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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0204

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Londoner Brief

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nats veröffentlicht wird, bin ich schon heute in der
Lage, Ihnen dessen Urteil über den ersteren mitzu-
teilen. Er sagt unter anderem: »Als vor Jahren Rus-
kins »Modern Painters« erschien, war ich entzückt,
in ihm jemand zu finden, der den Mut besaß, über
einige Werke Raffaels eine ungünstige Meinung aus-
zudrücken; hinsichtlich dieser stand ich in meinem
Urteil ebenso vereinsamt wie über die Fehler anderer
großer alter Meister. Als daher sein Werk »Stones
of Venice« erschien, öffnete ich dasselbe mit hohen
Erwartungen. Bei Betrachtung der Illustrationen je-
doch und nach Durchsicht des Textes fühlte ich mich
dem reinen Barbarismus gegenüber. Mein Glaube in
Ruskins Urteil war sofort vernichtet; deshalb gab ich
seinen Schriften nur noch in soweit Beachtung, als
dieselben in Revüen und anderweitig angezogen wur-
den. Im Verein mit seinem Reden und Tun genügte
dies vollständig für mich, um meine über ihn gebil-
dete Ansicht zu rechtfertigen. Unzweifelhaft besitzt
er einen schönen Stil und bedeutende Beredsamkeit,
sowie dann und wann drückt er auch die Wahrheit
aus; aber daß jemand, der so viel Absurditäten ge-
schrieben und geäußert hat, einen so großen Einfluß
gewinnen konnte, ist für mich ebenso überraschend
wie entmutigend.« Ruskins Kritik nebst Erklärung
zu dem oben in Rede stehenden Werk von Holman
Hunt gehört zu dem besten, was jener je geschrieben,
so daß ich, abgesehen von Pietätsrücksichten, auch
aus rein sachlichen Gründen des Künstlers Unmut
sehr begreiflich finde. Die neue Replika ist von Mr.
Charles Booth angekauft, um zunächst die Runde um
die Welt zu machen, und dann hat der Erwerber die
Absicht, das Gemälde einer hiesigen Staatsgalerie zu
schenken.

Die sogenannte alte Aquarellgesellschaft »The Royal
Society of Painters in Water Colour« (5A Pall Mall
East) schickt sich an, in diesem Jahre ihr Zentenarium
zu feiern, da sie 1804 gegründet wurde. Sir Ernst
A. Waterlow ist der Präsident der Gesellschaft und
Mr. Edward R. Hughes ihr Vizepräsident, zu der,
außer den ersten heimischen Meistern, als Ehrenmit-
glieder Adolf Menzel und Karl Haag gehören. Hol-
man Hunt feierte hier gewissermaßen sein fünfzig-
jähriges Ausstellungsjubiläum im vorigen Dezember
durch die zur Besichtigung gebotene, 1853 ange-
fertigte Studie zu seinem Gemälde »Claudio und
Isabella«. Die betreffende Künstlergenossenschaft ließ
gleichfalls im vorigen Jahre ihrem Protektor, dem
Könige Eduard VII., ein Album überreichen, für das
die meisten Mitglieder Aquarellbilder angefertigt hatten.

Diese Tatsache bot dem sogenannten neuen Pa-
rallel- oder Konkurrenzinstitut, wenn man es so nennen
will, die willkommene Veranlassung, um hinter der
älteren Künstlervereinigung nicht zurückstehen zu
wollen. Der Präsident derselben, Mr. E. J. Gregory,
hatte ein sehr hübsches Schränkchen entworfen, in
welchem die für den König bestimmten Blätter in
praktisch geordneten Fächern Unterkunft fanden. Das
größte Blatt ist das von Professor Hans von Bartels
hergestellte, den Titel »The Lands End« aufweisend.
Ursprünglich nannte sich die 1831 gegründete Ge-

nossenschaft, die jetzt ihr Domizil in 191 Piccaddy
hat, »New Society in Water Colours«, später aber
»The Royal Institute of Painters in Water Colours«.
Beide Gesellschaften werden häufig im Auslande mit-
einander verwechselt. Mitglieder der letzteren sind:
Prinz Louis Battenberg, Prinzeß Battenberg, Graf
Gleichen, Graf Seckendorff, R. G. Meyerheim und
Israels; ferner gehörten ihr zu Lebzeiten Ludwig Pas-
sini und die Kaiserin Friedrich an.

