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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Dehio, Georg: Vorbildung zur Denkmalpflege: Rede auf dem vierten Tage für Denkmalpflege in Erfurt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0029

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Vorbildung zur

Denkmalpfege

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geeigneter Konservator. Wenn aber ein Studierender
des Baufachs sich stärker von der historischen Kunst-
betrachtung angezogen fühlt, dann soll er seine techno-
logische Ausbildung an einem gewissen Punkte, etwa
nach Absolvierung des Bauführerexamens, abbrechen
und auf die Universität übersiedeln. Und dort soll
er nicht etwa bloß kunsthistorische, sondern auch
allgemeinhistorische und philosophische Studien be-
treiben. Den naturgemäßen Abschluß würde der
Philosophische Doktor machen mit Kunstgeschichte
im Hauptfach. Die ältere Generation, zu der ich auch
in dieser Hinsicht gehöre, hat sich noch autodiktatisch
durchhelfen müssen — notgedrungen. Jedermann
weiß, daß dieser Weg nicht der kürzeste und nicht
der bequemste ist. Es wäre eine Torheit, die Hilfs-
mittel, die der inzwischen weiterentwickelte kunst-
geschichtliche Unterricht darbietet, zu verschmähen.
Schließlich möchte ich einer dauernden Trennung von
Denkmalstatistik und unmittelbarer Denkmalpflege
widerraten. Wer die Wandlung vom Baukünstler
zum Denkmalpfleger in der geschilderten Weise durch-
gemacht hat, muß die Gelegenheit behalten, an der
kunsthistorischen Forschung aktiv teilzunehmen und
dadurch sein Wissen frisch zu erhalten, seine Über-
zeugungen immer aufs neue zu kontrolieren. Was
ich hier empfohlen habe, ist nichts absolut Neues.
Mancher mit Auszeichnung in der Denkmalpflege
tätige hat die eine oder die andere der beiden von
mir besprochenen Vorbildungsarten schon durch-
gemacht, ist durch die Sache darauf hingedrängt
worden.

Meine Herren! Gestatten Sie mir, daß ich meinen
Gedankengang noch einmal in wenige Sätze zusammen-
fasse. Die Denkmalpflege ist angewandte Wissenschaft,
ein besonderes Fach innerhalb der historischen Dis-
ziplinen. Um praktische Erfolge zu erzielen, braucht
sie die Hilfe anderer Disziplinen: die Hilfe der
Jurisprudenz in der Gesetzgebung und Verwaltung
und die Hilfe der Technik, speziell der künstlerischen
Technik. Die Denkmalpflege gehört deshalb nicht
zur Kunst, weil sie nichts neues zu schaffen hat,
sondern nur altes zu begreifen, zu erhalten, nötigen-
falls zu ergänzen. Der Architekt als solcher kommt
für sie nur als technischer Gehilfe in Betracht. Es
kann aber- auch eine Personalunion zwischen Technik
und Kunstwissenschaft eintreten und diese Personal-
union hat sich im ganzen gut bewährt. Sie soll
nicht aufgegeben, sie soll weiter ausgebaut werden.
Die heutige Richtung der Architektur geht darauf aus,
wieder eine eigene Kunstsprache für unsere Zeit zu
gewinnen. Damit wird die Kenntnis der historischen
Stile nicht überflüssig; nein, erst wenn man sie ganz
verstanden hat, kann man ihnen gegenüber wirklich
frei werden. Außer den eigentlichen, das heißt
schaffenden Architekten brauchen wir aber noch einen,
natürlich viel kleineren Kreis historischer Architekten.
Diese sollen der alten Kunst gehören, nicht sich selbst.
Sie sollen nicht scheinbar alte Kunst neu schaffen,
sondern lediglich deren überlieferte Werke erhalten.
Um dieses zu können, müssen sie in ihrer ganzen
er,krichtung Historiker werden. Diese wahrhaft

historischen Architekten werden künftig die stärksten
Stützen der Denkmalpflege sein; sie werden dafür
sorgen, daß wir ein Urteil über deutsches Restaurations-
wesen, wie das des gestern zitierten Engländers, ge-
trost als Verleumdung zurückweisen können.

Um mit einem naheliegenden Gleichnis zu schließen:
Vor den Wagen der Denkmalpflege sind zwei Zug-
kräfte von verschiedener Art gespannt. Ob wir beide
in gleicher Richtung wirkend erhalten, davon hängt
Förderung oder Hemmung, Heil oder Unheil der
Denkmalpflege ab.

* *
*

Zweites Referat

Über das gleiche Thema der Vorbildung zur Denk-
malpflege sprach an zweiter Stelle Geh. Regierangsrat
Lutsch aus Berlin. Er ging von dem Gedanken aus,
daß die Denkmalpflege getragen werden müsse von
der Gesamtheit des deutschen Volkes, darum handele
es sich nicht bloß um die Vorbildung für beamtete
Pfleger, sondern auf jeder Stufe des Unterrichtswesens
um künstlerische Erziehung, und zwar ganz besonders
im Anschluß an den in der Heimat gegebenen Stoff.
Der Redner entwickelte nun das Programm zur künst-
lerischen Erziehung, etwa wie es auf dem ersten
Kunsterziehungstage dargelegt worden ist als im
wesentlichen zusammenfallend mit der Erziehung zur
Denkmalpflege, die künstlerische Erziehung in der
Kinderstube, im Anschauungsunterrichte der Volks-
schule, in den höheren Schulen, an den Universitäten
und technischen Hochschulen und an den Fachschulen.

Vor Eintritt in die Hochbauabteilung an den tech-
nischen Hochschulen wünschte er Einführung eines
praktischen Jahres oder Halbjahres unter Leitung eines
pädagogisch veranlagten Künstlers, auf der Hoch-
schule selbst Einschränkung der theoretischen Mathe-
matik, Verstärkung des Unterrichts über Baustoffe und
ihre ästhetische Wirkung (sehr wichtig für die Denk-
malpflege), Unterricht über Architektonik im Sinne
Sempers und Redtenbachers, seminaristische Übungen
auf kunsthistorischem Gebiete, Zeichnen nur nach der
Natur, nicht nach Vorlagen, Beseitigung des Vorurteils,
daß nur stilreine Gegenstände Kunstwert haben und
anderes. Er betonte, daß auch Architekten — wie z. B.
Friedrich Adler in Berlin — Architekturgeschichte
im historischen Sinne getrieben hätten. Lutsch ver-
langte weiter im Anschluß an die technischen Hoch-
schulen für die Konservatoren praktisch-archäologische
Hochschulkurse von zwei bis drei Wochen, ferner
Fonds zu Vergütungen für Reisen in der heimat-
lichen Provinz und ihrem Nachbargebiete für die be-
amteten Architekten, auch Gelegenheit zu Übungen
an den vorhandenen Kunstmuseen.

Weiter legte Lutsch dar, daß Denkmalpfleger an
leitender Stelle (Provinzial- und Bezirkskonservatoren,
wie sie in anderen deutschen Bundesstaaten, nicht
aber in Sachsen, angestellt sind) eine ganz andere
Tätigkeit haben und anders vorgebildet sein müssen,
als die Inventarisatoren und die ausübenden Künstler
der Denkmalpflege. Die Künstler müssen technisch, die
Inventarisatoren kunstkritisch gebildet sein, wesentlich
 
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