Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

DOI Artikel:
Deutsche Kunst im Reichstage: Stenogramm der Rede des Abg. Dr. Müller (Meiningen)
DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0142

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
267

Nekrologe

268

habe Ihnen, wenn Sie meinen Ausführungen besser ge-
folgt wären, gezeigt, daß sich beim Künstlerbund auch
Künstler der alten Richtung befinden. Jetzt ist man in
größter Verlegenheit. Was macht man jetzt? Eine
»historische Darstellung« will man den Amerikanern geben.
Meine Herren, das kommt mir gerade so vor, als wenn
mich einer in Staatswissenschaft prüfen wollte und ich
dem zur Erwiderung gäbe: mein Großvater war ein
furchtbar gescheiter Mensch, er hat alles in der Justiz
und in den staatswissenschaftlichen Fächern gekannt. Man
würde mich durchfallen lassen, und ebenso wird man
auch die deutsche Kunst durchfallen lassen, wenn man das
bloß zeigen will, was die früheren Generationen geleistet
haben. Wir müssen zeigen, was wir jetzt leisten, was
unsere deutsche Kunst leistet, und deswegen kann über
den moralischen Katzenjammer, den wir jetzt haben, auch
diese historische Darstellung nicht hinweghelfen.

Dann hat man versucht, eine Ausstellung der Werke
einzelner Moderner aus den privaten und öffentlichen
Galerien zusammenzubringen. Die Sache ist natürlich
ebenfalls kläglich gescheitert, wie der Repräsentant der
Sache, Herr Gutbier in Dresden, der Öffentlichkeit mit-
geteilt hat. Es gibt keinen verständigen Menschen, der
Werke von einem Künstler hergibt zu einer Ausstellung,
an der der betreffende Künstler sich nicht beteiligen will.
Jetzt heißt es auf einmal, daß wir nicht mehr 700 Meter
Wandfläche haben, sondern nur noch 500 Meter. Es be-
steht in weiten künstlerischen Kreisen die Meinung, daß
man vielleicht auf diese Art hoffte, über die große Ver-
legenheit hinwegzukommen. Ich kann es ja nicht glauben;
aber ich muß offen sagen: es wäre geradezu eine —
Perfidie gegen die deutsche Kunst oder eine namenlose
Torheit, wenn man, bloß um über die Verlegenheit hin-
wegzukommen, die 700 Wandmeter auf 500 herunter
gesetzt hätte, damit man die großen Lücken, die man
durch das törichte Vorgehen erzeugt hat, vor dem Aus-
lande nicht sehen lassen muß.

Nun frage ich mich: cui bono? Wer hat überhaupt
den Vorteil von diesem ganzen Künstlerstreit, an dem
wahrhaftig der Künstlerbund keine Schuld hat, sondern
der zweifellos von dem selbstbewußten Vater aller Hinder-
nisse vor allem verschuldet ist. Cui bono? — Das Aus-
land, jawohl, Herr Geheimrat! Die Engländer, Franzosen,
Italiener, Belgier u. s. w. freuen sich geradezu wie die
Schneekönige, sie könnten wahrhaftig nichts Besseres tun,
als Herrn Anton v. Werner zum Ehrenprotektor ihrer
nationalan Gruppen zu ernennen.

Meine Herren, was man über die Zentraljury in den
letzten Tagen gehört hat, ist ja auch sehr wunderbar.
Der Herr Kollege Graf Oriola hat bereits eine Äußerung
eines Mitgliedes der alten Richtung der Zentraljury erwähnt,
des Herrn Oskar Sitzmann, der eine große Blamage der
deutschen Kunst in St. Louis voraussagt. Hochinteressant
war mir in einem bedeutenden konservativen Blatte, der
»Schlesischen Zeitung«, ein ausgezeichneter Artikel über
diese Angelegenheit. Der Artikel schließt: »Müssen die
Vertreter der Reichsregierung für eine solche Kunstpolitik,
die ohne ihr Zutun betrieben ist, im Reichstage einstehen,
so sind sie zu bedauern.« — Meine Herren, ich bedaure
aufrichtig die Herren, die diese Kunstpolitik hier ver-
treten müssen; ich bedaure sie deshalb, weil sie — das
ging aus den Ausführungen des Herrn Grafen v. Posa-
dowsky ja so deutlich hervor — sehen, daß sie eine vom
staatsrechtlichen und kulturellen Ständpunkte aus voll-
ständig vorlorene, geradezu verzweifelte Sachlage hier ver-
treten müssen.

