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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schumann, Paul: Friedrich der Weise als Förderer der Kunst
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 20. 31. März

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

FRIEDRICH DER WEISE
ALS FÖRDERER DER KUNST

In seinem kleinen Buche über Lukas Cranach
(Berlin, Julius Bard) schreibt Richard Muther über
Wittenberg: »Noch bis zum Beginne des 16. Jahr-
hunderts, als Cranach, von Gotha kommend, sich dort
niederließ, war es ein elendes Landnest. Scheurl
rühmt von der Stadt, daß sie ,einer gesunden Luft
sich erfreue, durch Gottes Schutz von jeder Pest be-
freit sei, und daß man mit acht Goldgulden jährlich
leben könne'. Die Universitätsgründung hatte viele
gelehrte Herren dort vereinigt. Freudige Familien-
ereignisse im ernestinischen Fürstenhaus gaben zu
Turnieren, Rennen und Stechen Anlaß. Sonst war es
das Dorado des Stumpfsinns. Und auch später noch, als
Luther Bewegung in das phahlbürgerliche Stilleben
brachte, als man am päpstlichen Hofe in Rom den
barbarischen Namen des Städtchens aussprechen lernte,
von dessen Dasein vorher niemand wußte, blieb
Wittenberg der Typus der kleinen verknöcherten
Residenz. Ein Weltmann wie Holbein wäre sicher
nicht willens gewesen, hier sein Leben zu versimpeln.
Es hätte ihn angeödet, dem bleiernen Mechanismus
eines kleinbürgerlichen Gemeinwesens sich einzufügen.
Cranach im Gegenteil fühlte sich wohl. . . . Seine
Kunst ist das Spiegelbild dieses kleinstädtisch dumpfen,
betriebsam nüchternen, pastorenhaft biederen Geistes.«
In ähnlicher Weise urteilt Muther über die Fürsten,
die in jener Zeit in Wittenberg residierten: ». . . Ich
sagte vorhin, daß Cranachs Bildnissen die Größe
fehlt, daß sie große Männer zu Philistern machen.
Die Frage ist aber: konnte er Größe malen, wenn
keine vorhanden war? Gibt nicht gerade die Note
der Spießbürgerlichkeit seinen Werken das Cachet
der Echtheit? Was sind das für vorsintflutliche Ge-
stalten, diese ernestinischen Fürsten: dieser Friedrich,
der wegen seines Phlegmas der Weise genannt wird,
diese Sibylle von Cleve . . ., dieser Johann Friedrich
u. s. w.«

Eine derartige Betrachtung kann man schwerlich
als geschichtlich gerechtfertigt bezeichnen. Die spöt-
tische Verachtung, mit der Muther über das Witten-
berg zur Zeit der Reformation spricht, hätte einen
Sinn, wenn es damals in Deutschland irgendwo
wesentlich anders ausgesehen hätte als in Wittenberg.

Das war aber keineswegs der Fall. Eine Stadt wie
Dresden hatte im Jahre 1546 etwa 6500 Einwohner,
und ähnlich geringe Zahlen hat Karl Bücher in seiner
Entwickelung der Volkswirtschaft für andere Groß-
städte Deutschlands nachgewiesen. Die damaligen
Großstädte waren eben, an unseren heutigen Begriffen
gemessen, allesamt unbedeutende Nester. Und nicht
bloß die wettinischen Fürsten waren damals von
dem bürgerlichen Geiste erfüllt, den Muther mit
spöttischen Worten kennzeichnet. So mannigfache
Individualitäten damals auch unter den deutschen
Fürsten sich fanden, ein wirklich großer und hoch-
gebildeter Fürst existiert damals überhaupt nicht (Stein-
hausen, S. 147). Muthers Ausführungen haben indes
einen berechtigten Kern. Denn allerdings pflegten
wir uns wohl in der wachsenden Begeisterung für
unser Väter Werke und unter der Nachwirkung der
romantischen Anschauung einen übertriebenen Begriff
von mittelalterlicher »Städteherrlichkeit« zu machen.
Indes zwischen dieser Übertreibung und der verächt-
lichen Schilderung Muthers liegt ein weiter Zwischen-
raum; auf ihm ist die Wahrheit zu finden.

Dr. Robert Bruck zeichnet in seinem Buche
Friedrich der Welse als Förderer der Kunst*) ein
ganz anderes Bild von Wittenberg wie Muther, auch
ein ganz anderes und in manchen Punkten neues
Bild von Friedrich dem Weisen. Er sagt (S. 177):
»Wenn von jener Zeit gesprochen und geschrieben
wird, Friedrich der Weise, Luther, Melanchthon,
Bugenhagen, Spalatin und die anderen großen Männer
genannt werden, muß auch Cranachs Name erklingen.
Er war mit Luther und den meisten Großen jener
Tage innig befreundet, was auf seine gute umfassende
Bildung schließen läßt. Er stand 1537 und später
nochmals 1540—44 als Bürgermeister von Wittenberg
einem Gemeinwesen vor, das mit Recht das geistige
Zentrum Deutschlands in jener Zeit zu nennen ist,
und nicht mit einem öden Provinzialstädtchen, wo
die stumpfsinnigen engherzigen Bewohner über die
Misthaufen vor den armseligen Häusern stolpern, zu
verwechseln ist.«

Dieser Ansicht Brucks wird man im ganzen und

1) Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Heft 45.
Straßburg, J. N. Ed. Heitz, 1903. Mit 41 Lichtdrucktafeln
und 5 Textbildern. 20 M.
 
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