Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

DOI Artikel:
Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [2]
DOI Artikel:
Richter, Louise M.: Kunstberichte aus Paris
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0205

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
393

Kunstberichte aus Paris

394

hier ist vielleicht die Kreidezeichnung »Lethe«, eine
weibliche, traum-wache Figur inmitten eines Mohn-
feldes. Von Schöpfungen anderer Künstler will ich
noch nennen: »Eine Studie zu der goldenen Treppe«
von Burne-Jones; desgleichen eine Studie von Sir W.
B. Richmond, »Der Gesang Miriams«; Lord Leightons
Helena« und Rossettis »Gedächtnis«, ein ausdrucks-
voller weiblicher Kopf.

In ebendemselben Institut folgten kurz aufeinander
mehrere andere Ausstellungen, so unter anderen Mr.
E. A. Abbeys Federzeichnungen zur Illustration von
Dramen Shakespeares, ferner die Originalzeichnungen
Mr. E. T. Reeds für »Punch in Parliament«, witzige Kari-
katuren der ersten parlamentarischen Größen enthaltend,
und schließlich Mr. M. Menpes Aquarellen Venedigs.

Ein ebenso schönes wie interessantes und reich
illustriertes kürzlich erschienenes Buch, »Lady Diana
Beauclerk«1), verfaßt von Mrs. Steuart Erskine, nimmt
vielfach bezug auf Bartolozzis Stiche, weil jene Dame
einerseits für den Künstler zeichnete, andererseits ihre
eigenen Originalwerke von letzterem in Schwarz und
Weiß übertragen wurden. Lady Diana Beauclerk war
die älteste Tochter des dritten Herzogs von Marl-
borough, zuerst mit Lord Bolingbroke und dann mit
Topham Beauclerk, dem Freunde von Dr. Johnson,
verheiratet.

Die Künstlerin stand in naher Verbindung "mit
den ersten Berühmtheiten ihrer Zeit, so namentlich
mit Joshua Reynolds.

»The Artist Engraver« (Macmillan & Co.) betitelt
sich ein neues Fachblatt, das in seiner ersten Nummer
eine Radierung von Professor Legros, einen Holz-
schnitt von C. H. Shannon, einen Kupferstich von
William Strang, eine Lithographie von Penneil und
noch eine Radierung von Cameron enthält, während
der Text von Mr. Bynion verfaßt wurde.

Schließlich will ich nicht unerwähnt lassen, daß
Mr. G. F. Watts, der Altmeister englischer Kunst, wie
immer, so auch jetzt im besondern wieder durch
seine Generosität der Allgemeinheit zu dienen sucht.
Um der in der Nähe von Limnerslease, seinem Land-
aufenthaltsort, befindlichen Landbevölkerung, sowie
den Einwohnern von Guildford seine Werke zugäng-
lich machen zu können, ließ er hundert derselben
von »Little Holland House« in London nach dort
schaffen. Der Künstlerveteran feierte vor kurzem
seinen achtundachtzigsten Geburtstag, und kann es
für ihn als eine hohe Ehrung angesehen werden, daß
er der einzige lebende Meister ist, von dem die
»National Gallery« ein Werk aufnahm. Letzteres
stellt ein Porträt von Mr. Russell Gurney, des Re-
korders von London, dar. Der Besuch der »National
Gallery« in Trafalgar Square stellte sich im ver-
gangenen Jahre auf 539873 Personen.

O. VON SCHLEINITZ.

KUNSTBERICHTE AUS PARIS
Unter den neuen Erwerbungen, die der Louvre un-
längst gemacht hat, wäre in erster Linie ein Gemälde von
Domenico Theotocopuli, genannt »ei Greco«, zu erwähnen.

1) Fisher Unwin, London.

