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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0203

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3«9

Londoner Brief

390

troffen wurden. Von den auswärtigen Mitgliedern,
welche zu dem günstigen Qesamtresultat beitrugen,
nenne ich besonders: Claude Monet, Maris, Raffaelli,
Stuck, Klinger, Liebermann, Fritz Thaulow, Professor
von Bartels, Zuloaga und Anglada. Von A. von
Menzel war leider nur das schon früher in der hie-
sigen lithographischen Ausstellung gesehene Blatt
»Christus im Tempel« vorhanden. Des verstorbenen
Präsidenten Whistlers Kunst vertraten folgende drei
Werke: »Rose et Or: La Tulipe«, ein unvollendetes
Porträt in ganzer Figur; Die Symphonie in Weiß«,
aus dem Jahre 1867, und »Valparaiso«, 1866 gemalt,
ein Bild, das sich in die Klasse seiner »Nocturnes«
wohl einreihen läßt, obgleich die dargestellte Szenerie
schon den anbrechenden Morgen verkündet.

Rodins »Le grand Penseur« gehört jedenfalls zu
den interessantesten Werken der modernen Bildhauer-
kunst, eine Arbeit, die, beiläufig bemerkt, als eine
Version im großen Stil von seiner gleichnamigen,
kraftvoll modellierten Figur »Le Penseur« betrachtet
werden kann. Von anderen Bildwerken des franzö-
sischen Meisters erwähne ich noch: »Bellona«, eine
Büste mit einem Kopf voll edler Majestät, ferner eine
kleine weibliche Büste in Bronze: »Der Traum« und
»La Defense«. In letztgenannter Arbeit tritt Rodins
Talent für schöne Gruppierung deutlich hervor. Diese
zeigt uns die nackte Gestalt eines Kriegers, das zer-
brochene Schwert in der einen Hand haltend, mit
der andern kiampfhaft nach der Hüfte fassend, dem
Tode bereits geweiht, aber durch eine geflügelte Figur
beschützt. Der sterbende Kämpfer blickt zu ihren
weit geöffneten Lippen empor, denen ein machtvoll
gebietender, zur Verteidigung ihres Lieblings den
Feinden entgegentönender Kriegsruf sich zu entringen
scheint. »Torso St. Johannis«, ebendesselben Künst-
lers, stellt eine schöne Studie zu der gleichnamigen
Bronzefigur dar.

Den besten Platz in der Ausstellung, der sonst
in der Regel dem Altmeister Watts eingeräumt wird,
nahm diesmal — und meiner Ansicht nach zu un-
recht — Cottets »Le Deuil Marin« ein. Drei Frauen,
dreier verschiedener Generationen in Trauerkleidern,
werden uns mit der ausgesprochenen Absicht vorge-
führt: Wir wollen häßlich sein! Wenn auch einzelne
Details sehr gut modelliert sind, so wird man doch
unwillkürlich an Coleridges Gedicht »Trauer ohne
Schmerz« erinnert. Zum Schluß möchte ich noch
M. A. Bartholome^ Skulptur »Reveil dans la Mort«
erwähnen, die in der Zentralhalle, neben Rodins Wer-
ken und seiner nicht unwert, ihren Platz erhielt.

Die Ausstellungen in London nehmen derart zu,
daß es selbst schwierig erscheint, auch nur eine Über-
sicht über dieselben zu gewähren. Es mögen seit
Beginn des Jahres wohl mehr wie vierzig gewesen
sein! Trotzdem wäre es unrichtig, die Veranstalter
der betreffenden Unternehmungen tadeln zu wollen,
da sie fast ausnahmslos gute Geschäfte machen, den
Besuch des Publikums anzuziehen verstehen, und,
was die Hauptsache ist, meistens auch irgend etwas
wirklich Interessantes und Sehenswertes zu bieten ver-
mögen. Wie es unter diesen Umständen nicht anders

möglich sein kann und wie es gleichzeitig den Be-
strebungen unserer Epoche entspricht, entwickelt sich
infolgedessen bei den Ausstellungen immer mehr das
Spezialistentum. Entweder werden nun bei solchen
Gelegenheiten die Werke eines einzelnen Meisters vor-
geführt oder es sind sogar nur Studien von ihm, Porträts,
Landschaften u. s. w. So fand in der »Fine Art Society«
eine Ausstellung von Aquarellbildern und Studien Sir
Edward Poynters, des Präsidenten der Akademie, statt,
die uns einen Überblick über die fünfundvierzigjährige
Tätigkeit des Künstlers gibt. Neben diesen Studien
finden wir kleinere Versionen für seine größeren Bil-
der, wie unter anderen »Äsculap«, »Catapult«, Die
Königin von Saba« und Porträts. In den frühzeitigen
Arbeiten bleibt die präraffaelitische Note unverkenn-
bar, aber selbst neuere Landschaften wie »Isola San
Giuliano« (1896) und »Garten am Corner See« (1903)
zeigen manche Eigentümlichkeiten jener Schule.

In demselben Kunstinstitut befindet sich eine Ver-
sion von Holman Hunts »Das Licht der Welt« aus-
gestellt, ein Werk, dessen Herstellung ich Gelegenheit
hatte, während eines Zeitraumes von zwei Jahren zu
verfolgen. Es gibt gewiß nicht viele Beispiele in der
Kunstgeschichte — und in der Tat, ich wüßte keins,
daß ein großer Künstler, nachdem er ein Meisterwerk
geschaffen, durch welches er vornehmlich seinen Ruhm
erlangte, dies nach fünfzig Jahren wiederholt. Die be-
treffende Replika ist in größeren Abmessungen ge-
halten und weist außerdem noch einige Unterschiede
auf. Das Original gelangte seinerzeit durch Schen-
kung an »Keble-College« in Oxford, Mr. Holman
Hunt teilte mir gelegentlich schon früher mit, daß
er eine Wiederholung des Bildes vornehme, weil das
Direktorium des genannten College sein Werk so gut
wie verkommen lasse, trotzdem er dasselbe bereits
einmal gratis restauriert habe. Seitdem nun das neue,
vorzüglich gelungene Bild öffentlich ausgestellt wurde,
entstand zwischen dem Meister und »Keble-College«
eine ziemlich heftige, außerdem noch einige andere
Punkte betreffende Preßfehde. Mr. Holman Hunt
wirft nämlich mit Recht der Anstalt noch weiter vor,
daß, obgleich das Gemälde eine Schenkung bildete
und in gleicher Weise dieser noch 30000 Mark zum
Anbau einer Kapelle hinzugefügt wurden, in welcher
das in seiner Art einzige Bild »The light of the
world« aufgestellt werden sollte, letzteres nicht ohne
Entgelt zugänglich sei. Endlich beschwert sich der
Künstler darüber, daß die Erklärung Ruskins, welche
gedruckt unter dem Bilde angebracht war, durch eine
andere, minderwertige ersetzt wurde. Ruskins mir
bekannter Text ist tatsächlich ebenso schön wie sinnig,
so daß ich Holman Hunts Beschwerde begründet
finde, um so mehr, als dem damals zwanzigjährigen
Künstler des ersteren Kritik zur allgemeinen An-
erkennung verhalf.

Außer anderen Gegnern, ist Ruskin noch ein
schwerer Widersacher, wenngleich nur durch seine
nachgelassenen Schriften, in Herbert Spencer ent-
standen. Durch die Gefälligkeit der Verlagsfirma
Williams & Norgate, von denen die Autobiographie
des Philosophen Herbert Spencers Mitte dieses Mo-
 
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