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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0043

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6«)

Bücherschau

70

Solothurn, jetzt im Archäologischen Museum von Genf,
um 1440; eine große Madonna eines oberrheinischen
Malers um 1450 im Museum von Solothurn; zwei Teile
eines Altarflügels ebendort, von Albert Mentz von Rottweil
um die gleiche Zeit gemalt; zwei Tafeln eines Altars mit
Darstellungen aus der Ulrichslegende, aus S. Ulrich in
Augsburg, um 1460, von einem bereits stark durch die
Niederländer beeinflußten, talentvollen schwäbischen Maler,
der mit Recht nach diesen Bildern als der Meister der
Ulrichslegende bezeichnet wird; die Innenflügel eines Altars
in S. Georg zu Dinkelsbühl, wohl mit Giund vermutungs-
weise Friedrich Herlin zugeschrieben und in die Zeit um
1466—68 versetzt, da sie die Innerlichkeit, Anmut, Lebendig-
keit und Kompositionsklarheit dieses von echt deutscher
Empfindung erfüllten Meisters atmen; die Außenseiten
werden als den Jugendwerken Zeitbloms nahestehend be-
zeichnet.

Zu dem Schühleinschen Altar in Tiefenbronn, von dem
die schöne Schnitzerei, sowie die Innen- und Außenseiten
der Flügel nebst der Predella vorgeführt werden (nicht
aber die Rückseite, welche unter anderem die interessanten
Stilleben mit Kultusgerät enthält), bemerkt Schmarsow in
einer brieflichen Äußerung, die Anordnung der Bilderscheine
einen Wechsel in der Redaktion anzudeuten, der inmitten
der Arbeit eingetreten sein müsse. Die jetzigen Außen-
seiten mit den vier Darstellungen aus der Geschichte
der Maria, die so angeordnet sind, daß oben die Ver-
kündigung und die Heimsuchung, unten die Geburt Christi
und die Anbetung der Könige sich gegenüber stehen,
seien ursprünglich als die inneren Flügel eines Marien-
altars gedacht gewesen; dann aber sei der Altar in einen
Passionsaltar, mit anderen (Passions-) Darstellungen im
geschnitzten Mittelschrein, umgestaltet worden, die gemalten
Passionsszenen, welche nun die Innenflügel bilden (und
wohl von der Hand eines Genossen stammen), hätten aber
dadurch die Anordnung erhalten, daß die Überantwortung
durch Pilatus und die Auferstehung oben die geschnitzte
Darstellung der Kreuzabnahme, die Kreuztragung und die
Grablegung unten die Beweinung Christi einfassen. Die
zeitliche Aufeinanderfolge der dargestellten Ereignisse sei
also hier anders geordnet als auf den Seiten mit den Dar-
stellungen aus dem Marienleben. Das sei für die Geschichte
der Altäre wichtig da es das zeitweilige Zurückdrängen des
Marienkultus durch die Passionszerknirschung bekunde;
der Umschwungin der Disposition diesesTiefenbronner Hoch-
altars verlange wohl die Annahme eines längeren Zwischen-
raumes und schließe einheitliche Vollendung in einem Zuge
soweit aus, daß man bei der Ansetzung des Beginns des
Werkes beträchtlich hinter 146g zurückgehen dürfe.

Dann folgen vier Darstellungen aus dem Marienleben,
die in starker Ausbeutung Schongauerscher Stiche von
einem Tiroler Maler um 1485 — 1490 ausgeführt worden
sind, im Stift Wüten bei Innsbruck; weiterhin Bruchstücke
der Gewölbemalereien in der Kapelle Ste. Marie des
Maccabees zu Genf, um 1425 von einem burgundischen
Maler gemalt; endlich die Verkündigung eines vlämischen
Meisters in der Madeleinekirche zu Aix, die ein Wunder-
werk der Kunst zu sein scheint, jedoch mit der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts etwas zu spät datiert sein dürfte.

