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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0019

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Bücherschau

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mann an, daß sie aus dem früheren romanischen Lang-
naus in das gotische Münster versetzt seien. Einen etwas
unruhigen Ubergangsstil zeigen die drei frühen Chorfenster
r Kirche zu Niederhaßlach, wogegen das etwa gleich-
e'S6 Madonnenfensier im Nordkreuz des Straßburger
Munsters (nächst dem Chor) uns als eines der ältesten
*le gotischen Glasgemälde des Elsasses entgegentritt.
Daß auch in die vollgotische Zeit sich noch der edle,
reine Teppichstil der Glasmalerei herüberzuretten vermochte,
beweist das mittelste Chorfenster der Peter- und Pauls-
kirche in Weißenbnrg. Die zehn Darstellungen aus dem
neuen Testament, die hier nach stilvollen Medaillons ein-
geordnet sind, bilden zugleich die erste zusammenhängende
Erzählungsfolge, die sich in der elsässischen Glasmalerei
findet. Sie mögen gegen 1300 entstanden sein. Völlig
abgerundete künstlerische Persönlichkeiten treten uns hier
freilich erst hundert Jahre später entgegen. Einer der
ersten und bedeutendsten ist der »Meister von Niederhaß-
lach<der Maler der berühmten, reich mit Legendenbildern
ausgestatteten zehn Fenster im Schiff der Kirche von Nieder-
haßlach. Seine Bilder zeigen noch den rein deutschen,
das heißt rein oberdeutschen Stil der Zeit um 1400.
Burgundische und niederländische Einflüsse zeigen dagegen
schon die Künstler der sieben Chorfenster des Münsters
in Thann, die Bruck unter drei Meister verteilt: den
»Meister der Genesis«, den »Meister der zehn Gebote*
und den »Meister des siebenten Fensters«. Im »Meister
von 1461«, dessen Hauptwerke die drei Fenster im Chor
der Kirche zu Walburg sind, tritt uns dann schon zugleich
der Fortschritt in der realistischen Raumbehandlung, den
die Malerei um diese Zeit gemacht hatte, und der Rück-
schritt im Stil der Glasmalerei entgegen, der zum Teil mit
diesem Fortschritt zusammenhing.

Die Gesamtrichtung der elsässischen Malerei, deren
Entwickelung sich lückenlos aber nur in den erhaltenen
elsässischen Glasfenstern widerspiegelt, zeigt gerade in
diesen jene maßvolle Haltung, die gleich weit von den
dramatischen Übertreibungen der nürnbergischen wie von
der lyrischen Ruhe der kölnischen Schule entfernt ist.

Nach allem bildet Brucks Werk in der Tat nicht nur
eine bedeutsame Bereicherung der Geschichte der Glas-
malerei, sondern auch einen wertvollen Beitrag zur Ge-
samtgeschichte der deutschen Malerei. Karl Woermann.

Stedelijk Museum te Leiden. Met verklärenden Tekst
door J. C. Overvoorde en Dr. W. Martin uitgegeven te
Leiden bij Blankenberg & Co. 1902.

In Leiden war der berühmteste holländische Maler
des 16. Jahrhunderts tätig, wurde der größte holländische
Maler des 17. Jahrhunderts geboren und empfing die
Jugendanregungen. In dieser Stadt lebte sich seit 1630
etwa eine gewissenhafte und scharfblickende Malkunst
aus, mit dem Erbe wuchernd, das Rembrandt der Vater-
stadt hinterlassen hatte, da er sich zu freieren Taten nach
Amsterdam wandte. In Leiden kam Jan Steen zur Welt
und Jan van Goijen. Jan Steen, der an Geist und Erfin-
dung reicher ist als alle anderen holländischen Genremaler
zusammen, blieb mit der Heimat enger verbunden als der
Landschaftsmaler.

Die ruhmreiche Vergangenheit ist in der Stadt nicht
mehr recht lebendig — wenigstens nicht im Sichtbaren,
"n heutigen Kunstbesitze. Das holländische Bürgertum
at die Malwerke aus der großen Zeit im 18. und ig.
Jahrhundert fahren lassen. Und der Stadt Leiden gelang
Rott"1^' 'n c*em Grade wie den Städten Amsterdam,
nationafni' ^aar'em unc* dem Haag eine Reihe von
erhalte ^ ^'uns*sc'1öpfungen im öffentlichen Besitze zu
n' ^ern öffentlichen Besitze zu gewinnen, zurück-

