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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0153

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 18. 18. März

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

PARISER BRIEF

Zwei große Kunstausstellungen, eine j'ede mit
mehr als zweitausend Nummern, und das ist erst
der Anfang! Die eigentliche Ausstellungssaison kommt
erst im Mai. Wahrlich, wer daran zu zweifeln wagte,
daß Paris die Patrie des arts sei, müßte sich ange-
sichts solcher Zahlen den Tatsachen fügen. Es ist
geradezu ungeheuerlich, wie viele Bilder und Statuen
im Laufe des Jahres dem Pariser Publikum vorge-
führt werden. Wenn man alle die großen und kleinen
Salons und die Privatausstellungen ohne Zahl zu-
sammenrechnen wollte, käme man sicher auf zwanzig-
tausend Nummern, und wenn ich Talent zum Stati-
stiker hätte, würde ich Ihnen ausrechnen, wie lang
der Streifen Leinwand ist, der alljährlich von den
Pariser Malern angestrichen wird. Rechnen wir alle
die Leute mit, deren Ware auf keiner Ausstellung
erscheint, so würde der Streifen, wenn man ihn nur
schmal genug schneidet, sicherlich ein paarmal um
die Erde gehen und so allen Völkern anzeigen, wo
die Patrie des arts liegt.

Gegenwärtig laden die Unabhängigen und die
Frauen die Besucher ein, die einen im Großen Kunst-
palast, wo in zwei Monaten die Societe nationale
einziehen wird, die anderen in dem ebenfalls von der
letzten Weltausstellung übrig gebliebenen schönen
Glashause am Seineufer. Die beiden Ausstellungen
sind recht verschieden voneinander. Kurz könnte
man sagen: Die Unabhängigen können, aber sie
wollen nicht, die Frauen wollen, aber sie können
nicht, — nämlich malen wie die allgemein aner-
kannten Meister. Aber so ganz stimmt das nicht.
Für die Union des Femmes Peintres et Sculpteurs
allerdings trifft die Sache ungefähr zu, und über sie
brauchen wir weiter kein Wort zu verlieren. Es
geht dieser Frauenvereinigung nämlich so, daß ihr
nur Künstlerinnen angehören, die in keinem der
beiden Salons unterkommen können. Ist eine Dame
zu der hohen Ehre aufgestiegen, im alten Salon hors
concours oder im neuen Associee oder gar Societaire
zu sein, dann schaut sie naserümpfend auf die Kol-
leginnen im Frauensalon herab und stellt hier nicht
mehr aus. Die wenigen Ausnahmen bestärken nicht
nur die Regel, sondern sie betreffen auch lauter
solche Damen, deren Werke man in einem Berichte

über die großen Salons nicht erwähnen würde. Also
wollen wir das Grand Palais still verlassen und dem
Glashause am Cours la Reine zuwandern.

Die Unabhängigen, habe ich gesagt, sind die
Leute, die wohl können, aber nicht wollen. Das
gilt jedoch nur von ihren Spitzen. Der Troß kann
nicht mehr als die Frauen, und es gibt Freischärler
unter ihnen, die noch viel weniger können. Denn
die Unabhängigen, die jetzt schon ihre zwanzigste
Ausstellung machen, sind entstanden aus einer hef-
tigen Protestbewegung gegen die Jury des damals
noch allein existierenden alten Salons. Wie jeder-
mann weiß, haben sich die Juries im Laufe des
19. Jahrhunderts viele Verstöße zuschulden kommen
lassen, die wir Nachgekommenen jetzt gar leicht
erkennen und tadeln können. Sie haben Corot und
Millet, Rousseau und Courbet, Manet und Puvis
de Chavannes, Carriere und Monet zurückgewiesen,
und damit ist ihr Sündenregister nicht erschöpft.
Das ist natürlich und wird immer so bleiben, so
lange Juries und Juroren Menschen sind. Man kann
von den Leuten wahrhaftig nicht verlangen, daß sie
den Anschauungen ihrer Zeit um ein Menschenalter
voraus seien. Diejenigen Künstler aber, die überzeugt
sind, ihrer Zeit voraus zu sein und die Kunst der
Zukunft zu vertreten, können die Sache nicht so
philosophisch ansehen. Sie halten alle Juroren für
ihre persönlichen Feinde, aller Schandtaten und Ver-
brechen fähig und ins Zuchthaus oder an den Galgen
gehörig. Und um diese Feinde los zu werden,
haben sie den Salon der Unabhängigen gegründet,
wo jeder ausstellen kann, der seinen mäßigen Beitrag
zahlt.

Diese Gastlichkeit brachte und bringt dem Unter-
nehmen eine zahlreiche Kundschaft, nicht nur aus
Paris, sondern aus allen Ländern, wo man malt und
modelliert. Neben den Franzosen stellen hier Deutsche,
Spanier, Russen, Scandinavier, Engländer, Nord- und
Südamerikaner aus, und wie die Nationen der Aus-
steller sind auch die Qualitäten der ausgestellten
Arbeiten höchst verschiedenartig. Der große Haufen
ist wie in der Aussellung der Künstlerinnen weiter
nichts als langweilig. Das sind die Leute, die ein
ganz bescheidenes Talent besitzen und den üblichen
Unterricht im Zeichnen und Malen erhalten haben.
Interessanter sind die Seifmade Men, die auch nur
 
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