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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schmidt, Karl Eugen: Die St. Louiser Weltausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0242

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Die St. Louiser Weltausstellung

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Die Anlage ist also nicht vollkommen, aber sie
ist doch weit vollendeter als vor vier Jahren in Paris.
Ein ganz vollkommener Plan müßte die sämtlichen
Baulichkeiten einem großen Grundgedanken unter-
ordnen, dergestalt, daß jedes einzelne Gebäude nur
ein organisch eingefügtes Glied des großen Ganzen
wäre. Hier in St. Louis ist das nur mit etwa der
Hälfte der offiziellen Baulichkeiten der Fall, die in
vier Reihen fächerartig geordnet sind und ihren
Knotenpunkt in der hoch auf dem Hügel liegenden,
mit ihrer hohen Kuppel das ganze Gelände beherrschen-
den Festhalle finden. Meines Erachtens wäre es nicht
allzu schwierig gewesen, die übrigen Gebäude als
weitere Fächerstäbe anzureihen und so die ganze An-
lage zusammen zu fassen. Als der Architekt sich
mit dem Zusammenfassen von acht oder zwölf Bauten
begnügte und die übrigen über Feld und Wald zer-
streuen ließ, bezeichnete er damit die Grenzen seiner
künstlerischen Gestaltungskraft.

Der Weltausstellungsplatz in St. Louis zeichnet
sich durch den anmutigen Wechsel von Berg und
Tal aus, der von den Architekten in der Hauptanlage
benutzt worden ist, im übrigen aber vielleicht noch
besser hätte ausgenutzt werden können. In der Haupt-
anlage, der einzigen, die einen Plan aufweist, hatte
der Architekt über eine Ebene zu verfügen, aus der
sich ein mäßig hoher Hügel erhebt, während am
Fuße dieser Anhöhe ein Bach fließt. Auf den Hügel
stellte man also eine Anlage, die in den großen Zügen
mit vielen anderen ähnlich situierten Bauten über-
einstimmt. Das Palais de Longchamp in Marseille
und der Trocadero in Paris bestehen wie der St.
Louiser Bau aus einem höheren und stärkeren Mittel-
bau, der durch niedrigere Galerien mit zwei an den
Endpunkten errichteten Pavillons verbunden ist. Die
ganze Seite des Hügels ist dann zu Treppen und
Wasserfällen benutzt worden, und von jedem der drei
Pavillons hat man den Durchblick zwischen eine
Palastreihe, zunächst über die Treppen und Kaskaden,
dann über den See am Fuße des Hügels, endlich
über Rasen und Kieswege. Acht offizielle Bauten,
in vier Reihen zusammengestellt, flankieren diese
Durchsichten, und sie bilden mit dem Hügelbau alles,
was zu dem Gesamtplane gehört. Die mittlere Durch-
sicht ist breiter als die beiden an den Seiten, und in
ihrer Achse steht das große Louisianamonument, eine
starke Säule mit einer krönenden weiblichen Figur.

Der ganze Eindruck dieser Anlage ist ausgezeichnet,
festlich und prächtig, und nichts auf der Pariser Aus-
stellung könnte sich damit vergleichen. Auch die
einzelnen Gebäude scheinen mir weniger zucker-
bäckerlich empfunden als seiner Zeit in Paris. Nur
mit der Skulptur hätte man bedeutend sparsamer um-
gehen können. Da sind so viele allegorische Frauen-
zimmer, berühmte Louisianer, Viergespanne und Putten
über Gebäude, Wege und Rasen ausgeschüttet, daß
dem Beschauer beinahe schwindlig werden könnte.
Mehr Sparsamkeit wäre hier um so mehr am Platz
gewesen, als unter all dieser ungeheueren Schar von
Gipsfiguren kaum eine wirklich gute ist, kaum eine
einzige Arbeit, die mehr als die ephemere Existenz

einer Ausstellungsfigur aus Staff verdient hätte. Am
Abend, bei der Beleuchtung, wenn die Flammen nur
die großen Linien der Bauten bezeichnen und das
ganze Beiwerk im Dunkel verschwindet, machen sich
die Gebäude besser als am Tage, wo man durch den
überreichen plastischen Schmuck gestört wird.

Die einzelnen Gebäude zu beschreiben, wäre un-
nötige Mühe. Die Amerikaner wissen gar nicht, daß
sie einen im Lande geborenen, aus den Notwendig-
keiten ihres Lebens erwachsenen eigenen Stil besitzen.
Das müssen erst die Europäer für sie entdecken. In
ihren ungemein hübschen und praktischen Wohn-
häusern wie in ihren riesenhohen sogenannten Wolken-
kratzern zeigt sich dieser eigenartige amerikanische
Stil, den man übrigens auch schon an den ebenso
schönen wie einfachen und praktischen Möbeln er-
kennen kann, die jetzt auch in Europa eingezogen
sind und allenthalben, zunächst nur für Geschäfts-
räume, nachgemacht werden. In diesen Dingen, und
ich könnte das mannigfaltige hiesige Tischgeschirr
hinzufügen, bildet sich der amerikanische Stil aus,
von dem die Amerikaner nichts wissen wollen, sobald
es sich um etwas anderes als um eine praktischen
Zwecken dienende Sache handelt. Sowie sie etwas
bauen, das »schön« sein soll, vergessen sie all ihr
praktisches Können und jagen irgend einem berühmten
europäischen Vorbild nach. So weist kein einziges
amerikanisches Kapitol, keine Universität, keine Kirche,
kein Rathaus den amerikanischen Stil auf, den wir
bei den Wohn- und Geschäftshäusern finden, sondern
überall springen uns hier die europäischen Vorbilder
entgegen.

So war denn auch auf der Ausstellung in Chicago
nichts von amerikanischem Stil zu merken, und eben-
sowenig merkt man hier in St. Louis etwas davon.
Ägyptische, griechische, römische, gotische Reminis-
zenzen, Erinnerungen aus Renaissance, Barock und
Rokoko, alles findet man in den offiziellen Gebäuden,
alles, nur nichts Amerikanisches. Wie schon oben
gesagt, sind die anscheinend festen Marmormauern
aus dünnem Stuck, wie sie es schon in Chicago und
in Paris gewesen sind. Während aber in Paris das
tragende und haltende Gerüst aus Eisen und Stahl
war, mußte man hier Holz nehmen, aus dem sehr
triftigen und echt amerikanischen Grunde, daß der
Stahltrust bei dieser Gelegenheit ein Riesengeschäft
zu machen gedachte und seine Preise zu Ehren der
Weltausstellung zur übertriebensten Riesenhöhe auf-
schraubte. Statt nun das Holz auch außen zur Geltung
zu bringen, hat man es ebenso sorgfältig versteckt,
wie man es seiner Zeit in Paris mit dem Eisen tat,
und das wirkt hier noch komischer und unerfreulicher,
weil viele der gewählten Stile von der Holzkonstruktion
ausgehen und also sehr gut das offenbare Zutagtreten
des Materials vertragen hätten. Es 'ist nun sehr
komisch, wenn über einem Portal ein Tragbalken
mühsam mit Stuck und Pappe nachgeahmt ist, während
drinnen wirklich ein Balken den Aufbau trägt.

Am unangenehmsten fällt das Verstecken des
Materials an dem Gebäude für Forstwesen auf. Die
Pariser hatten ganz richtig gefühlt, daß hier eine dem
 
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