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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schleinitz, Otto von: G. F. Watts
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F. G. Watts t

516

krischen Weg einschlug. Meiner Ansicht nach be-
geht man einen Irrtum, wenn man den Meister zu
den Präraffaeliten zählt, denen er vielmehr ganz selb-
ständig und eigenartig gegenübersteht; obgleich er
große Sympathie für diese Brüderschaft bekundete, so
weiß ich doch aus seinem eigenen Munde, daß er
formell in keinerlei Beziehungen zu ihnen stand, und
es unbegreiflich fand, daß man seine Kunst als inner-
lich verwandt mit jener Schule betrachtete. Im übrigen
bleibt Watts der große Moralist, der nichts von dem
Ausspruch wissen wollte: »Die Kunst für die Kunst!«
Die vollständige Beherrschung der Technik war ihm
die selbstverständliche Voraussetzung für jedes höhere
Schaffen, dagegen lobte er alle ihm wirklich gut
dünkenden Werke, ganz unabhängig davon, welcher
Schule sie entstammten. Er nannte sich selbst den
Maler von Ideen!

In sehr jugendlichem Alter besuchte Watts die
akademische Malerschule, aber die daselbst ausgeübte
Lehrmethode sagte ihm so wenig zu, daß er die
Akademie bald verließ, sich selbst auszubilden suchte,
zu diesem Zweck die sogenannten »Elgin Marbles«
im British Museum als seine Vorbilder betrachtete
und demnächst in dem Atelier des Bildhauers William
Behnes arbeitete. Letzterer hat eine Statue für die
Stadt Coventry »Lady Godiva« geschaffen. Sie opfert
sich für ihre Untertanen, indem sie nackt durch die
Stadt reitet. Charakteristisch und abweichend von
Behnes hat Watts das Thema derart aufgefaßt, daß
er den Akt der Selbstaufopferung als vollendet
darstellt.

Wer wollte und möchte es glauben, daß der
Meister in seinen ersten Bildern einen gewissen Ein-
fluß von George Morland erkennen läßt. In einer
im vorigen Jahre durch Mrs. Kassell Barrington in
»Leighton House« veranstalteten Ausstellung befanden
sich eine ganze Reihe solcher landschaftlicher mit
Figuren versehene Bildchen. Entscheidend für Watts
wurde sein Aufenthalt in Italien bei Lord Holland
und der Umstand, daß er an dieser großen englischen
kunstverständigen Familie dauernde Gönner fand. In
dem Schlosse »Holland House« war dauernd ein
Zimmer für ihn reserviert. Hierselbst befinden sich
zahlreiche seiner Werke. Sein ursprüngliches Heim
»Old little Holland House« ist längst abgerissen
und seine Behausung, in der er starb, »New Little
Holland House« besteht erst seit kürzerer Zeit. Leider
ist die dortige Bildergalerie nicht mehr zu sehen, da
der Meister noch kurz vor seinem Tode dicht neben
seinem Landhause in Limnerslease eine neue Galerie
erbauen ließ und dort seine meisten Kunstschätze
unterbrachte.

Durch seine Siege in den Wettbewerben zur
Ausschmückung des Parlamentsgebäudes lenkte er
zuerst die allgemeine öffentliche Aufmerksamkeit auf
sich. Die besonders kunstsinnige griechische Familie
Jonides wurde ein derartig treuer Anhänger von dem
Meister, daß er fünf Generationen von ihnen porträ-
tierte. Watts sagt: »Ich male auch deshalb schon
zahlreiche Porträts, weil ich nicht nur die ideale,
sondern auch die reale Seite der Kunst pflege und

mit dieser in beständiger Fühlung bleiben will.«
Durch seine großmütigen Schenkungen an die »Portrait
Gallery« hat er ein wahres Pantheon aller geistiger,
zeitgenössischer, bedeutender Männer Englands ge-
schaffen: Staatsmänner, Philosophen, Dichter, Gelehrte,
Künstler und Soldaten. Von ihm gemalt zu werden
galt als eine höchste Auszeichnung, denn jedermann
wußte, daß der Meister durch keine Verlockung zu
bewegen war, eine ihm nicht zusagende Persönlich-
keit zu porträtieren. In den letzten Jahren hat er
ausnahmsweise zwei Bildnisse für 50000 Mark an-
gefertigt, um damit einer wohltätigen Stiftung zu
dienen.

Die »Täte Gallery« besitzt bekanntlich durch
Schenkung von Watts eine Sammlung seiner symbo-
lischen Werke, die auf jeden Beschauer einen über-
wältigenden Eindruck ausübt. Wer diesen Saal be-
tritt, hat den Eindruck, als wenn er sich inmitten eines
Heiligtums befände. Der Tod spielt in allen seinen
Werken eine eben so große Rolle wie die Liebe.
Ich erinnere nur an »Liebe und Tod« und an »Liebe
und Leben«. Ein ergreifendes Werk voll edler Hoheit
ist »Der Todesbote«, der nun auch den Meister selbst
friedlich berührte. In dem Bilde »Liebe und Leben«
fand ich meinem Gefühl nach die weibliche Figur
nicht schön genug. Ich bat den Künstler deshalb
um Aufklärung und erhielt zur Antwort: »Ich habe
mit Willen diese Gestalt zart, schwächlich und nicht
schön dargestellt, denn umgekehrt braucht sie keine
Hilfe, dann hilft sie sich selbst; ich will aber das
Mitleid der Menschen für die Schwachen erwecken!«

Trotzdem kein einziges seiner moralisierenden
Werke einen ausgesprochen dogmatischen Charakter
trägt, so sagt doch sowohl die katholische wie die
evangelische Kirche, daß man jene getrost über dem
Altar aufhängen kann. Trotzdem er nach letztwilliger
Bestimmung verbrannt wurde, nahm die Geistlichkeit
der St. Pauls Kathedrale keinen Augenblick Anstand,
daselbst eine erhebende Gedächtnisfeier für den großen
Toten zu veranstalten. In gedachter Kirche befindet
sich das von ihm gemalte Bild »Zeit, Tod und Ge-
richt«. Des Meisters Asche ruht dicht neben der
von ihm und der treuen Lebensgefährtin entworfenen
Kapelle in Compton bei Limnerslease. Vasari erzählt
uns, daß es zu seiner Zeit Gemeinden gab, in der
jeder einzelne nicht nur zum Bau oder Ausschmückung
des Gotteshauses beitragen, sondern auch eine un-
mittelbare Handleistung dabei verrichten wollte.

So verhält es sich mit der erwähnten Kapelle in
Compton. Kein Einwohner des Dorfes wollte dem
Meister zu Liebe unbeteiligt bei dem Bau der von
ihm entworfenen Kapelle sein.

Die intimsten Freunde von Watts nannten ihn bis
zu seinem Lebensende, bezeichnend genug für seine
italienische Grundlage, »Signor«. Einzelne Bilder
sind auch so von ihm signiert. In dem ihm per-
sönlich näher stehenden Kreise wurde er allgemein
»lieber Meister« angeredet, und nicht minder be-
zeichnend ruhte hierbei der Akzent auf dem ersten Wort.
Ich habe niemals in meinem Leben einen bedeu-
tenden Mann kennen gelernt, dem es so schwer wurde,
 
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