W. von Seidlitz.

Mysterienbühne und bildende Kunst. Die klassische
Altertumswissenschaft verfügt schon längst über größere
Publikationen, welche das Verhältnis des antiken Theaters
zur bildenden Kunst behandeln. Ich brauche nur an Roberts
>Bild und Lied« (Philologische Untersuchungen Heft 5) zu
erinnern, welches den Einfluß von Epos, Lyrik und Drama
auf Auswahl der Stoffe und Art und Weise der biblischen
Darstellung in so ausgezeichneter Weise schildert, und an

die »Archäologischen Studien zu den Tragikern« von Richard
Engelmann und an John H. Huddilstons »Die griechische
Tragödie im Licht der Vasenmalerei«. Dagegen hatte man
für das frühe Mittelalter einen Zusammenhang zwischen
dem damaligen religiösen Drama der Mysterienbühne und
der bildenden Kunst noch nicht dargelegt und nicht erkannt.
Zuerst hat unser hervorragender Göttinger Paläograph
und Bibliograph Prof. Wilhelm Meyer (aus Speyer) in
seiner Göttinger Festschrift von 1901 »Fragmenta Burana«
bei der Schilderung der dramatischen Darstellungen des
Lebens Christi im 13. Jahrhundert, aus welchen Shakespeare
und das moderne Drama geistig gewachsen sind, nach
bildlichen Vorbildern der Auferstehungsszene und der
Höllenfahrt des Mysteriums gesucht — und keine gefunden.
Schon damals konnte er die Meinung aussprechen, daß
die bildende Kunst vor der Bühne die Auferstehung Christi
nicht so dargestellt hat, daß er in Lichtfülle aus der sich
öffnenden Erde in die Höhe steigt. Während Wilhelm
Meyer damals noch sagen mußte, »ich glauhe, daß die
Dramaturgen zuerst diese Inszenierung erfunden haben«,
bringt seine in diesem Jahre erschienene Abhandlung (Nach-
richten von der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu
Güttingen, Philolog. histor. Klasse 1903, Heft 2): »Wie ist
die Auferstehung Christi dargestellt worden?«, die der
Gelehrte bescheiden als Skizze bezeichnet, einen auf sorg-
fältige Studien und der Prüfung eines gewaltigen Ab-
bildungsmaterials beruhenden sicheren Schluß für diese
eine von ihm untersuchte Szene: Die bildliche Dar-
stellung der Auferstehung Christi ist von derjenigen
des geistlichen Schauspiels abhängig. Die Quintessenz von
Wilhelm Meyers Deduktionen ist: Im 12. Jahrhundert haben
zuerst Künstler nördlich der Alpen gewagt, Christi Aufer-
stehung bildlich darzustellen; dem geistlichen Schauspiel
folgend, zeigten sie, wie der Auferstehende aus dem Sarko-
phag steigt. Dieser Typus hat sich gehalten, so lange das
geistliche Schauspiel sich hielt. Ihn allein haben die nor-
dischen Künstler bis um 1450 festgehalten. Um diese Zeit
schufen diese Künstler, und zwar vielleicht zuerst die nieder-
ländischen, einen neuen Typus, wie der Auferstandene
neben dem Sarkophag steht oder schreitet; damit verband
sich oft die Darstellung des Sonnenaufgangs, einer weiten
Landschaft und darin bisweilen auch anderer zeitlich nahe
liegender Szenen; diesen Typus haben die besten deutschen
Meister dargestellt. Angeregt von den nordischen Künstlern
begannen um 1300 die italienischen mit der Darstellung
der Auferstehung Christi: sie stellten dar, wie der Aufer-
standene in oder auf dem Sarkophage steht oder der Auf-
erstehende über dem Sarkophage schwebt; früher als die
Nordländer verbanden sie damit die Darstellung der
Morgendämmerung; oft umgaben sie Christus, besonders
den Schwebenden, mit einem Nimbus von Wolken oder
des eigenen Lichts, oft fügten sie eine weite Landschaft
bei. Diese italienischen Darstellungen wurden um 1500
den Nordländern immer mehr bekannt; nach kurzem Ringen
wurde es im 16. Jahrhundert nördlich wie südlich der Alpen
immer mehr Mode, den Auferstehenden schwebend darzu-
stellen. Das ist eine 400jährige Entwickelung und weder
ein Genie noch ein besonderes Bedürfnis hat seitdem für
die ursprünglich von der Mysterienbühne eingegebene Dar-
stellung der Auferstehung Christi eine neue Bahn eröffnet.

Für die Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft hat
Wilhelm Meyer mit dieser Göttinger Abhandlung eine neue
Arbeitsbahn eröffnet; denn was er für die Auferstehung
Christi, manchmal bei dem ungeheuren Darstellungsmaterial
nur mit Stichproben arbeitend, durchgeführt hat, bleibt für
alle anderen Mysterienszenen, soweit sie in der bildenden
Kunst auch wiederzufinden sind — und welche wären es
wohl nicht? — noch zu untersuchen. Eine gewaltige An-
 
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