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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Meyer, Alfred Gotthold: Zur Donatello-Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0189

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361

Zur Donatello-Kritik

Winckelmanns erwidern; denn es ist meines Erachtens
recht gefährlich, vor einem volkstümlichen Meisterwerk
besonders eingehend den Merker zu spielen. Die Grenzen,
vor denen Donatello bei diesem Werke Halt machte,
glaube ich genügend bezeichnet zu haben. Ausdrücklich
betonte ich, daß es jenseits der Gebundenheit der Georgs-
Statue »noch eine Welt von Bewegungsmöglichkeiten gibt,
die erst Michelangelo ganz entdeckte«. Es frägt sich je-
doch, ob die Feststellung dieser kunstgeschichtlichen Tat-
sache dazu berechtigt, die im St. Georg verkörperte Kunst
als unvollkommen zu tadeln. Ich halte den Georg noch
immer für die »erste befreiende Tat Donatellos, mit der
ein neues Menschengeschlecht in die Renaissancekunst
eintritt,« für Donatellos Heldenstück; und ich bitte meinen
Kritiker, mir zu zeigen, »wie unendlich viel (!) hier noch
sowohl in der Durchbildung der Einzelformen, wie vor
allem in der Durchführung des plastischen Motives zu
wünschen übrig bleibt«!

Nur darf er dann nicht als Mängel rügen, was mir
aus weiser Beachtung des Zweckes und des Standortes
hervorgegangen erscheint. Und damit komme ich auf
den ersten Streitpunkt, bei dem nicht mehr nur persönliche
Ansicht entscheidet, sondern eine Grundanschauung aller
Kunstkritik. Es ist der ^dekorative Standpunkt«, der, nach
Swarzenski, die »Langsamkeit«(?) in Donatellos Entwickelung
verschuldet und seine »statuarische Kunst« gehemmt hat.
Ob dieser »dekorative Standpunkt« jetzt »so beliebt« ist,
weiß ich nicht, wohl aber, daß er bei einer Nischenstatue
an der Außenwand eines Gebäudes stets berechtigt ist.

Doch: was heißt hier »dekorativ«? Es scheint, daß
in der verschiedenen Deutung dieses Wortes der Haupt-
grund für das offenbare Mißverständnis liegt. Es handelt
sich hier um sehr gefährliche Grenzgebiete, um die laxe |
Nomenklatur unserer Kunstkritik. Vielleicht ist es besser,
solche vieldeutigen Stichworte ganz zu meiden, wie wir
uns ja schon daran gewöhnt haben, das Wort »Schönheit«
von ästhetischen Erörterungen möglichst fern zu halten.

Im Text verwandte ich das Wort »dekorativ« aus-
drücklich nur in seinem »wörtlichen Sinne«, als »schmückend«.
In der Tat kam es den Auftraggebern Donatellos selbst
vor allem darauf an, den Bauten — dem Dom und dem
Campanile — statuarischen Schmuck zu schaffen; die Ur-
kunden sprechen oft nur ganz allgemein von »einer« »Mar-
morfigur« oder von »einer« »Prophetenstatue«. Eine Be-
griffsbestimmung des Wortes »dekorativ« könnte vielleicht
davon ausgehen, daß ein Kunstwerk sichtlich als Er-
gänzung eines anderen Ganzen entworfen sei. Bei einer
Statue bedeutet das vor allem: Berücksichtigung des Stand-
ortes, an, in oder auf der Wand. Das ist Donatellos
alter Ruhm. Und diese Berücksichtigung des Standortes
ist für den Bildner meines Erachtens unter allen Um-
ständen förderlich. Sein Werk erhält dadurch den festen
Bezirk, in dem es »wirken« soll; er muß es von vorn-
herein als Ganzes und zugleich als Teil eines größeren
Ganzen sehen.

Aber so sah auch Michelangelo seinen »Moses« und
seine »Capitani« — und trotzdem wird es niemandem in
den Sinn kommen, sie »dekorativ« zu nennen: sie sind
Spitzen monumentaler1) Kunst, denn sie wirken auch los-
gelöst von ihrer räumlichen Umgebung vollkommen, in
ihrer königlichen Selbstherrlichkeit so in sich abgeschlossen

1) Wie verschieden man die Worte »dekorativ« und
»monumental« deutet, zeigt z. B. die Tatsache, daß Vöge
seinem grundlegenden Buch, in dem er die »Mauer-
plastik« nicht nur »als die Bestimmung, sondern als das
Wesen der mittelalterlichen Plastik erweist«, den Titel
gab: »Die Anfänge eines monumentalen Stils«!

