaes. Wien, Qerlach & Co. Preis geb.
K. 120 = M. 100.

Diese jüngst im Kommissionsverlage von Martin Oer-
lach in Wien erschienene grosse Monographie über den
berühmten österreichischen Maler italienischer Zunge Se-
gantini umfasst neunzehn Bogen Text biographischen und
kunstkritischen Inhalts von je acht Seiten in Querfolio, ge-
schrieben von dem Schriftsteller Dr. Franz Servaes, der
in ministeriellem Auftrage deshalb auch die benötigten
Reisen machte, und dreiundsechzig Kunsttafeln, hergestellt
von sechzehn hervorragenden Kunstanstalten und photo-
graphischen Instituten, wobei ausser der Photographie die
Heliogravüre in Farben für einfache Töne (der sogenannte
Kombinationsdruck) und Drei- und Vierfarbenautotypien
zur Anwendung kamen. Beigegeben ist mit Erwähnung
des Besitzes ein nach Möglichkeit zeitlich geordnetes Ver-
zeichnis der Ölgemälde des Meisters aus der Mailänder
Zeit (1878—1881), der Zeit in der Brianza (1881—1886),
dem Aufenthalte in Savognin (1886—1894) und der letzten
Lebenszeit in Maloja (1894 — 1899), umfassend 132 Num-
mern. Auch die Zeichnungen und Pastelle, 110 Nummern
werden aufgeführt. Nicht genug: Es folgt der Literatur-
nachweis, und zwar werden zuerst Segantini's eigene
Niederschriften, sodann die kritischen Betrachtungen zu
Lebzeiten und diejenigen nach dem Tode des Künstlers
angegeben.

Zunächst einige Worte über den Text. Schon die auf-
gezählten Beigaben des Werks, sodann die ausführliche
aktenmässige Sicherheit in der Darstellung der Lebens-
umstände stellen eine Summe von äusserer Arbeit und
unverdrossener Mühwaltung dar. Aber nun erst die
geistige Anspannung bei Beurteilung der Werke, bei ihrer
Erklärung und Würdigung, ferner die bei der inneren Kritik
geforderte, oft zunächst nur dunkel gefühlte Begriffsbe-
stimmung des Merkmals gerade dieser persönlichen Kunst,
darauf die Bestimmung der Eigenmerkmale jedes Einzel-
bildes! Nie zeigt der Verfasser zufolge seiner Beherrschung
des Stoffes die bekannte Verlegenheit, die sich durch die
Phrase zu maskieren sucht, sein Stil ist der spontane Aus-
druck seiner herzlichen Begeisterung. Hervorzuheben ist
seine Darstellung des Arguments der Bilder, die Erläute-
rung ihrer Komposition, die Darlegung des künstlerischen
Fortschritts besonders bei wiederholtem Motiv, das Eingehen
auf die besondere Maltechnik, die Würdigung der mensch-
lichen Eigenschaften des Künstlers, die ergreifende Schilde-
rung der letzten Lebensstunden desselben. Zuweilen frei-
lich wird seine Begeisterung zu heiss, so dass sie den
Leser ernüchtert, anstatt ihn mit fortzureissen. — Beispiele:
Bei der Strickerin am Zaun« empfindet er »etwas von
jener grossen brausenden unzerstörbaren Poesie, die alles
Leben, das sich in Reinheit offenbart, durchflutet«. Auf
dem »Tod« erscheint ihm die drohende Wolke »ein so be-
rauschendes Gebilde, dass er von Wonne durchdrungen,
Lobgebete leise murmelt«. Gegenüber demselben Bilde
sei es, meint er, unmöglich, sich »kleinen Schmerzgefühlen
zu überlassen, auch wenn man die ganze Menschheit weinen

