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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Hevesi, Ludwig: Zu Schwinds hundertstem Geburtstage: ein Bruchstück aus dem Buche Österreichischer Kunst im 19. Jahrhundert
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Zu Schwinds hundertstem Geburtstage

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im Gegenteil eine »merkwürdig zarte, fast weibliche
Organisation« des Schädels festgestellt. Die von
Arnold begonnene und von Franz Dialler vollendete
Bronzebüste vom Währinger Grabmal beruht auf einer
Zeichnung des Freundes Schober, dem der Architekt
Förster half. Sie gibt alles kurzstämmig, ins Kugel-
runde gehend und garnicht bedeutend. Man sieht
ihr offenbar die »vielen Köche« an, denn der Kupel-
wieser-Schwindsche Kopf ist denn doch kein Spieß-
bürger vom Himmelpfortgrund. (Nebenher mag es
den Leser interessieren zu erfahren, daß es die beiden
»Altwiener« Maler Ranftl und Danhauser waren, die
dem lebenden Beethoven die bekannte Gipsmaske
abnahmen.)

Angesichts dieser Schwindausstellung in der Schu-
bertausstellung schrieb ich einen Aufsatz, in dem sich
die Parallele zweier Zeiten und Zeitgeister so unmittel-
bar ausdrückt, daß er hier eingeschaltet sein mag:

»Selten ist das Wiener Publikum so zahlreich nach
dem Künstlerhause gepilgert, wie jetzt. Die Schubert-
ausstellung ist ja eine Art Ausgrabung von Altwien,
der allzeit gemütlichen Großmutter Neuwiens. Und
man hat Schubert zwischen seine beiden Unzertrenn-
lichen: die Maler Moriz v. Schwind und Leopold
Kupelwieser gestellt und diesen noch den Genremaler
des Vormärz, Pepi Danhauser (wie er sich gelegent-
lich unterschrieb) beigesellt. So ist neben der Schu-
bertiana noch eine Altwiener Bildergalerie, viele
Hundert Nummern stark, zusammengekommen. Man
hat lange nichts so Erquickliches gesehen, obgleich ja
die Malerei sich seither um ihre Achse gedreht hat.
Damals war sie eine Stubenkunst, heute sucht sie die
freie Luft. Damals arbeitete man nach dem gestellten
Modell, heute hascht man die lebendige Bewegung,
die sich unbeachtet glaubt. Damals malte man im
herkömmlichen Atelierlicht, nach einer unveränderlichen
Palette, welche die alten Holländer am Ende des
17. Jahrhunderts ein- für allemal aufgesetzt hatten,
heute sucht man die Farbe des Tages in ihren wech-
selnden Stimmungen und gibt sie, wie man sie selber
sieht oder sehen möchte, oder wie man sie sich vor-
träumt. Der moderne Mensch und berufsmäßige
Sezessionist möchte von vornherein glauben, daß er,
auf die jetzige »malerische« Malerei eingeschossen,
jene guten Altwiener weit überlebt hat; aber wenn
er nur erst unter sie getreten ist, merkt er, daß sie
ihm gefallen, ja imponieren.

»Wenn Schwind nicht das Unglück gehabt hätte
in der entfärbten Schubertzeit geboren zu werden und
dann in die ölscheue deutsche Kartonzeit der Cornelius
und Kaulbach hineinzuwachsen, so wäre er heute der
Führer der Sezessionisten. Diese haben, nach einer
Epoche des trockenen Realismus, die Poesie wieder
in die Natur eingelassen, allerdings mittelst der mo-
dernen, bis ins Sensitive durchgestuften Farbe. Dieser
Mittel konnte Schwind seinerzeit nicht Herr sein, denn
sie waren noch nicht nach Mitteleuropa gelangt, und
wie der Haß eines Farben Proletariats gegen die Farben-
kapitalisten klingt es, wenn er, von der ersten Pariser
Weltausstellung zurückgekehrt, erst recht schrieb, er
wolle »mit der zuwideren Ölmalerei abschließen und