wie ein freistehendes Denkmal. Ihre »dekorative« Ver-
wendung in den Mauernischen ist bei ihrer künstlerischen
Wirkung nur etwas Accidentelles, nichts Integrierendes.
Bei Donatellos Georg spielte sie dagegen eine unvergleich-
lich wichtigere Rolle. Die Breite und Schwere des Ganzen,
die geringe Differenzierung der Formen, die Wucht des
Stehens und die Frontalhaltung des Schildes — das alles
sind einerseits prächtige, volkstümlich verständliche
Charakterzüge des darzustellenden Helden »auf der
Wacht« — andererseits aber auch Wechselbeziehungen
zwischen der Figur und der Mauer. Den vollen Eindruck,
den der Meister beabsichtigte, macht diese Statue nur in
ihrer Mauernische. Aber gerade dadurch hat er in diesem
gegebenen Falle das Beste getan, was der Mensch über-
haupt tun kann: das Rechte am rechten Platz! Das allein
wollte ich betonen — mag man es nun »dekorativ«
nennen oder nicht.

Und das soll für die »eigentlich statuarische Ent-
wickelung des Künstlers« (soll heißen: für die Entwicke-
lung von Donatellos statuarischer Kunst) »selbstverständlich
ein Hemmnis« sein?

Wiederum handelt es sich um den streitigen Sachwert
eines Wortes. Soll »statuarisch« nur heißen: dem Wesen der
Freifigur entsprechend, der »Rundplastik«, die als solche auf
freiem Platze nur ganz gewürdigt werden kann, wenn man
sie umschreitet? Der »Stolz« der Bildnerei im Sinne
Justis? Oder soll es heißen: »die Konzentrierung der
Freifigur, insbesondere ihres geschlossenen Umrisses, auf
flächenhafte Fernwirkung«? Im Sinne Hildebrandts? —
Ich selbst habe bei dem Versuch, Donatellos Statuen für
die Dombauhütte und Or San Michele zu charakterisieren,
den Begriff des Statuarischen wiederum nur wörtlich im
Sinne von »Standfigur« gebraucht, wie ihn Willy Pastor
faßt. Das Prachtvollste am »Georg« ist die Art, wie er
»dasteht«. Es ist die »Ponderation«. Und wenn man auf
diese hin den St. Georg mit dem Marmor-David oder gar
mit den Giebel-Statuetten des Domportales vergleicht, dann
muß man doch wohl »die Riesenschritte des Genies« an-
erkennen.

Beim St. Georg entspricht diese Standard in unüber-
trefflicher Weise dem Standet. Allgemein aber ist dabei
die Frage, ob es sich um eine Nischenfigur mit Front-
ansicht oder um eine Freifigur mit allseitiger Wirkung
handelt, gleichgiltig. In der Ponderation der Figuren
konnte auch jeder Maler das Gleiche leisten. So betont
Vasari diese selben Gesichtspunkte auch für die Gestalten
in den Fresken Masaccios. Rundfiguren, die man in der
Nähe umschreitend betrachten soll, hat Donatello verhältnis-
mäßig selten geschaffen. An erster Stelle wären der Bronze-
David, der Martelli-Johannes und der Gattamelata zu nennen.
Die »Judith« ist als »Freigruppe« entschieden verfehlt.
— Sollen diese Werke allein Donatellos »statuarische Kunst«
zeigen? Das meint Swarzenski offenbar nicht, denn an andrer
Stelle spricht er gleichwertig mit der »statuarischen« Kunst
ganz allgemein von der »Durchführung des plastischen
Motives«, also doch etwa von Ähnlichem wie »Standart« und
»Ponderation«. Dann aber führt das Wort »statuarisch«
hier überhaupt irre. Der Gegensatz zu: »dekorativ« müßte
lauten: »monumental«. Will Swarzenski den »Georg«
aber etwa »unmonumental« nennen?

Eine andere Frage bleibt freilich, ob die Entwickelung
des statuarischen Problems wirklich, wie Swarzenski sagt,
»in jedem Bildhauerleben den Schicksalsfaden bildet« und
vollends in dem Donatellos. Ich glaube, daß Donatello
als Erzähler mindestens ebenso groß ist wie als Statuen-
bildner, und es ist doch bezeichnend, daß gerade seine
Reliefkunst die kunsthistorische Arbeit immer von neuem
lockt. Das Grundproblem heißt: Donatello, der Menschen-
 
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