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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schleinitz, Otto von: Londoner Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0082

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Londoner Brief

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hauer Alfred Gilbert war diesmal aus leicht erklär-
lichen Gründen nicht in der Ausstellung vertreten.
Der Künstler siedelte nämlich nach Bruges über, um
daselbst eine Kunstschule größten Stils unter seiner
Leitung zu errichten.

Augenscheinliches Interesse erregten ferner auf
der Ausstellung die Bildnisse des »Grafen W. Hohenau«
von A. Neven du Mont, »Mrs. Wetzlar« von John
Lavery und mehrere ungemein anziehende Studien
von Professor Legros, Kinder darstellend.

Wenn ich zuletzt Whistlers bisher öffentlich nicht
gesehenes Gemälde »Rouge et Noir: l'Eventail« er-
wähne, so geschieht dies, weil die Arbeit unvollendet
geblieben ist. Darüber, daß letztere aller Wahr-
scheinlichkeit nach eine höchst eigenartige geworden
wäre, besteht in Fachkreisen kaum eine Meinungs-
verschiedenheit. Augenblicklich sind in London allein
an zwei verschiedenen Stellen Spezialausstellungen
Whistlers dem Publikum geboten, und ich will über
diese, ihres berechtigten Interesses wegen, binnen
kurzem gesondert ausführlicher berichten.

Nicht unerwähnt möchte ich schließlich lassen,
daß ein heftiger Kampf in der Presse darüber tobte,
ob Whistler bei Lebzeiten von Amerika in vollem
Umfange gewürdigt worden sei. Die beiden Rufer
im Streite waren Mr. M. H. Spielmann und Joseph
Pennell, bekannt durch seine Bücher über Holzschnitt
u. s. w., in denen, beiläufig bemerkt, der Autor sich
nicht als Freund deutscher Kunst erweist. Jedenfalls
behielt Mr. Spielmann, der Redakteur des »Magazine
of Art«, das letzte Wort in der Sache und in der
Behauptung, daß Bruder Jonathan die Bedeutung
Whistlers nicht erkannt habe. Außerdem macht sich
gegen Pennell eine kräftige Opposition bemerkbar,
um zu verhindern, daß er eine »offizielle Biographie«
Whistlers, wie er seine Schrift ankündigt, herausgibt.
Seine Gegner wollen ihm beweisen: weder Angehörige
des Verschiedenen, noch amtliche Persönlichkeiten
hätten ihm Auftrag dazu erteilt.

Wie sehr im Laufe der Zeiten die Meinung über
den Werth eines Künstlers sich ändert, hat wieder
einmal recht klar das Resultat der von dem »Strand
Magazine« veranstalteten Umfrage bewiesen: »Welches
ist die beste Statue in England?«. Von namhaften
Sachverständigen wurde der Preis, dem im ersten
Drittel des vorigen Jahrhunderts lebenden und heute
so gut wie vergessenen Bildhauer Samuel Joseph für
seine Büste von »Wilberforce« zuerkannt. Mit einem
Schlage ist der betreffende Künstler zu Nachruhm
gelangt und gar viele, die überhaupt seinen Namen
nicht kannten, erinnern sich jetzt sehr bestimmt, daß
es in England keine besseren Arbeiten gibt, als seine
Büste von Georg IV, Wilhelm IV. und von Lord
Wemyss.

Ebbe und Flut in unseren Ansichten, sowie die
unausgesetzte Revisionsbedürftigkeit früherer Urteile
hat die Veranlassung zu einer neuen Ausgabe von
dem bekannten Werke »Bryans Dictionary of Painters
and Engravers« gezeitigt. Das nützliche Buch erschien
bei G. Bell & Sons und wurde von Dr. G. C. Williamson
herausgegeben, der sich durch seine fesselnden Bio-

graphien über die beliebtesten englischen Miniaturisten
nicht nur einen bedeutenden Namen errungen, sondern
es auch verstanden hat, die »Rage des Miniatures«
ununterbrochen in England in Fluß zu erhalten.
Jede Dame, die es sich nur einigermaßen leisten
kann — und es sind bekanntlich ihrer viele in Eng-
land — sammelt zur Ausschmückung ihres Boudoirs
und Salons Miniaturen. Leider gibt es kaum einen
Kunstzweig, in dem die Imitation eine so hervor-
ragende Rolle spielt, wie auf diesem Gebiet. Dr.
Williamsons letzte Biographie ist die der Brüder
»Andrew and Nathaniel Plimer«.

Es wird naturgemäß von Jahr zu Jahr immer
schwieriger, noch nicht bekannte Bilder älterer eng-
lischer Meister in London zu zeigen. Der Firma
Thom. Agnew & Sons ist es gelungen, zum Besten
des Künstlerunterstützungsfonds in ihren Räumen in
Bond-Street eine Ausstellung von zwar nur fünfund-
zwanzig solchen Werken zusammenzubringen, aber
diese sind sämtlich ersten Ranges und bis auf zwei
seit einer Generation, ja vier oder fünf, bisher nie-
mals öffentlich gesehen worden. So sind unter
anderen vier prachtvolle Gainsboroughs vorhanden
und unter diesen das berühmte Bild »The Mushroom
Girl«, das eigentlich eine Illustration zu »Cymon und
Iphigenie« bildet. Drydens Version der Erzählung
hat viele englische Meister inspiriert, so namentlich
auch Reynolds, dessen bezügliches Werk sich im
Buckingham Palast befindet. Sehr selten gibt Gains-
borough pastorale Szenen in Lebensgröße, während
in kleinerem Maßstabe dies häufiger geschieht. Die
hier veranschaulichte Naturszenerie haben wir in der
Nähe von Bath zu suchen. Die Gesamtkomposition
ist hochpoetisch empfunden, dagegen werfen die
Naturalisten dem Meister vor, daß er auf ein und
demselben Bilde gleichzeitig zwei verschiedene Jahres-
zeiten dargestellt habe. Von Reynolds stammt das
Porträt des »Grafen von Suffolk«, von Lawrence
»Lady Beresford« und von Romney »Lady Isabella
Hamilton«, eine Dame, die nicht verwechselt werden
darf mit »Lady Hamilton«, der Geliebten von Nelson.
Auch diese ist als »Bacchantin« von Madame Vigee
le Brun, auf der Ausstellung zu sehen. Das erst-
genannte Porträt, das jetzt einen geradezu impo-
nierenden Eindruck hervorbringt, befand sich früher
in einem so traurigen Zustande, daß man es als von
den Toten wieder auferstanden betrachten kann.
»Mrs. Drummond Smith« von der Hand desselben
Künstlers würde man für einen sehr gelungenen
Reynolds halten, wenn wir nicht aus Romneys Tage-
buch wüßten, daß dies Porträt am 8. Dezember 1789
begonnen wurde.

Von weiteren Gemälden derselben Epoche sind
dann noch zu erwähnen Raeburns »Captain Burreil«,
Hoppners Bildnis des großen Staatsmanns Pitt, ein
Werk allerersten Ranges und zwei umfangreiche
Seestücke Turners aus seiner ersten, das heißt der-
jenigen Periode, in welcher er Claude Lorrain nach-
ahmte. Letztere sind »Ein holländisches Fischerboot«
(1828) und »Der Hafen von Dieppe« (1825), eine
Arbeit, in der die Wiedergabe des Meeres stark an
 
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