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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
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Florentiner Neuigkeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0155

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Florentiner Neuigkeiten

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Maurice Denis, den ich neulich in einer deutschen
Zeitschrift mit Rembrandt verglichen sah. Ich sage
verglichen, aber in Wahrheit war die Sache so dar-
gestellt, als ob die moderne Kunst, von Rembrandt
ausgehend, ihren Höhepunkt in Denis gefunden habe.
Was soll man demgegenüber sagen? Im allgemeinen
läßt sich gegen solche Ansichten nicht streiten, in
diesem speziellen Falle aber könnte man gar wohl
ein besonderes Kapitel über die Gefahren schreiben,
die dem Kunstschriftsteller drohen, der zugleich
Kunsthändler ist. Da müßte man in der Tat kein
Mensch sein, wenn man die eigene Ware nicht für
die beste halten und demgemäß loben wollte.

KARL EUGEN SCHMIDT.

FLORENTINER NEUIGKEITEN

Während der letzten Wochen hat Corrado Ricci
seine Tätigkeit vorwiegend auf die Umgestaltung der
Galerie im Palazzo Pitti konzentriert. Durchschreitet man
die Räume, das Augenmerk vorwiegend auf diese Ände-
rungen gerichtet, so wird man mit Freuden gewahr, daß
der angestrebte Zweck, bedeutenden Kunstwerken gutes
Licht und angemessene Stellung zu schaffen, erreicht wurde,
ohne den glanzvoll fürstlichen Charakter dieser unvergleich-
lichen Sammlung zu stören.

Völlig umgestaltet wurde die Sala di Marte (der vierte
der Hauptreihe vom Eingang). Der Hereintretende hat
zur linken Hand: Rembrandts Greisenbildnis, das Porträt-
gruppenbild von Rubens und den Cornaro von Tintoretto;
die Repräsentation der Bildniskunst dreier Volksstämme.
An der Mittelwand dominiert, etwas schräg gehängt, um
Reflexe zu vermeiden, Rubens' Allegorie des Krieges, dieses
Wunderwerk als Komposition und koloristische Großtat,
das man bisher nur sehen konnte, wenn es einmal zu
Kopistenzwecken heruntergeholt war. Es ist flankiert von
einem Cigoli und der Impannata Madonna Raffaels. Dann
folgen: der Petrus Renis, eine heilige Familie Sartos und
der Kardinal Bentivoglio von van Dyck, der bisher in un-
würdiger Höhe gehangen hatte.

Im nächstfolgenden, dem Apollosaal, ist das schmale
Wandstück den Fenstern gegenüber den zwei Bildern
Sartos, Szenen aus Josephs Geschichte, eingeräumt; darüber
das viel zu wenig beachtete Bild der »Jäger« von Giovanni
da San Giovanni, in denen sich dieser geistvoll-vielseitige
Secentist den Niederländern nähert.

In der Sala di Giove wird man sich freuen, die schöne
Rubenssche Komposition der Nymphen und Satyrn, die
bisher zwischen zwei Fenstern hing, in gutem Lichte be-
trachten zu können.

In dem auf den Boboligarten gehenden Raum, wo die
Quattrocentisten der Galerie zusammen sind, haben an
der Schmalwand links vom Haupteingang die zwei Tondi
von Signorelli und Ghirlandaio in der untersten Reihe den
ihnen gebührenden Platz gefunden.

Im nächstfolgenden Zimmer wurde die aus Tizians
Werkstatt stammende, irrig Bordone genannte Replik des
Porträts Papst Pauls Hl» — nach dem Exemplar in Neapel;
aus der urbinatischen Erbschaft — von dem Platze über
der Tür in die richtige Augenhöhe gebracht.

Es mögen diese Angaben genügen, den Geist der
Änderungen zu charakterisieren.

Die einzige Neuerung, die man zwar begreift, doch
bedauert, ist die, daß das »Konzert« mit einem Glas ver-
sehen wurde. Es war beobachtet worden, daß unter den
Besuchern der Galerie sich solche befinden, die das

Schöne am Kunstwerk mit den Händen greifen wollen;
diese Form der Bewunderung hatte Spuren hinterlassen.
Trotzdem: das Bild hat durch das Glas etwas Fremdes
bekommen. Es sieht unerfreulich glatt, neu aus. Vielleicht
wird um der Missetat einzelner willen die Mehrzahl nicht
für die Dauer in ihrer Freude beeinträchtigt.

