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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Deutsche Kunst im Reichstage: Stenogramm der Rede des Abg. Dr. Müller (Meiningen)
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265 Deutsche Kunst im Reichstage

Franzosen, hier gepriesen hat! Ja, meine Herren, wir
wollen uns doch in dieser Beziehung von einem falschen
Chauvinismus, der uns vor dem Auslande gründlich
blamiert, hüten! Meine Herren, es handelt sich nicht bloß
um deutsche Kunst, nicht bloß um die 32 hervorragenden
Künstler, die jetzt dem Künstlerbund angehören und als
seine Vorstandschaft zeichnen, von denen Liebermann
u. s. w. genannt werden, nein, meine Herren, es handelt
sich hier um eine große internationale Bewegung. Der
Belgier Meunier, — von Rodin nicht zu reden — der
Holländer Israels, der Norwege Rasmussen, die Dänen
Zorn und Kroyer, der Italiener Segantini — um nur einige
aus dem Oedächtnisse zu nennen —, wohin Sie schauen
in der ganzen Welt, die gleiche epochemachende Be-
wegung, die durch unsere Kunst geht! Glauben Sie denn,
daß einer derartigen Kunstbewegung gegenüber die
Deutschen überhaupt Halt machen könnten? Glauben
Sie denn, daß sie allein die Augen verschlossen halten
könnten, um in deralten italienisch-hellenistischen Schablone,
die unsere Hofkunst vor allem protegiert, zu verbleiben
und in dem internationalen Wettbewerb zurückzubleiben ?
Es wurde mit vollem Recht gesagt: der Reichstag ist kein
Kunstareopag, die Mehrheit entscheidet nicht darüber,
was wahre Kunst ist. Aber die Kunst ist und wird
hoffentlich von Jahr zu Jahr mehr eine große, staatliche,
kulturelle Einrichtung werden wie die Schule, und ich
hoffe, daß auch das Reich sich mit den Bestrebungen der
Kunst von Jahr zu Jahr intensiver beschäftigen wird.
Meine Herren, da hat der Reichstag nach meiner festen
Überzeugung die Pflicht, zu verhindern, daß die Gelder,
welche für Kunstzwecke — es sind ja gegenwärtig noch
wenige — ausgegeben werden, nicht in einseitiger, das
heißt, in einer von einseitigen persönlichen Anschauungen
beeinflußten Weise verwendet werden. Man ist in Preußen
darüber, eine Hofästhetik zu erhalten, welche, wie ich es
vorher bereits ausdrückte, das sie volo, sie jubeo auf
dieses Kulturgebiet überträgt. Ich habe vorhin bereits
gesagt: Millionen deutscher königstreuer Leute wehren
sich dagegen. Man beklagt sich in den weitesten Kreisen,
daß Hofschranzen, byzantinische Schmeichler, die leider
Gottes den Monarchen umgeben, nicht auf das gefährliche
der Stabilisierung einer solchen Kabinettskunst hinweisen,
man beklagt in den weitesten Kreisen des deutschen
Volkes, daß man in der Umgebung des Monarchen nicht
warnt vor einem Eintritt in eine Kampfarena, wo die
kaiserliche, die staatliche Macht die Geister nicht fesseln
kann, nicht fesseln darf und nicht fesseln soll.

Meine Herren, die Gebildeten fragen sich, und zwar
ohne Unterschied der Parteiangehörigkeit — und das ist
eine etwas kitzlige Sache—: was leistet denn diese Hof-
ästhetik? — Überall Mißerfolge, wohin wir sehen! Wir
haben ja manches in der Nähe! Überall hohle Dekoration
und wenig Kunst nach der Anschauung von Millionen
Kunstverständiger! Meine Herren, wie viel Menschen —
die eine Frage möchte ich hier nur aufwerfen — gibt es,
die den ornamentalen und monumentalen Marmorstein-
bruch hier vor dem Siegestor überhaupt für künstlerisch
diskutierbar halten? Ich kann Ihnen sagen: es tut uns
Süddeutschen bis ins Innere unseres Herzens weh, wenn
wir den Liebling des süddeutschen Volkes, Kaiser
Friedrich III., »Unsern Fritz«, hier in diesen kahlen,
nackten, kalten Marmorwänden stehen sehen. Das Gefühl
von uns Süddeutschen bäumt sich gewissermaßen auf
gegen diese Kunst und vor allem gegen die Art, wie man
Personen, an denen das deutsche Volk besonders hängt,
in den Hintergrund dieses Arrangements bringt.