Die Aquarellausstellung bei T. Agnew & Sons in
Bond - Street ist auch in diesem Jahre wiederum
erstklassig. Die besten Vertreter ihres Faches, wie
Turner, P. de Wint, S. Prout, Cotman, David Cox,
Roberts, W. Müller, Copley Fielding, Cooper, W. Hunt
und Birket Foster, konnten hier voll gewürdigt werden.
Unter den Aquarellbildern Turners erwähne ich be-
sonders: »Ehrenbreitenstein«, »Drachenfels«, »Luzern
bei Mondschein«, »Val d'Aosta«, »Konstanz«, »Schloß
Riggenberg am Brienzer See« und »Remagen«. Durch
die Munifizenz von Sir William Agnew erhielt die
»National Gallery« ein prachtvolles Werk von Sir
Joshua Reynolds Hand, das neben seiner berühmten
Gruppe »Die Grazien dekorieren die Büste Hymens«
Aufstellung erhielt. Das betreffende Werk, 1773 ge-
malt, stellt die schöne Schauspielerin »Mrs. Elisabeth
Hartley mit Kind« dar. Das in reichem und warmem
Ton hergestellte Porträt konnte in der letzten Winter-
ausstellung in »Burlington House« bewundert werden.

Die unter der Direktion von Mr. E. Brown und
Phillips stehende »Leicester Gallery«, an dem gleich-
namigen Square gelegen, ist eine der tätigsten und
vielseitigsten in ganz London. Besondere Anziehungs-
kraft übte das Kunstinstitut aus durch eine Ausstel-
lung von Werken des hervorragenden Malers F. Sandys.
Obgleich dieser zu den drei großen präraffaelitischen
Meistern, Holman Hunt, Millais und Rossetti, seiner-
zeit in näherer Verbindung gestanden hatte, so war
er doch später mehr oder minder in Vergessenheit ge-
raten. Wohl mehr persönliche wie künstlerische Ver-
hältnisse mögen hieran schuld gewesen sein. Rossetti,
mit dem Sandys 1860 zusammenwohnte, sagt von
diesem aus: »Er ist der größte lebende Zeichner!«
Er war ein Schüler von George Richmond und Sa-
muel Lawrence, dessen Stil in der Kreidezeichnung
ihn wesentlich beeinflußte. Der Akademie verdankte
er jedenfalls nichts, und hinsichtlich der Technik ist
er ein viel vollendeterer Künstler als z. B. Rossetti
und besitzt mehr Inspiration wie Millais. Das auf
der Ausstellung befindliche, 1864 von Sandys ange-
fertigte Porträt von Mrs. Lewis ist, ganz abgesehen
davon, daß es eine sehr gute Arbeit darstellt, noch
durch einen besonderen Umstand interessant. Als
das Gemälde fast vollendet war, verletzte sich Sandys
die Hand und Mr. Holman Hunt trat bereitwilligst
mit dem eigenen Pinsel, wenn auch nur durch Hin-
zufügen von Kleinigkeiten, für den ersteren ein. Von
ausgestellten Werken desselben erwähne ich: »Kassan-
dra«, »Frieden und Krieg«, »Rotkäppchen«, »My Lady
Greensleeves«, »Die weiße Jungfrau von Avenel«,
»Samuel«, ferner ein jugendlicher Kopf eines hübschen
Mädchens und »St. Dorothea«. Seine beste Arbeit
 
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