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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Wustmann, Rudolf: Zum Verständnis Klingers als Radierers und Malers
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0098

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179

Zum Verständnis Klingers

als Radierers und Malers

180

artige, im zeitlichen fruchtbarste Festhaltung des Er-
lebnisses gelingt.

* *

*

Während Klinger als Radierer wie als Plastiker
große Bewunderung genießt, wird seine Malerei gern
kritisiert. Immer wieder werden ganz allgemein die
Vorwürfe zu reihenmäßiger Anordnung seiner Figuren
und zu geringer Beziehungsfähigkeit zwischen ihnen
erhoben.

Dagegen erinnern wir zunächst an Klingers
früheste und an seine faktisch spätesten Gemälde:
Spaziergänger, Gesandtschaft, Abend, um 1880 gemalt,
und die seit 1890 entstandenen: Pietä, l'heure bleue,
Strandwelle, Sirene u. s. w. Auf alle diese treffen jene
Vorwürfe auch nicht einmal scheinbar zu. Sie allein sind
aber auch im eigentlichsten Sinne Bilder, gehören
der Bildkunst an, die Klinger scharf von der deko-
rativen und der Raummalerei unterscheidet; eben als
Bilder haben sie alle etwas durchaus in sich abge-
schlossnes, sind einfache, abgerundete, zusammen-
hängende Kompositionen. Aber auch auf die deko-
rative Malerei Klingers in der Steglitzer Villa (1882),
soviel davon bekannt geworden ist, kann und soll
sich wohl der Tadel nicht beziehen. So bleiben nur
die großen Beispiele von Klingers Malerei als Raum-
kunst, die in der Hauptsache zwischen 1885 und
1890 entstanden sind, wenn auch zum Teil erst später
abgeschlossen: Parisurteil, Christus im Olymp, Kreu-
zigung. Nur auf diesen drei ausgesprochnen Fest-
raumgemälden ist eine mehr reihenmäßige Anordnung
der Figuren zu beobachten. Ist das nun hier ein
Fehler?

Klingers Raummalereien stehen unter ähnlichen
ästhetischen Bedingungen wie ein Bühnenbild. So-
bald auf der Bühne eine nicht ganz kleine Anzahl
bedeutender Personen stehen, z. B. schon bei einem
Quintett, sehen wir, wie sie sich reihenmäßig, eine
gewisse schmale Vordergrundbasis innehaltend, auf-
stellen. Wie will es der Maler als Raumkünstler
anders machen? Seine malerische Darstellung ist kein
»Bild«, sondern eine ausgedehnte, bedeutungsvolle
Schau. Sie darf nicht nur auf den Genuß von einem
Punkte aus berechnet sein wie das Bild, sondern ist
zugleich auf den wandelnden Beschauer, besser: auf
ein ganzes Parkett von Zuschauern berechnet, die in
dem Räume momentan zu einem andern Zwecke
versammelt sind, die aber dabei die Mitgift großer
Kunst weihend berühren soll. Da heißt es für den
Künstler sich vor langen Reihen ausbreiten. Ein
Gemälde, das solche Raumkunst sein will, kann nicht
von der Geschlossenheit einer Klingerschen Pietä,
eines Raffaelschen Madonnenbildes sein, muß aber
den breiten seitlichen Fluß einer Kreuzigung, eines
Christus im Olymp, eines Lionardoschen Abendmahls,
Giottoscher Fresken haben. Dazu kommt noch etwas.
»Lebende Bilder«, auf der Bühne gestellt, stehen unter
dem harmonisch zusammenfassenden Gesetz des eigent-
lichen Bildes, die wirkliche Theaterszene ist weniger
und mehr als ein Bild, ist freier und bedeutender
als ein Bild, und eine ähnliche Freiheit und Be-

deutung ist es, was Klinger für die Raummalerei ver-
langt, die in erster Linie nicht so sehr auf harmonisch
einfache, als auf großartige, beziehungsvolle Wirkung
denken muß, wie es unsrer höher angeregten Stimmung
in einem Festraum entspricht. Solche große Wand-
kunst zu schaffen, hat Klinger zum erstenmal im
Parisurteil unternommen. Wenn dieses Gemälde an
einem Mangel leidet, so ist es derselbe, den Goethes
Iphigenie und Tasso als Bühnenwerke haben: zu
wenig Fülle äußern Menschenlebens auf der Bühne
für unser Auge. Statt fünf Hauptpersonen haben nun
Christus im Olymp und Kreuzigung je sechzehn er-
halten, auf deren dem Auge wohltätige, dem Sinne merk-
würdige Anordnung gleich noch kurz eingegangen
werden soll; Christus im Olymp wurde durch
Rahmung, Seitenstücke, Fußteil und Plastik in dem-
selben Sinne wie schon das Parisurteil, aber im
einzelnen sich an- und ausgleichender als dieses, ab-
geschlossen, während die Kreuzigung der plastischen
Vermittlung an die Architektur entbehrt.

Zwei besondre Vorwürfe seien noch an diesen
beiden großen Werken zurückgewiesen. Die mittlere
Haufengruppe der Kreuzigung wird getadelt: Magda-
lena, Johannes, die dritte Maria, ein Schacher und
zwei Henker. Die beiden Henkergestalten, sachlich
scheinbar entbehrlich, sind aber künstlerisch not-
wendig. Das linke Schächerkreuz mußte weit genug
von Christi Antlitz abgerückt werden, die Marien,
Magdalena und Johannes konnten nach unserm Em-
pfinden auch nicht unmittelbar an den Gekreuzigten
herangestellt werden, so wäre ein Loch in dem zu-
sammenhängenden Lauf der Komposition entstanden.
Durch die Einführung der beiden Knechte ist Christus
nun von zwei etwa gleich großen schönen Land-
schaftsteilen — den bedeutendsten des Gemäldes —
umrahmt, die Aufeinanderfolge der Leibesfarben des
rechten Schächers, Christi, der beiden Henker und
des linken Schächers bietet nun gerade so, wie sie
geworden ist, einen hohen Genuß. Dabei sind die
Teile der Mittelgruppe klar auseinander gehalten, und
die jüngre Maria als eben erst herbeispringend und
nach Hilfe umsehend charakterisiert. Die Gruppe
als Ganzes aber war rhythmisch notwendig, denn wir
haben von links nach rechts: Gruppe (Römer und
Pharisäer) — Maria — Gruppe (Magdalena u. s. w.)
— Christus — (verzweifelnder Schächer). Auch
psychisch ist es von großer Wirkung, daß die Inter-
essenlinie, die von links nach rechts durch die Köpfe
der Versammelten in verschiedenen Wellen auf Christus
anströmt, in der innerlich unbeteiligtsten Person,
eben dem prächtigen gebräunten Hermeskörper des
rechten Henkers, ihren tiefsten Punkt unmittelbar vor
dem höchsten, dem Zielpunkt Christus, erhalten hat,
um dann auch gleich wieder mit dem verzweifelnden
Schächer jäh zu fallen.

Wer die malerische Seite der Komposition betont,
wird die Kreuzigung als das Meisterstück unter Klingers
Raumgemälden bezeichnen müssen, anregender, viel-
fältiger wirkt der Christus im Olymp. Das Bild
ist noch so wenig genau angesehen worden. Zwei
Fragen statt vieler. Wohin blickt Amor? Seine
 
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