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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schmidt, Karl Eugen: Der Pariser Herbstsalon
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0058

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Der Pariser Kunstsalon

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ansprechenden Farbenakkords von schwarz, weiß und
rot. Die beiden Personen sind gar zu steif, hölzern,
leblos, puppenhaft, um den Porträtisten Stuck zur
Geltung zu bringen. Israels ist viel besser vertreten:
mit einer großen jüdischen Hochzeit, einem Dock-
arbeiter, der einen schweren Korb schleppt, und einer
jungen Mutter, die in schummeriger Kammer ihr
Kind füttert. Dies letztere Bild scheint mir das beste
von der Sendung des Holländers. Von dem Meeres-
gestade des Amerikaners Harrison ist nichts zu
sagen, da dieser Künstler uns schon seit vielen
Jahren die nämliche oder doch sehr ähnliche Stimmung
zeigt. Sein Landsmann Alexander dagegen hat ein
weibliches Bildnis ausgestellt, das zu seinen besten
Arbeiten gehören dürfte: verblaßt rosa Ballkleid mit
mattgrünen Blumen, rosig angehauchte Arme und
Hals, goldbrauner Grund, sehr delikat und vornehm.

Zwei gute männliche Bildnisse hat Jaques Blanche
ausgestellt, der Engländer Bunny ist mit einem ganz
schwarz und weiß mit wenig rosa gehaltenen tüch-
tigen Damenbildnis erschienen, sein Landsmann
Belleroche mit einem interessanten weiblichen Porträt,
rosa und weiß, der Italiener Orazi, dem man hier
seit Jahren zum erstenmal mit einem Ölbilde be-
gegnet, mit einer dämonischen, gelbgrün schwarzen
Absinthtrinkerin, die an die vortrefflichen Illustrationen
zu Edgar Allen Poe des nämlichen Künstlers er-
innert, Louis Picard mit einem jungen Mädchen in
weiß, das sich von einem lichtblau anfangenden und
allmählich ins dunkelste Blau übergehenden, fein
harmonisierten Grunde abhebt, Emil Wery, der uns
sonst zu golden beleuchteten holländischen Kanälen
führte, mit einem zarten weiblichen Bildnisse, das
beinahe von Picard sein könnte.

Einige ausgezeichnete Interieurs: von Eduard
Vuillard ein Frühstücktisch, rosige und blonde Töne
überraschend fein zusammenklingend; von Felix
Valloton eine halb von hinten gesehene Dame am
Toilettetisch, graugrünblaues Morgenkleid, ebensolcher
Fußboden, rostrote Zimmerwand, eine sehr saubere,
kühle und angenehme Harmonie; von dem Belgier
Georges Le Brun eine flämische Stube, verblaßt grün
und graublau, ein roter Fleck durch einen Rosen-
strauß, ein blauer durch eine auf dem stillen Stuhle
sitzende Puppe, alles still und ruhig, im Gegenstand
wie in den Farben; endlich Belleroche mit zwei
vornehm diskreten, poesievollen Stuben, wo junge
Mädchen eine geräuschlose Hantierung besorgen.

Wenig ist von den Landschaftern, nicht viel mehr
von den Darstellern des Volkes und gar nichts von
den dekorativen Künstlern zu sagen. Eine träume-
rische Dorfkirche im Zwielicht des Abends von
Desire Lucas, drei vortreffliche Landschaften mit
Fluß und Uferbäumen von dem Amerikaner Gihon,
eine brutale spanische Prozession von Gumery, zwei
noch brutalere spanische Menschengruppen von
Iturrino, gute impressionistische und koloristisch
interessante Landschaften von Moret und Picabia,
das wäre ungefähr das wesentliche auf diesem Ge-
biet. Schließlich muß von den Malern noch Paul
Gauguin genannt werden. Dieser vor wenigen

Monaten auf einer Südseeinsel verstorbene Künstler
war seinerzeit in Paris nicht weniger genannt, als
Sisley, Pizarro, Claude Monet und Cezanne. Er hat
besonders mit Cezanne große Ähnlichkeit, erinnert
aber hier und da auch an Lucien Simon. Gauguin
hatte vor zwanzig Jahren großen Erfolg in Paris,
allerdings keinen rein künstlerischen, sondern zum
guten Teil durch die Absonderlichkeit seiner Kunst
veranlaßten Erfolg. Dann verschwand er und man
hörte nichts mehr von ihm. Er hatte sich nach
Tahiti zurückgezogen und modellierte, malte und
zeichnete dort für die Eingeborenen, unter denen er
lebte. Einmal noch kam er nach Paris zurück und
stellte eine merkwürdige Sammlung überaus naiver
und kindischer Gemälde und Skulpturen aus, die von
den rohen Kunstwerken der Südseeinsulaner sichtlich
beeinflußt waren. Die Veranstalter des Herbstsalons
haben einige seiner Südseebilder in ihrer Ausstellung
vereinigt, fast lauter Sachen, die sehr an Cezanne
und Sisley erinnern und heute weder etwas Neues
sagen noch zu besonderer Bewunderung aufregen.

Bei der Skulptur ist wohl nichts zu nennen.
Diese Abteilung ist nur sehr mäßig beschickt, und
unter den vorhandenen Gegenständen ist mir nichts
Bemerkenswertes aufgefallen. Dagegen ist die Aus-
beute bei den Griffelkünsten, bei den Zeichnungen
und Pastellen u. s. w. lohnend. Aman-Jean hat drei
Pastelle gesandt, jedesmal ein weiblicher Kopf in
farbiger Drapierung, einmal blau und rot, dann grün
und rosa, endlich lila, purpur und blaßgelb. Von
Cheret sind drei reizende, an die besten Rokoko-
maler erinnernde Rötelzeichnungen da, und das bringt
mich auf die Tatsache, daß der von dem bekannten
Plakatkünstler ausgemalte Salon im Hotel de Ville
neulich zum erstenmal dem Publikum geöffnet
war. Ich stehe nicht an, diesen Salon, trotz der
Nachbarschaft der Malereien von Puvis de Chavannes,
von Besnard, von Roll, von allen anderen Größen
der zeitgenössischen französischen Malerei, für den
reizendsten und anmuthigsten im Pariser Stadthause
zu erklären. Cheret hat hier gezeigt, daß er nicht
nur der graziöseste Plakatkünster, sondern einer
unserer amüsantesten, interessantesten und feinsten
Koloristen und Dekorateure ist. Schade, daß ihm
nur ein einziges Mal Gelegenheit wurde, sein großes
Talent an einer würdigen Aufgabe zu zeigen. Fast
das nämliche ließe sich von Willette sagen, dem
bisher weder Staat noch Stadt einen würdigen Auf-
trag gegeben haben, und der nur in einigen Künstler-
kneipen und in einem Theater auf dem Montmartre
seine große dekorative Begabung betätigen durfte.
Er ist auf dieser Ausstellung mit mehreren anmutig
neckischen Zeichnungen und einem reizenden Pastell
vertreten. Auf Maxime Dethomas habe ich vor
einigen Monaten bei Gelegenheit seiner Sonder-
ausstellung bei Durand-Ruel hingewiesen. In seinen
hier ausgestellten Aquarellen und Zeichnungen be-
hauptet er als eigenartiger und männlich starker
Künstler seinen Platz etwa zwischen Toulouse-Lautrec
und Lucien Simon. Endlich seien noch die höchst
interessanten Zeichnungen, Aquarelle und Radierungen
 
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