Es stellt König Ferdinand von Aragonien, mit der Krone
auf dem Haupt, in seiner Rüstung dar, in seiner Linken
die »fleur de Iis« in der Rechten das Zepter haltend.
Ein neben ihm stehender Page in spanischer Tracht
mit Halskrause präsentiert ihm den Helm. Dieses Por-
trät erinnert stark an die Malweise der Bassani in
Venedig, wo, wie bekannt, der Künstler — ein Grieche von
Geburt — seine ersten Kunststudien gemacht hat. Ein
feiner, angenehm wirkender Silberton ist in den Farben-
tönen überall vorherrschend, doch ist die Ausführung des
Bildes flüchtig; auch erscheint die unmäßige Länge der
Gesichter, besonders des Königs wenig vorteilhaft, eine
Charakteristik des Meisters, die besonders auffällig auf
seinem Bild in der National Gallery zu sehen ist.

Ein selten schönes Werk von Tiepolo ist die aus der
Sammlung Beaurepos (Marne et Loire) stammende Plafond-
Skizze. Das dekorative Talent dieses Meisters, dessen
Werke mit Recht mit dem Sonnenuntergang der vene-
zianischen Kunst verglichen worden sind, kommt beson-
ders in seinen Decken und Wandmalereien zur Geltung.
Auch in der Anlage dieses Tondo, angeblich eine Skizze für
das Oratorium des Palazzo Grimaldi in Genua, sehen wir
diese Eigenschaften des Künstlers in besonders vorteilhaftem
Lichte. Es stellt die hl. Jungfrau in Glorie dar, wie sie
unter dem Flügelschlag von unzähligen Engeln und Engelchen
zum Himmel hinanschwebt, wo sie Gott-Vater, begleitet
von himmlischen Heerscharen, mit offenen Armen empfängt.
Der Erzengel Michael bläst dazu in der Höhe die Posaune,
während in der Mitte die Silhouette einer ungeheuerlichen
Schlange mit dem roten Sündenapfel im Mund in den Ab-
grund stürzt. Im Vordergrund unten geht eine Prozession
vor sich. Die perspektivischen Verhältnisse, sowie die
scheinbar mit Absicht gesuchten Verkürzungen sind tadel-
los. Über das Ganze breitet sich ein duftiges Farben-
glühen, vom tiefsten Rot der Gewänder bis zum zartesten
Rosa der von Sonnenstrahlen durchdrungenen Wolken —
höchst effektvoll in der Wirkung. Ferner wären hier noch
zwei diesen Winter angekaufte Salomo van Ruisdael zu
erwähnen, Flußlandschaften mit mittelalterlichen Burgen,
die den Lehrer des berühmten Jakob van Ruisdael in weit
vorteilhafterem Lichte als bisher erscheinen lassen.

Auch Werke aus der goldenen Zeit der englischen
Kunst sind erworben worden; ein Raeburn, Mrs. Macho-
niche mit ihrem Kinde darstellend, und ein Porträtbild
von dem jetzt in England so sehr geschätzten und be-
kanntlich von deutschen Eltern abstammenden Hoppner;
eine weißgekleidete junge Dame mit lichtgelbem Gürtel
und Schleier, an die sich ein mit ihr lächelnder Knabe, ein
Kätzchen haltend, anschmiegt.

Durch die Schenkung der unlängst verstorbenen Prinzeß
Mathilde kommt der Louvre nun auch noch in den Besitz
eines Reynolds — merkwürdigerweise das erste Werk dieses
Meisters, das in diese Galerie aufgenommen wird. Obwohl
kein Werk ersten Ranges, so verrät die junge Dame mit ihrem
gepuderten Haar und ihrer zarten lichtgrauen Kleidung,
nachdenkend in einer Waldlandschaft sitzend, doch die Hand
des Meisters. Ein starker Gegensatz zu ihr bildet der mit
derben Pinselstrichen gemalte Kopf eines Spaniers — eben-
falls aus dieser Schenkung — der angeblich dem Velazquez
zugeschrieben wird. —

Auch Baron von Rothschild hat den Louvre mit einer
Reihe von Gemälden ersten Ranges bedacht, die den meisten
Lesern schon bekannt sein dürften: darunter ein herrlich
erhaltener Wouwerman, mehrere Teniers, ein Seestück von
Backhuysen, zwei Bilder von Jakob van Ruisdael, eines
die berühmte Schneelandschaft, und nicht weniger als vier
Greuze: drei zarte Mädchenporträts und das Bild der beiden
sich zärtlich umarmenden Freundinnen.

LOUISE M. RICHTER,
 
Annotationen