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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Gronau, Georg: Zur Genesis der Robbia-Arbeiten: eine kunstgeschichtliche Konjektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0105

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 12. 15. Januar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

ZUR GENESIS DER ROBBIA-ARBEITEN

Eine kunstgeschichtliche Konjektur

In der klassischen Philologie greift man dort zu
Konjekturen, wo die Texte der alten Schriftsteller
Lücken aufweisen oder sichtlich entstellt überliefert
sind. Man sucht durch Vorschläge, die auf Ver-
ständnis des Zusammenhangs beruhen, solche Lücken
auszufüllen; und j'e nach dem Grad innerer Wahr-
scheinlichkeit bekommen diese Konjekturen Gültigkeit
oder werden verworfen.

Die neuere Kunstgeschichte, die sich vielfach mit
einer relativ nahen Vergangenheit beschäftigt, arbeitet
mit einem ungleich reicheren Quellenmaterial und
wendet daher dieses Hilfsmittel jener anderen Dis-
ziplin nur ausnahmsweise an. Immerhin, wo der
Pfad nicht durch Dokumente erhellt ist, wo kein
zeitgenössisches Zeugnis über das Werden einer be-
stimmten Erscheinung Aufschluß gibt, darf man viel-
leicht den Versuch wagen, an Stelle des schlüssigen,
auf Tatsachen gegründeten Beweises die Konjektur
anzubieten, die, hat sie innere Wahrscheinlichkeit,
sich Geltung verschaffen wird, entbehrt sie solcher,
beiseite geschoben werden mag.

In der Gegenwart haben wir durch die Tätigkeit
zahlreicher Forscher eine gute Kenntnis vom Leben
und Wirken Luca della Robbias, seines Neffen und
seiner Erben; das reiche bildnerische Material ihrer
Werkstatt ist gesammelt (wenn auch gewiß nicht voll-
ständig) und unter die verschiedenen Mitglieder ver-
teilt worden. Eine Frage aber harrt immer noch der
Lösung; sie ist gelegentlich gestellt, aber nicht be-
friedigend beantwortet worden, obschon sie interessant
genug ist, die Frage: wieso kam eigentlich Luca auf
seine Erfindung der glasierten Terrakotta?

Die Dokumente geben uns bisher nur Tatsachen
aus relativ sehr später Zeit. Das früheste datierbare
Werk, an welchem die neue Technik zur Anwendung
gebracht wurde, ist das Tabernakel, jetzt in Peretola,
für das Luca 1441/2 Zahlungen erhält. Unmittelbar
darauf folgen die zwei Lünetten für den Dom: 1443
und 1446.

Es ist klar, daß man die eigentliche Erfindung
um eine beträchtliche Reihe von Jahren zurückrücken
muß. Denn die genannten Werke zeigen eine solche

technische Erfahrung, daß sie eine bedeutende Zahl
vorhergegangener Versuche zur Voraussetzung haben
müssen. Ihrem Stil nach gehören in der Tat einige
Madonnenreliefs in eine frühere Zeit, als die eben
genannten datierten Werke, obschon der in dem zu-
letzt erschienenen Werk über die Robbias, von Miß
Cruttwell angenommene Termin — 1420—1430 —
mit der ersten Zahl gewiß zu tief gegriffen ist, da
Luca damals eben zwanzig Jahre zählte.

In demselben Buch findet man den Hinweis auf
die giottesken Skulpturen am Campanile — gemeint
sind die allegorischen Figuren kleinen Formats der
oberen Reihe —, deren Hintergrund aus dunkelblauen
glasierten Stücken zusammengesetzt ist. Als die Reliefs
sich in reiner Marmorweiße von dem farbigen Grund
abhoben, muß der Effekt dem nicht unähnlich ge-
wesen sein, den die Robbia-Arbeiten machen. Dort
könnte, dieser Annahme zufolge, sich Luca die An-
regung geholt haben, und das Neue seiner Erfindung
bestände in der Anwendung einer bereits bekannten
Technik auf die Skulptur.

Immerhin: vorausgesetzt, daß Bildwerke in weißem
Marmor auf dunkelblauem Grund vorbildlich gewesen
sind, so fehlt auch zwischen diesen und Lucas
Werken ein Bindeglied.

Man muß, um dieser Frage näher zu kommen,
daran erinnern, daß vor Lucas Erfindung in den ersten
Jahrzehnten des Quattrocento besonders Madonnen-
reliefs in (unglasierter) Terrakotta in Florenz und
sonst in Italien durchaus gebräuchlich waren. Das
billige Material gestattete die Verbreitung dieser Kunst-
werke, die zum Teil einen Mischstil aus gotischen
und Renaissanceelementen zeigen, der ihre annähernde
Datierung gestattet. Diese Werke waren bemalt.

Ein durch Umfang und Qualität hervorragendes
Stück dieser Art, das sich genau datieren läßt, ist er-
halten. Für die Portallünelte in Terrakotta, die sich
über der Tür von S. Egidio, der Kirche des Spitals
von Santa Maria Nuova, befindet, ist die Zahlung
vom Jahre 1424 vorhanden. Nicht Dello Delli, den
Vasari in seiner Jugend diese Gruppe ausführen läßt
(II, 147), sondern der Maler Bicci di Lorenzo ist der
Verfertiger dieser »Krönung Mariä« (Vasari II, 66).

Die Gruppe befindet sich noch am ursprünglichen
Platz. Die Farben, die sie einst verschönten, hat die
Witterung zerstört. Im braunrötlichen Ton des
 
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