sähe«. Erinnern nicht derartige Überschwenglichkeiten an
Schiller's erste dichterische Periode? Allen Ernstes be-
hauptet der Verfasser, Segantini habe einmal, unter einem
Brückenbogen kauernd, um nicht ins Wasser zu fallen,
mit einem Auge geschlafen — als ob der Schlaf eine
Funktion des Auges und nicht des Gehirns wäre! Einmal
verkündet sich die Naturliebe des Künstlers wie mit Fan-
farenstössen! Uno di piii ist mit »das Neugeborene« nicht
bezeichnend übersetzt — eine Hirtin schützt ein neuge-
borenes Lamm vor strömendem Regen — der Titel will
besagen: »Auch das noch!« oder: »Ungelegen gekommen!
Ein Überflüssiges!« Auch die Worte Segantini's: La vita
non puö avere valore che per il godimento dei sensi in-
tellettuali übersetzt Servaes gesucht, ja unrichtig mit: Nur
wo unser geistiges Wesen zur Sinnenfreude durchdringt,
kann das Leben einen Wert haben — während sie einfach
bedeuten, das Leben könne nur Wert haben durch die
Freude, die das geistige Empfinden aus der Erkenntnis ge-
währt. Die Bezeichnung der in der Berliner Nationalgalerie
befindlichen, auch in unserem Werke wiedergegebenen be-
kannten Pastellzeichnung des Meisters: La Fede, übersetzt
Servaes mit »Glaubenszuversicht« ohne einen Grund an-
geben zu können, weshalb denn nur hier eine religiöse
Beziehung vorliegen soll. Die Deutung dieser anscheinend
dunklen Benennung ist meines Erachtens folgende: Ent-
weder ist la Fede die bekannte gekürzte Koseform für den
Rufnamen Fedele, womit die eimertragende weibliche Haupt-
person des Pastells im Vordergrunde bezeichnet wird — der
Artikel la darf nicht auffallen, da ihn weibliche Taufnamen
bei Kürzungen und in Koseformen häufig erhalten — oder
la Fede heisst »die Zuversicht«, welche augenscheinlich
alle Personen der Zeichnung gegenüber dem offenen Essen-
feuer, das wir links im Hintergrunde sehen und dessen
qualmender Rauch sogar ins Freie bricht, offenbaren: hat
doch selbst die vor dem Feuer stehende Kuh eine furcht-
lose ruhige Haltung! Religiöse Empfindungen können hier
unmöglich auch nur angedeutet sein. Die niederdeutschen
Idiotismen, die der.;Verfasser seiner Diktion einreiht, wie
sabbern, däftig — sie deuten offenbar auf seine Heimat —
will ich nicht tadeln, aber doch dürfte sich mancher ge-
neigte Leser dadurch bei der Lektüre aufgehalten fühlen.
Doch genug der Bemerkungen über den Text, die sich
leicht vermehren Hessen. Noch ein Wort über die Tafeln!

Unnötig erscheint es, über die schwarzen oder ein-
farbig getönten Tafeln zu reden; vorzaubern sollen einen
Segantini die Farbenautotypien! Segantini gehört zu den
Künstlern, welche aus eigener Anschauung oder Erfindung,
möchte man sagen, die lichterzeugende Oscillation der
Atherteilchen farbig durch den »Divisionismus« (warum
das abscheuliche Wort? warum nicht lieber, wenn es denn
ein Fremdwort sein soll, Diärese oder Diathese?) wieder-
zugeben unternahmen. Der in seiner Bergwelt abge-
schiedene Meister hatte weder vorher ein Bild in dieser
Technik gesehen, noch hatte er das diese Technik er-
läuternde und befürwortende Werk des Belgiers Paul Signac
über den Franzosen Eugene Delacroix oder den Neo-
impressionismus, wie man auch die Lichtanalytik nennt,
gelesen. Segantini aber kam nicht auf Punkte oder Flecken
(auf die Fleckentechnik kamen selbst begabte Anfänger von
allein gar nicht selten), sondern setzte die ungebrochenen
Farben mit dem Spitzpinsel in kurzen Strichen diagrammatisch
auf die Breitfläche, harmonisierte sie durch Komplementär-
farben und streute, um an gewissen Stellen die Täuschung
durchleuchteter Luft zu erhöhen, sogar zerstäubte Gold-
oder Silberblätter von gewissen Nüancen in die Farben-
zwischenfurchen. Man muss nun gestehen, dass die Tafeln
unseres Werkes, welche Bilder dieser Technik wiederzu-
geben versuchen, leisten, was bei der immerhin geringen
 
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