zuerobern. Amsterdam, die reiche Handelstadt, der über-
dies als der Hauptstadt centralisierende Kräfte zu Gute
kamen, brachte eine stolze Landesgalerie zusammen.
Rotterdam bewahrte, trotz dem verhängnisvollen Brande,
eine stattliche Sammlung. Haarlem konnte mit den
glücklich erhaltenen Doelenstücken des Frans Hals das
schönste Nationaldenkmal errichten, während der Residenz-
stadt, dem Haag, als das Erbe fürstlicher Sammellust die
gewählteste Galerie holländischer Gemälde des 17. Jahr-
hunderts bewahrt blieb, die in unseren Tagen bereichert
wurde durch den Kunstsinn, die Energie und die patrio-
tische Generosität eines einzelnen. In Leiden lagen die
Umstände minder günstig, wenn auch noch glücklicher
als in Delft und in Dortrecht und in anderen holländischen
Städten, wo das Suchen nach Denkmälern fast ganz ver-
geblich ist. Was die Universitätsstadt gerettet hat, ist seit
einigen Jahren mit Pietät und Verständnis zusammen-
gestellt worden in dem stedelijk Museum. Das von dem
Leidener Archivar Dozy geplante, nach dem Tode dieses
Gelehrten von dem jetzigen Stadtarchivar Overvoorde in
Gemeinschaft mit Dr. Martin, dem zweiten Direktor der
Haager Galerie durchgeführte Unternehmen, auf das ich
die Aufmerksamkeit lenken möchte, bringt in ig Licht-
drucktafeln die Schätze aus städtischem Besitze zur An-
schauung, zumeist Gemälde, die sich durch die schwersten
Zeiten, durch Kriegsnot und wirtschaftlichen Niedergang,
auf dem Rathause erhalten hatten.

Aus dem 16. Jahrhundert besitzt die Stadt drei große
Flügelaltäre von Lucas van Leyden und von Cornelis
Engebrechtsz, damit einen ansehnlichen Teil des Gesamt-
bestandes an holländischen Werken aus dieser Zeit. Die
Altarwerke sind um so wichtiger für den Historiker, wie
ihre Geschichte bekannt ist, ihre Entstehungszeit ermittelt
werden konnte, und in Betreff der Autorschaft keine
Zweifel bestehen. In gerechter Würdigung dieser Denk-
mäler enthält unsere Publikation recht gute Lichtdrucke
von allen Bildtafeln, die wesentlich lehrreicher sind als
die bisher käuflichen photographischen Kopien. Der
Text bietet lebendige Beschreibung und alle wünschens-
werten Angaben, indem er Nutzen zieht aus den gewissen-
haften Bemühungen Franz Dülbergs, der an mehreren
Stellen über diese Werke geschrieben hat.

Von einem Bildnispaar aus der Mitte des 16. Jahr-
hunderts wird uns das Frauenporträt in guter Abbildung
gezeigt, das Porträt der Frau Margareta Ramp. Mit
dem Datum »um 1570« ist dieses Bild, wie mir scheint,
etwas zu spät angesetzt. Der sehr tüchtige Meister steht
mit seiner Art etwa zwischen Jan von Scorel und Antonis
Mor und erscheint nicht wesentlich schwächer als diese
beiden Porträtisten.

Zwei mehr interessante als befriedigende Malereien
stammen aus der Übergangszeit, aus der Wendezeit des
16. und 17. Jahrhunderts. Ein Bild von der Hand des
Leidener Isaac Claesz. van Swanenburch veranschaulicht
die Hantierungen der Spinnerei und Weberei. Die
Komposition hat eine Zufallsähnlichkeit mit Velazquez'
Spinnerinnen«. Diese Erinnerung mag gelegentlich ge-
fährlich vor dem Bilde aufsteigen. Ein kulturhistorisch
ebenso merkwürdiges Stück wie dieses Genregemälde,
ebenfalls sehr ungewöhnlich in der Aufgabe, etwas lehr-
haft, moralisierend und pathetisch ist die Darstellung einer
Hungersnot in Leiden von Pieter van Veen, ein historisches
Gemälde, 1615 gemalt, während das dargestellte Ereignis
40 Jahre zurücklag. In diesen beiden Schöpfungen kämpft
der holländische Wirklichkeitssinn mit fremden Formidealen
und Vorstellungen von fremder Monumentalität.

Von ihrem größten Sohne, der bald nach 1615 eben
diesen Zwiespalt überwand, besitzt die Stadt Leiden nichts.
 
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