zu einem anderen Material greifen«. Was hatte er
auch sogar in Paris an der Tagesordnung gesehen?
Delaroche, den Pariser Piloty; Kostümfetzen in theatra-
lischer Beleuchtung, auf das äußerlich Brillante und
Paffmachende hin nachgeahmt. In München war er
dann Professor neben Piloty, der die junge Generation
gar geschickt zur neuen augentäuschenden Wahrfarbig-
keit abrichtete, allein er sah das oberflächliche Blend-
werk daran und stürzte sich nun ganz in die Wasser-
farbe, gegen den Strom, um seine herrliche »Melusine«
zu schaffen.

Aber in jedem anderen Betracht war er ein Künstler
nach dem heutigen Herzen. Für die Ausstellung
hat man seine Hauptwerke gar mühsam in großer
Vollständigkeit zusammengeholt, von »Ritter Kurts
Brautfahrt« angefangen, die er Ende der dreißiger
Jahre noch in Rom malte (»Ich seh' mir den
Michelangelo an und male den Ritter Kurt weiter«)
bis zur »Melusine«, der letzten jener Schöp-
fungen, die er »eine lange Geschichte« zu nennen
pflegte, weil sie ganze Szenenreihen mit allerlei
schmückend verbindendem Zwischenwerk bildeten.
Der Freiherr von und zu Frankenstein auf Schloß
Ullstadt in Bayern hat zum erstenmal das »Aschen-
brödel« dargeliehen, im Original die ganze Wand
voll. Zu den »Sieben Raben« und der »Melusine«
sind eine Menge Studien und Varianten ausgestellt,
zu den Wartburg-Fresken sämtliche Farbenskizzen.
Die gewaltigen Ölbilder: der »Sängerkrieg« aus Frank-
furt und der »Vater Rhein« aus Berlin und viele
Dutzende kleiner Ölszenen, namentlich aus den köst-
lichen »Reisebildern«, auch die große »Symphonie«,
die verschiedenen »Rübezahle« und schließlich eine
Lawine von Zeichnungen, Stichen und Aquarellen
persönlichen Bezuges schließen sich gleichsam bio-
graphisch zusammen. Mit Rührung merkt man immer
mehr, daß Schwind, der doch hauptsächlich Märchen-
maler war, diese Märchen tatsächlich erlebt hatte.
Vor allem sind ihm seine Hauptwerke schon in
früher Jugend aufgegangen, in jener »Burg Schwindien«
(dem Schwindschen Familienhause »zum Mondschein«
auf der Wieden), wo er und Schubert ihre respektiven
Erlkönige schufen und der eine die Balladen, Märchen
und Volkslieder illustrierte, die der andere kompo-
nierte. Sie sind ihm dann durch Jahrzehnte innerlich
nachgegangen, bis sie bei günstiger Gelegenheit in
dauernde Gestalt gebannt waren. Erst die zahlreichen
Skizzen, Studien, Vorversuche in dieser Ausstellung
lassen erkennen, wie sehr diese Phantasiegebilde sein
tatsächliches Erlebnis geworden waren.

Aber das Erlebnis ging bei ihm noch viel weiter.
Graf Schack sagt von ihm mit Recht: »Selbst Szenen
des gewöhnlichen Lebens weiß Schwind in die
lauterste Poesie zu verwandeln.« Oder vielmehr, für
Schwind waren Leben und Poesie untrennbar von-
einander durchdrungen. Dieser kurzstämmige Kraft-
mensch von süddeutscher Derbheit hatte, gerade
wie der rundlich zerquollene Schubert (scherzweise
»Schwammerl« genannt), eine ganze formatwidrige
Poesie im Leibe. Er war ein begeisterter Romantiker,
schon weil es auf diesem weltfernen Gebiet keine
 
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