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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Stiehl, Otto: Kunst und Wissenschaft in der Denkmalpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0068

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na.

Kunst und Wissenschaft in der Denkmalpflege

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Historikers ist, wie etwa die Juristen allein auf Rechts-
gefühl Anspruch erheben können. — Warum aber
das Ziel der Denkmalpflege so abstrakt nebelhaft be-
zeichnen? Es ist doch ganz einfach »die Denkmäler
zu pflegen« das heißt vor Zerfall, Verstümmelung
und sonstigen Schäden zu schützen und dadurch das
großartige Erbe künstlerisch hochstehender Zeiten
späteren Geschlechtern unverkürzt zu erhalten.

Nach so vielen Verlusten, die wir vergangenen
Zeiten zum Vorwurf machen, ist das eine moralische
Pflicht, deren Erfüllung von selbstischen Hinter-
gedanken zu Gunsten einer einzelnen wissenschaft-
lichen Disziplin frei bleiben sollte. Sicherlich ist
der historische Sinn Vorbedingung für jeden, der
sich an der Denkmalpflege beteiligen will und sicher-
lich kann und soll die Denkmalpflege zur Stärkung
des historischen Sinnes und damit zur tieferen Er-
ziehung weiterer Kreise beitragen. Aber bei jeder
Erziehung ist das Beispiel wirkungsvoller als die
Belehrung mit Worten und so wird eine gute
Wiederherstellung eines alten Baues, die dessen alte
Wirkung in künstlerischem Geist wieder zur Geltung
bringt, mehr zur Belebung historischen Sinnes wirken
können als eine Menge wissenschaftlischer Abhand-
lungen.

Noch mehr muß man dem Satze widersprechen,
»Denkmalpflege ist angewandte Wissenschaft«. Dar-
über sind wir uns doch wohl grundsätzlich klar,
daß man Kunstwerken nur gerecht werden kann,
wenn man sich auf den Standpunkt stellt, der bei
ihrer Schöpfung maßgebend war. Die vielen Gene-
rationen älterer Künstler aber sind sicherlich von nichts
weiter entfernt gewesen, als von wissenschaftlicher
Anschauungsweise, gerade darin liegt die immer neue,
persönliche fesselnde Frische ihrer Werke. Gerade
wenn wir wissenschaftlich denken wollen, müssen
wir uns klar halten, daß wir mit den Gedanken, die
die moderne Wissenschaft »konstruiert« einen innerlich
ganz fremden Maßstab an das lebensvolle Erbteil
unserer Väter legen.

Nun gar im praktischen Einzelfalle! Kann die
gediegenste wissenschaftliche Bearbeitung der Kunst-
geschichte einen faulen Stein am Zerbröckeln, eine
ausweichende Mauer am Umstürzen hindern? Kann
sie ein durch Tünche, Schmutz und Verstümmelung
verkommenes Bildwerk wieder zur Wirkung bringen?
Sie steht diesen einfachsten Ansprüchen der wirklichen
Denkmalpflege ohnmächtig gegenüber. Bei umfang-
reicheren Eingriffen, wie sie bei Denkmälern der
Baukunst oft in Frage kommen, tritt die technisch-
künstlerische Tätigkeit ganz ebenso in den Vorder-
grund. Den Standpunkt grundsätzlicher Ablehnung
jeden Eingriffes müssen wir tagtäglich aus den ver-
schiedensten Gründen aufgeben, wir mögen wollen
oder nicht, schon dadurch ist der Vergleich der
Denkmalpflege mit dem Archiv- und Museumswesen
völlig verfehlt. Schon die Entscheidung über die
Zulässigkeit solchen Eingriffes kann nur fallen je
nach der Größe der für den Bestand eines Denkmals
drohenden Gefahr, nach der Möglichkeit eine be-
friedigende Erweiterung oder Instandsetzung des

alten Werkes zu erreichen, also nach Gründen, für
deren Abwägung uns die Wissenschaft keinerlei An-
halt gibt. Auch bei der Frage, wie soll ein not-
wendiger Eingriff geschehen, läßt sie uns so gut wie
ganz im Stich! Die genaue Kenntnis von der Ent-
stehungsgeschichte eines Baues kann vielleicht dazu
dienen, daß etwaige Zufügungen genau in der Form-
gebung seiner Entstehungszeit gehalten werden.
Aber gerade auf Grund wissenschaftlich - objektiver
Studien an alten Bauten wird man sehr zweifelhaft
sein, ob das wichtig und erwünscht ist. Und davor,
daß durch mangelhaftes künstlerisches Zusammenwirken
der verschiedenen Teile ein alter schöner Bau gründlich
verdorben wird, kann uns die Wissenschaft in keiner
Weise schützen. Denn ihre Ergebnisse liefern uns
besten Falles leere Schemata, nach denen sowohl
schlechte wie gute Arbeiten geleistet werden können.
Alles was den Wert oder Unwert einer Wiederher-
stellungsarbeit bedingt, die wichtige Deutung aller
am Denkmal selbst vorhandenen Ansätze, das Hin-
eindenken in die mit ihnen begonnenen künstlerischen
Ideengänge, das Stimmen der nötigen Zusätze auf
die in dem alten Kern angeschlagene Gefühlsweise
ist rein Sache der künstlerischen Vorstellungsgabe
und Einbildungskraft, damit Sache des in künst-
lerischer Erfahrung gereiften Architekten. Diesen
ganz offensichtlichen Verhältnissen gegenüber ist die
Frage »Was verbindet denn eigentlich den Beruf des
Architekten mit der Denkmalpflege« kaum verständlich.
Und es sei hier hervorgehoben, daß diese architek-
tonische Tätigkeit in der Denkmalpflege durchaus
nicht, wie der Bericht annimmt, besonders ent-
sagungsvoll ist. Vielmehr gehören die Aufgaben
der Wiederherstellungstätigkeit oft zu den reizvollsten
und dankbarsten des Architektenberufes.

Daß nicht jeder beliebige Architekt zum Berater
in der Denkmalpflege berufen ist, kann nicht zweifel-
haft sein, hat aber seinen einfachen Grund. Stünde
unsere allgemeine Bildung und der Stand unserer
Handwerksmeister nur annähernd auf gleicher künst-
lerischer Höhe, wie die jener älteren Zeiten, die ohne
bevormundende Wissenschaft ihren Weg fanden, so
könnten wir die Pflege der Denkmäler ruhig den Nächst-
beteiligten überlassen. Daß das nicht möglich ist, daß
wir durch behördliche Einwirkung der verständnislosen
Vernichtung wertvoller Kunstwerke steuern müssen,
ist im wesentlichen eine Folge davon, daß man im
Anfang unserer heutigen Kunstbewegung kunst-
wissenschaftliche Theorien an Stelle künstlerischer Ge-
sichtspunkte in den Vordergrund stellte und danach
die künstlerische Vorbildung glaubte einrichten zu
müssen. Die beklagenswerten Mißerfolge des
19. Jahrhunderts sind doch auch im wesentlichen zu
erklären durch die Abhängigkeit von dem unglück-
lichen Stilschachtelungssystem und dem ganz un-
künstlerischen^ Begriff der Stileinheit. Erst seitdem
die Architekten sich von diesen wissenschaftlichen
Fesseln frei gemacht haben, kennen wir gute, alles
künstlerisch Wertvolle erhaltende Wiederherstellungen.
Die Bestrebungen weiter und nicht der schlechtesten
Kreise gehen mit »Kunsterziehungstagen« und der-
 
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