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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Deutsche Kunst im Reichstage: Stenogramm der Rede des Abg. Dr. Müller (Meiningen)
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0137

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 16. 26. Februar.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

DEUTSCHE KUNST IM REICHSTAGE

Stenogramm der Rede des Abg. Dr. Müller (Meiningen)

Am 15. und 16. Februar hat der Reichstag über die
Verwendung der 20000 Mark debattiert, die das Reich zur
Beschickung der Deutschen Kunstabteilung zuschießen
soll. Nacheinander haben dabei die Vertreter aller Par-
teien mit ungewöhnlichem Einmut und — Unmut die auf
höheren Einfluß zurückzuführende Kaltstellung der vor-
wärtsstrebenden Künstlerscliaft getadelt. Interessant war
die ausführliche Darlegung in der Rede des Abgeordneten
Dr. Spahn über Manet und seine Bedeutung für die mo-
derne Kunst. Er fußte dabei auf das Novemberheft unserer
»Zeitschrift für bildende Kunst«, das er vorlegte. Jeden-
falls: bei der Wichtigkeit der Sache sollten sich die Inter-
essenten mit den willkürlichen Zeitungsauszügen nicht
begnügen. Am umfassendsten war die Rede des Abge-
ordneten Müller (Meiningen), die wir hiermit wörtlich nach
dem stenograpischen Berichte abdrucken. Die Red.

»Meine Herren, wenn es noch eines Beweises bedurft
hätte, daß wir in einer Zeit künstlerischer Gärung be-
fangen sind, daß nichts wandelbarer ist als gerade die An-
schauungen über das Schöne, die Kunst, so, glaube ich,
hätten gerade unsere Verhandlungen seit gestern Abend
uns den vollen Beweis dafür geliefert. Ich sage aber auch
auf der anderen Seite: welcher Umschwung der Anschau-
ungen seit wenigen Jahren auch hier im hohen Hause!
Ich kann mich recht wohl erinnern, als ich als politischer
Neuling im Jahre 1899 damals die Verhandlungen zum
Etat des Reichstages über die Kunst hier im Hause mit
anhörte! Welchen sonderbaren Eindruck machten mir da-
mals die von einem großen Teil der Redner geäußerten
Meinungen! Welcher Wald von Urteilen!

Meine Herren, ich muß sagen, ein gewaltiger Um-
schwung hat sich auch im Reichstage geltend gemacht.
— Ja, Herr Kollege Spahn, trotz Ihres Widerspruchs; es
freut mich ganz besonders: gerade bei Ihnen scheint mir
der Umschwung vorzuliegen, wenn anders Sie Ihre Partei-
genossen hinter sich haben.

Es handelt sich nach meiner Überzeugung hier ge-
radezu um eine imposante Kundgebung des Deutschen
Parlaments für die Freiheit der Kunst, für die freie Ent-
faltung künstlerischer Individualitäten. Meine Herren, das
ist nach dem schlechten Eindruck, den 1899 die Redner
hier auf die gebildeten Kreise außerhalb des Hauses
machten, für das Ansehen des Reichstages bei diesen ge-
bildeten Kreisen viel wert. Auch ich habe mich gefreut
über die Anschauungen des Herrn Kollegen Spahn, der
mich mit seinen Ausführungen über den Impressionismus
und den Pleinairismus der Mühe überhoben hat, weiter

hierauf einzugehen, was ich ursprünglich vorhatte. In
einem Punkte aber muß ich ihm unter allen Umständen
widersprechen. Er hat gemeint, die St. Louiser Sache sei
jetzt ein für allemal abgetan, und wir brauchten uns dar-
über nicht mehr unterhalten. Nein, ich bin der Über-
zeugung: St. Louis ist nur ein Ring in einer Kette, weiche
seit Jahren die deutsche Kunst einschnürt. Meine Herren,
der Fall St. Louis hat eine doppelte Bedeutung, die meiner
Überzeugung nach nicht genügend in den Vordergrund ge-
rückt ist, eine große staatsrechtliche und kulturelle Bedeutung.

Ich muß mich zunächst gegen den Herrn Staats-
sekretär wenden. Er ist, wenn ich mich so ausdrücken
darf, wie die Katze um den heißen Brei herumgegangen.
Ich habe bei den Ausführungen des Herrn Grafen v. Posa-
dowsky — er ist, wie ich sehe, zufällig nicht hier — noch
niemals den Eindruck des Gequälten so gehabt wie am
heutigen Tage. Der gewandte Mann, der sonst immer
das richtige Wort zu finden weiß, der sonst immer die
Aufmerksamkeit des hohen Hauses hat, — heute konnte
er absolut nicht zur Geltung kommen. Warum? Der
arme Graf Posadowsky — was muß er nicht alles ver-
teidigen? Ja, meine Herren, wir wissen genau, daß er
in sehr vielen Dingen überhaupt bloß den »Prügelknaben«
abgibt. Wir wissen ja ganz genau, daß, wenn es niemand
gibt -

Vizepräsident Dr. Graf zu Stolberg-Wernigerode: Herr
Abgeordneter, ich möchte doch bitten, den Ausdruck
»Prügelknabe« nicht anzuwenden.

Dr. Müller (fortfahrend): Meine Herren, ich will also
den »Prügelknaben« ausdrücklich zurücknehmen. Ich glaube
aber,daß die Herren alle verstanden haben, was ich damit
habe andeuten wollen. Ich wollte damit nur andeuten,
daß, wenn man niemand weiß, der eine Verantwortlichkeit
übernehmen kann, man Herrn Grafen v. Posadowsky
nimmt. Er wird auf seine breiten Schultern auch das noch
übernehmen; ich werde Ihnen in meiner weiteren Dar-
stellung zeigen, daß Herr Graf v. Posadowsky auch in
diesem Falle wieder das arme Opferlamm — das darf ich
vielleicht sagen — gewesen ist.

Meine Herren, den langen Vortrag über die »bewährte
Deutsche Kunstgenossenschaft« hätte sich Herr Dr. Graf
v. Posadowsky vollständig ersparen können. Auf die
Hauptsache ist er fast gar nicht eingegangen. Er hat sie
wohl ganz geschickt und vorübergehend gestreift, aber den
springenden Punkt verschleiert. Darüber kann doch zu-
nächst kein Zweifel sein, daß nach der Auffassung sehr
vieler gebildeter Leute unsere letzten Kunstausstellungen
Mißerfolge bedeutet haben. Ich will nicht polemisieren
gegen den Herrn Geheimrat Richter, den ich in vielem
zustimme. Ich könnte gegen seine Auffassung zitieren die
Schrift von Otto Eckmann, der ein vernichtendes Urteil
 
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