Meine Herren, die hellenistische Schablone, ins Plumpe
und Ungemessene verzerrt, entspricht zwar den dekorativen

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offiziellen Neigungen, sie entspricht aber nicht den ästhe-
tischen Anforderungen, welche die große Mehrheit des
deutschen Volks an die Kunst stellt. Meine Herren, man
will eine Königliche Preußische Kunst schaffen. Man hat
ausgesprochenermaßen die Tendenz, die Kunst lediglich
zu einem Zweck, nämlich zur Verherrlichung des Fürsten-
hauses, zu benutzen. Das läßt sich die Kunst auf die
Dauer nicht gefallen; eine derartige Tendenz geht gegen
das Wesen wahrer Kunst!

Nun, meine Herren, können wir im Reiche ja nichts
dagegen machen, daß der Kunstdezernent im preußischen
Kultusministeriuni gehen muß, weil er zu modern ist; wir
können auch nichts dagegen machen, daß Herr Studt nicht
einmal fertig bringt, daß nach dem Wunsche der Landes-
kunstkommission ein berühmtes Bild von Leistikow ange-
schafft wird. Wir können auch nichts dagegen machen,
daß in einem anderen Falle ein berühmtes Bild von Arthur
Kampf nicht angenommen wird, weil es eben an einer
bestimmten Stelle nicht gefällt! Aber, meine Herren, wenn
von Preußen dieses System übertragen werden soll auf
das ganze Reich, so müssen wir angesichts der Stimmung,
die über solche Fragen vor allem in Süddeutschland herrscht,
einen geharnischten Protest erheben gegen eine derartige
Übertragung der preußischen »Hofästhetik«. Es kann
doch keinem Zweifel unterliegen — und das müssen die
Herren in Preußen doch auch wissen —, daß man in
München, in Darmstadt, in Stuttgart, in Karlsruhe, in
Dresden und Weimar über derartige Kunstfragen zum
großen Teil ganz anders denkt als in Berlin an einer ge-
wissen Stelle. Man will dort keine konzessionierte und
gewapperlte »Reichskabinettsästhetik«.

Meine Herren, die Ausstellungsgeschichte von St. Louis,
um auf diese zurückzukommen, ist meiner Anschauung
nach — darüber können alle Reden nicht hinwegtäuschen,
die mit einem Appell an die Einigkeit der deutschen Kunst
enden — infolge der autokratischen Kunstwirtschaft glänzend
ins Wasser gefallen. Amerika ist der Hauptkunstmarkt der
Zukunft. Unser Export an Bildern — um es nur an einigen
Zahlen zu zeigen — nach Amerika schwankt in den letzten
Jaliren zwischen 400000 und gooooo Mark — eine lächerlich
kleine Summe! In Frankreich stieg er in derselben Zeit
auf 4 Millionen Franken. Unsere gesamte Ausfuhr an
plastischen Werken ist minimal, sie beträgt kaum 5 bis
10 Prozent der Einfuhr. Meine Herren, Sie ersehen daraus:
die Schätzung unserer deutschen Kunst ist nicht so groß,
wie sie unter allen Umständen sein sollte, trotz der stolzen
Erklärung, die wir einst hörten, daß wir Deutschen ge-
wissermaßen allein den Beruf zur Kunst hätten, eine
Behauptung, die, wie so viele andere, uns in ein schiefes
Licht bei dem Auslande bringt. Dieser Mißerfolg unseres
Exports wurde mit vollem Recht — und das geht aus den
Verhandlungen des Kunstparlaments vom 4. April selbst
hervor — dem bisherigen System, unsere Ausstellungen
zu arrangieren, in die Schuhe geschoben.

Meine Herren, ich muß dem widersprechen, was der
Herr Kollege Henning in dieser Richtung gesagt hat.
Bevorzugt werden in den Vereinigten Staaten nicht etwa
die alten Meister, nein, man bevorzugt in Amerika, wie
es statistisch erwiesen werden kann, die modernen fran-
zösischen, belgischen, italienischen und englischen Meister.
Hier war die erste Gelegenheit, zu zeigen, was wir können.
Was unsere sogenannten »alten« Meister, was ein Lenbach,
ein Ludwig Knaus, was ein Adolf v. Menzel, die übrigens
auch im besten Sinne des Wortes »modern« sind, kann,
das weiß das Ausland längst. Jetzt sollen wir zeigen,
was unsere junge deutsche Kunst kann und deshalb wäre
hier in St. Louis die Gelegenheit gegeben gewesen. —
Nicht bloß der Sezession, Herr Kollege Rettich; denn ich
 
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