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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schmidt, Karl Eugen: Pariser Brief, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0194

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371 Pariser

dient einem doppelten Zweck und ist von zwei Ge-
sichtspunkten zu betrachten: erstens vom patriotischen,
zweitens vom künstlerischen. Herr Bouchot, der Leiter
des hiesigen Kupferstichkabinetts, ist als guter Patriot
schon seit Jahren bemüht darzutun, daß die franzö-
sische Kunst den Ausländern nichts verdankt. Und
als er vor zwei Jahren die primitiven Vlamen in
Brügge gesehen hatte, kam ihm die Idee, der Welt
zu zeigen, daß die gleichzeitigen Franzosen mindestens
ebenso tüchtig gewesen seien als die Italiener und
Vlamen. Ob das gelungen ist, mag von gründ-
licheren Kennern festgestellt werden. Vor allen Dingen
würde den Forschern die Aufgabe zufallen, den Ur-
sprung jedes einzelnen Bildes festzustellen, um zu
sehen, ob es wirklich auf französischem Boden und
von einem französischen Urheber entstanden ist. Hier
kann auch schon der mit diesem Gegenstande nur
einigermaßen Vertraute bemerken, daß die Veranstalter
der Ausstellung in ihrem patriotischen Bemühen gerne
alles französisch nennen, was ihnen irgend in den
Rahmen paßt. Herr Lafenestre, der das Vorwort zum
Katalog geschrieben hat, möchte sogar Roger van
der Weyden als Franzosen ansprechen, und obgleich
es jetzt deutsche Kunstschriftsteller gibt, die diesen
guten Niederdeutschen beharrlich Rogier de la Pasture
nennen, dürfte diese Umnationalisierung doch nicht
so ohne weiteres zu bewerkstelligen sein. Herr La-
fenestre meint, die Italiener hätten Roger nicht anders
als »Rogerus Gallicus« genannt, die Bewohner von
Doornik seien in Sprache und Sitten französisch ge-
wesen, Artois, Hennegau, Brabant und Südflandern
hätten sich französischer Kultur und Sprache erfreut.
Das ist heute wohl richtig, stimmt aber durchaus nicht
für die Zeit, welcher die hier ausgestellten Werke ent-
stammen. Der Geograph Reclus, dem man in diesem
Punkte sicherlich mehr Glauben schenken darf als
seinem Landsmann Lafenestre, sagt in seinem Werke
über Frankreich, daß im Mittelalter die Sprachgrenze
von der Somme gebildet wurde, dergestalt, daß man
bis zu den Toren von Abbeville und Amiens noch
vlämisch sprach. Und unter den Malern und Bild-
hauern in Paris, Dijon und selbst Avignon befanden
sich viele, deren Namen allein schon ihren nieder-
deutschen, resp. vlämischen Ursprung dartun, ganz
abgesehen von der unverkennbaren Ähnlichkeit dieser
primitiven, auf französischem Boden entstandenen
Kunstwerke mit den gleichzeitigen vlämischen Arbeiten.

Was den künstlerischen Wert dieser im übrigen
ungemein interessanten Ausstellung anlangt, so wird
darüber von berufener Seite in der »Zeitschrift für
bildende Kunst« gehandelt werden. Nur so viel sei
hier schon gesagt, daß selbst die Glanzstücke des
Meisters von Moulins, Nicolas Froments, Foucquets,
Enguerrand Charontons und die dem mysteriösen
Jehan Perreal zugeschriebenen Arbeiten sich neben
den gleichzeitigen Gemälden der kölnischen Schule
höchstens als ebenbürtig behaupten, während auch die
allerbesten davon kaum neben den großen Vlamen be-
stehen können.

In den Gewächshäusern der Stadt Paris, die zur
Weltausstellung am Seineufer errichtet wurden, und

Brief

seither acht Monate im Jahre zu allen möglichen Aus-
stellungszwecken dienen, wird gegenwärtig die Jahr-
hundertfeier Raffets und Isabeys begangen, die beide
im Jahre 1804 geboren sind. Aus Pietät für den
Sohn hat man dann auch einige Werke von dem
älteren Isabey, dem gefeierten Miniaturisten des kaiser-
lichen Hofes, in die Ausstellung aufgenommen, und
da dann immer noch viel Platz war, hat man sich,
da Raffet einer der Fürsten der Lithographie war und
auch die beiden Isabey diesem Kunstzweige, wenn
auch weniger ausgedehnt, huldigten, die modernen
Pariser Lithographen zum Ausstellen eingeladen. Was
Raffet anlangt, so bringt die Ausstellung eigentlich
nichts Neues. Die gezeigten Blätter sind alle längst
bekannt und geschätzt, und die wenigen kolorierten
Zeichnungen und Gemälde können seinen Ruhm
durchaus nicht erhöhen, da er hier bei weitem nicht
auf der gleichen Höhe wie als Lithograph steht.
Immerhin ist es sehr hübsch von den Veranstaltern,
daß sie die unvergleichlich schönen Lithographien
Raffets, in der Mehrzahl der Verherrlichung der na-
poleonischen Legende geltend, hier dem allgemeinen
Publikum in guten Blättern und ziemlich lückenloser
Folge vorführen.

Der ältere Isabey, Jean Baptist, ist mit mehreren
überaus zarten und anmutigen Miniaturen, sodann mit
einer ganzen Folge von Kostümschilderungen von der
Kaiserkrönung Napoleons und mit einigen sehr amü-
santen Karikaturen vertreten, von dem jüngeren sind
außer zahlreichen Lithographien viele Ölgemälde, zu-
meist Seestürme und Hoffeste zusammengebracht. Was
diese letzteren anlangt, so besitzt der Louvre seit der
Einrichtung der Thomy-Thierry-Säle davon eine so
glänzende und vollständige Sammlung, daß diese Aus-
stellung uns nichts Neues bringen kann. Die See-
stürme haben ihrerzeit ihren großen Erfolg wohl
nicht zum geringsten Teil dem dramatischen Interesse
verdankt, welches der Gegenstand mit seinen grau-
sigen Details von ertrinkenden, verzweifelnden, ver-
brennenden Menschen u. s. w. beim Beschauer erzeugt.
Jedenfalls aber war Eugen Isabey ein höchst inter-
essanter und farbengewaltiger Künstler, und in einigen
seiner prächtig leuchtenden und schillernden Bilder
erinnert er an Monticelli und Diaz, die wohl von ihm
gelernt haben mögen.

Was die moderne Abteilung anlangt, so finden
wir hier so ziemlich dieselben Leute und dieselben
Arbeiten wieder, die wir vor einigen Monaten in der
Ausstellung der Peintres-Lithographes gesehen haben.
Technisch und künstlerisch der Interessanteste ist wohl
Albert Belleroche, der hier mit einigen zwanzig Blättern
vertreten ist. Die meisten anderen empfehlen sich
nur von einer Seite: als Techniker Dillon und Neu-
mont, als Künstler Fantin-Latour, Legros, Leandre,
als Karikaturist mit seltsamen und verschrobenen, oft
sehr künstlerisch ausgedrückten Gedanken Jean Veber.
Eine besondere Erwähnung verdient noch Maurice
Eliot, der in seinen Pastellen und Ölgemälden kaum
je so delikat und fein wirkt wie in diesen ganz ent-
zückenden, zart hingehauchten Lithographien, die mit
den ganz im Gegensatze dazu energisch und kräftig
 
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