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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schumann, Paul: Neues von Max Klinger
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XV. Jahrgang 1903/1904 Nr. 24. 6. Mai

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur Zeitschrift für bildende Kunst« und zum >Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

NEUES VON MAX KLINGER

Eine Welt von Oedanken und Beziehungen durch-
wandern wir, so sagt Woltmann, wenn wir Hans Hol-
beins Bilder des Todes betrachten. Kraftvoll sprengte
Hans Holbein die alte enge Kette des Totentanz-
gedankens, den die Geistlichkeit in den Dienst der
Religion und der Kirche genommen hatte, aber das
Totengerippe behält er allenthalben bei, mag es auch
hier und da in den realistischen Lebensbildern nur
als satirische Todesdrohung oder gar nur als Vision
erscheinen, die den Handelnden des Bildes überhaupt
unsichtbar bleibt. Nur in einem Bilde, dem des Aus-
sätzigen, läßt Holbein das Gerippe weg: dem elenden
Siechen würde der Tod Erlösung sein, für ihn be-
deutet das Ausbleiben des Todes das höchste Elend.
So geht schon Holbein weit hinaus über die mystisch-
religiöse Auffassung des Mittelalters, welche den Tod
als der Sünde Sold und die Gleichheit aller Menschen
vorm Tode unter dem konventionellen Bilde des Tanzes
darstellte.

Bis in unsere Zeit hinein hat die Kunst dem
Todesgedanken keine neue Auffassung abzugewinnen
gewußt. Alfred Rethel erst hat den Gedanken vom
Tod als Erlöser, den wir bei Holbein nur als ein
Negatives finden, auch positiv gefaßt in seinem wunder-
vollen Blatte der Tod als Freund. Unserer Zeit ent-
spricht aber die neue Auffassung des Todes als etwas
Großes und Erhabenes, als etwas Feierliches und Ma-
jestätisches. Denken wir an Attinghausens Tod im
Schillerschen Teil und an die Worte aus Schillers Lied
von der Glocke:

Müßig sieht er seine Werke und bewundernd untergehn.

So verfeinert sich die künstlerische Darstellung des
Todes vom Furchtbaren, Schreckhaften zum ästhetisch
Bedeutsamen, zum feierlich Erhabenen. (Mit beson-
derer Klarheit entwickelte diese Gedanken Fritz Schu-
macher in seinem Vortrage, den er beim diesjährigen
Goethebundestage in Dresden hielt.)

Wir erleben diese Umgestaltung des Todesgedan-
kens in Max Klingers Bildern vom Tode, jener groß-
artigen Folge von Radierungen, deren zweite Reihe
jetzt ihrem Ende zugeht. Zu den sechs Bildern, die
schon vorlagen — Elend, Und doch, Mutter und Kind,
Versuchung, Zeit und Ruhm, An die Schönheit —

sind kürzlich drei neue gekommen: Künstler, Pest,
Integer vitae.

In drei ganz verschiedenen Auffassungen tritt uns
in den drei Blättern der Gedanke des Todes gegen-
über: einmal als der furchtbare Vernichter, dann ab-
geschwächt als die elende Wirklichkeit des Lebens
im Gegensatz zum hochfliegenden Künstleridealismus,
endlich abgeklärt als die fühllos thronende, über alles
unerbittlich hinweggehende Macht der Zeit. Das
Knochengerippe des Mittelalters kommt in den drei
Darstellungen so wenig vor wie in irgend einem der
vorausgehenden Bilder vom Tode.

Betrachten wir zunächst Die Pest. Wir schauen
in den engen Saal eines Krankenhauses, in dem die
Todgeweihten in zwei Reihen Bett an Bett liegen.
Grausige Szenen spielen sich ab: mit gefalteten Hän-
den flehen dahinten zwei jugendliche Kranke im
innigen Gebet zum Kreuz empor, die Schwester in
der Ecke verbindet ihr Gebet mit dem der Todkranken.
In tiefer Verzweiflung, das Haupt in die Hände ge-
stützt, sitzt ein Greis auf dem Bettrande, andere wieder
winden sich in furchtbaren Qualen auf ihrem Lager;
im Nebensaal, durch dessen offene Tür wir schauen,
reckt ein nackter Kranker den sich verdrehenden Leib
am Fensterkreuz empor. Mit irren Blicken im Fieber-
wahn starrt uns hier einer an, da liegt einer hilflos
neben seinem Bette, ein dritter kämpft eben den
letztes Todeskampf und — o Grauen! auf seinem
Bette sitzen schon, die Beute gierig erlauernd, zwei
Raben. Ja, das Grauen des Todes rauscht durch die
Halle des Entsetzens, wir sehen ihn erschauernd in
den jäh emporflatternden Vorhängen, wie in den
geisterhaften schwarzen Vögeln, die wie ein grausiges
Verhängnis über den Kranken schweben. Aber dem
Grauen ersteht ein Gegner: hochaufgerichtet steht am
Bette des Kranken im Vordergrunde da eine barm-
herzige Schwester; in heiliger Entschlossenheit mit
dem Rosenkranz in der Rechten sucht sie die grauen-
vollen Tiere zu verscheuchen, während sie mit der
Linken den sterbenden Kranken schützt, der die Arme
krampfhaft emporstreckt.

Welch eine Kraft der Wirklichkeit liegt in dieser
Darstellung — wie vergeistigt aber zugleich, wie von
künstlerischer Kraft beseelt tritt uns dieses grausige
Bild der Wirklichkeit entgegen! Wie durchschauert
uns die grausige Stimmung des Todes und wie er-
 
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