Einige Bereicherungen ihres Kunstbesitzes haben die
Sammlungen erfahren. Schon lange hatten die Verhand-
lungen wegen der Erwerbung des dritten Tafelbildes ge-
dauert, das nach Vasari (III, 570) Perugino für das Kloster
der Gesuati gemalt hatte und das seit der Belagerung des
Jahres 1529 den Hochaltar der kleinen Calzakirche bei
Porta Romana schmückte; sie haben endlich zur Erwerbung
des Werkes für die staatlichen Sammlungen geführt.

Nun wird das klare Licht eines Oberlichtsaales die
Diskussion, in der schon Crowe und Cavalcaselle (IV, 259)
nicht eine Entscheidung zu treffen wagten, gewiß zum
Resultat fördern: ob wir es hiermit Signorelli selbst oder
dem von ihm beeinflußten Perugino oder schließlich mit
einer gemeinsamen Arbeit beider Meister zu tun haben.
Einzelnes ist auffallend signorellisch: der Täufer, die
Magdalena, der heilige Hieronymus. Anderes wieder ge-
hört gewiß dem Perugino an, so die zwei mehr im Hinter-
grund stehenden Figuren (Franciscus und Giovanni Colom-
bini) und der Hauptteil der Landschaft. Wie die Ent-
scheidung schließlich auch ausfallen mag, so handelt es
sich zweifellos um ein kunstgeschichtlich besonders be-
deutsames Werk.

Sodann erwarb Ricci in Umbrien eine kleine Tafel
mit der Madonna, von Engeln umgeben, die er in Heft 2
der Rivista d'arte publiziert und dem Bartolomeo Caporali
zuschreibt. Dieses ausgezeichnet erhaltene Bild zeigt den
Einfluß Benozzos auf die frühen Umbrer noch stärker, als
das Bestreben des Künstlers, die Anmut der Engelknaben
Angelicos nachzuahmen.

Die bedeutendste Erwerbung aber wird dem Museo
Nazionale zugute kommen. Die schönste Lünette, die von
Luca della Robbia erhalten, ist vom Staate erworben wor-
den. Bisher hatte man sie am ursprünglichen Platze, in
der Umrahmung einer Renaissancetüre, die einst zum
Kirchlein der Nonnen von San Giovanni Laterano leitete,
gefunden.

Niemand wird gern sehen, wenn Kunstwerke von der
Stelle fortgeholt werden, für die sie ihr Schöpfer konzipiert
hat. Aber man darf das Prinzip nicht allzustreng be-
obachten — wenigstens nicht, wenn der Fall lag wie hier:
eine häßliche Gasse, so schmal, daß man das Werk nicht
recht betrachten konnte, dieses so sehr vernachlässigt, daß
von dem blauen Grund vor Staub nichts zu sehen war,
Spinnweben von einer Figur zur anderen; endlich mehr-
fache Beschädigungen, von denen niemand zu sagen weiß,
ob sie nicht aus neuerer Zeit stammen; und wer hätte
verhüten können, daß der Übermut eines Gassenbuben
durch gut gezielten Steinwurf das Werk dauernd zugrunde
richtete? Nein, hier war die Sicherung in einer öffentlichen
Sammlung Gebot der Notwendigkeit. Nur auf diese Weise
wird diese Lünette, in der ein Meister des Quattrocento
griechischem Schönheitsgefühl so nahe kam, wie kein
einziger der Zeitgenossen, in ferne Zukunft der Bewunde-
rung bewahrt bleiben.

Den Schluß mögen ein paar Notizen über die Tätig-
keit der staatlichen Behörde zur Erhaltung der Monumente
bilden. Zunächst wird Florenz binnen kurzem um eine
edle Loggia reicher sein, in Via San Gallo, deren schöne
Säulenstellung bisher eingemauert gewesen war. Einer
der Paläste an der stillen kleinen Piazza di San Biagio
— zwischen Via Porta rossa und Via delle Terme —, der
Palazzo Canacci, ist nach dem Entwurf des Architekten
 
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