Aber, meine Herren, es handelt sich nicht nur um
eine staatsrechtliche und kulturelle Frage, sondern es I

handelt sich geradezu um eine Frage des Ansehens des
deutschen Volkes im Auslande, um eine wahrhaft nationale
Frage. Ich war in den letzten Jahren häufig längere Zeit
im Auslande und muß sagen: als guten Deutschen hat
es mich manchmal bis ins Innerste hinein gewurmt, wenn
ich sah, wie im Auslande, vor allem bei der jetzigen
russophilen Richtung unserer Regierung, man von Deutsch-
land in bezug auf kulturelle Sprache wie von einer Art
Rußland spricht und zwar deshalb, weil man in weiten
Kreisen des Auslandes der Uberzeugung ist, daß man
auch auf kulturellem Gebiete bei uns einem allmächtigen
autokratischen Willen allzu sehr nachgibt. Das ist bloß
zum Teil wahr, gottlob! Es hat sich dies besonders ge-
zeigt bei jener Rede, die ich kurz erwähnte. Es ist gott-
lob nicht ganz so schlimm, wie es dort gemacht wird;
es gibt noch viele Millionen im deutschen Volke, welche
gegen eine derartige Richtung sich aufbäumen, auch wenn
sie sonst ganz konservative Männer sind. Aber dieser
Glaube des Auslands schädigt unsere kulturelle und ins-
besondere unsere künstlerische Stellung. Millionen Ge-
bildeter in Deutschland sind auch heute noch der Über-
zeugung, daß die große, moderne, internationale Bewegung,
von der ich vorhin sprach, welche die Natur, d. h. die
Wahrheit auch in der Kunst sucht, sich nicht komman-
dieren läßt und kommandieren lassen darf wie ein Regi-
ment Gardegrenadiere. Was wirkliche Kunst ist, darüber
entscheidet nicht ein einzelner — das ist mit Recht heute
schon hervorgehoben worden — auch wenn er noch so
hoch stünde, sondern darüber entscheidet ganz allein die
Gesamtheit der kunstverständigen Zeit- und Volksgenossen
und die Gesamtheit der Künstler, welche ihrerseits das
Publikum, das Volk fesseln soll, die auf andere Weise
keine Fesselung von dritter unbefugter Seite verträgt.
»Die Kunst ist lang und kurz ist unser Leben«, läßt
Goethe Wagner im Faust sagen, und kurz ist auch das
Leben eines einzelnen Fürsten.

Ich eile zum Schluß. Ein Bonmot, an das vor einiger
Zeit erinnert wurde, aus der Zeit Karls X. von Frankreich,
paßt meiner Ansicht nach vortrefflich auf unsere jetzige
Situation in Deutschland. Dieser Fürst sagte einst auf
eine Petition der Feinde Victor Hugos, gegen die Hernani
vorzugehen: »Im Theater habe ich gleich jedem einzelnen
Pariser Bürger auch nur einen Platz im Parterre« — ein
feiner, wahrhaft königlicher Ausspruch, der meines Er-
achtens eines königlichen Kunstmäcens würdiger ist als
das sie volo, sie jubeo. Auf keinem Gebiete ist für die
Unfehlbarkeit ein so kleiner Raum wie gerade auf dem
Gebiete der Kunst. Pflicht der deutschen Volksvertretung
aber ist es nach meiner Überzeugung, sine ira et studio
dafür zu sorgen, daß eine solche Diktatur auf künstlerischem
Gebiet nicht noch dürch staatliche Mittel unterstützt wird,
sondern daß die Kunst frei ihres Amtes waltet. Nur eine
freie Kunst kann nach meiner Überzeugung die große
Aufgabe erfüllen: die Veredelung der Sitten einer großen
Nation. Sie allein ist das Ziel der wahren, tendenzlosen
Kunst! Die Kunstgeschichte, die Kulturgeschichte hat es
gezeigt: die Kunst, sie geht selbst über Könige und Kaiser,
die sie fesseln wollen, zur Tagesordnung über.

NEKROLOGE

Durch den Tod des am 12. Februar in München jäh
in der Vollkraft durch tückische Krankheit aus dem Leben
geschiedenen Bildhauers Rudolf Maison hat die deutsche
Kunst einen ihrer bekanntesten und in den Kreisen Mün-
chens auch persönlich beliebtesten Vertreter zu betrauern.
Am 29. Juli 1854 war Maison in Regensburg geboren, be-
schäftigte sich frühe schon, ohne künstlerische Anleitung,
 
Annotationen