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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Schmidt, Karl Eugen: Die ausländische Kunst in St. Louis
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0274

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Die ausländische Kunst in St. Louis

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werden, soweit es ihre Größe zuläßt. In dem einen
Saale finden Sie alle Leute, deren Namen mit A an-
fängt, daneben kommt B, C u. s. w.

In Paris schadet diese Barbarei den französischen
Künstlern nicht, weil man da nichts besseres zu sehen
bekommt. Bei einer Weltausstellung aber ist das
anders. Hier vergleicht der Besucher nicht nur die
ausgestellten Werke, sondern auch die Ausstattung der
Säle. Die Franzosen haben hier besondere Anstren-
gungen gemacht: Besnard hat, wie der Katalog freudig
meldet, den Fries gemalt, der oberhalb der ochsen-
blutigen Wand unter der Decke hinläuft. Besnard hat
dabei nicht viel Gehirnschmalz zugesetzt. Er hat eine
einzige Frauengestalt gezeichnet, sitzend, in faltigem
Gewand, beide Arme nach den Seiten ausstreckend,
wo die Hände Kugeln und Palmenblätter berühren.
Diese Gestalt ist dann mit der Schablone vervielfältigt
und in allen französischen Sälen hundertmal als Fries
hingemalt worden, die Hände berühren einander, und
so halten immer je zwei Nachbarinnen Kugeln und
Palmenblätter, und zwischen je zwei Gestalten stehen
die Worte Ars und Industria. Besnard ist ein feiner
und großer Künstler, aber diese Geschichte hier ist
recht armselig und seiner nicht würdig. Wenn er
einmal seinen Namen für eine solche Sache hergibt,
muß er auch etwas Anständiges machen. Noblesse oblige.

Die Deutschen hatten ebensoviel Platz für nur
etwa den dritten Teil Arbeiten. Sie konnten also ihre
Bilder so hängen, daß keins vom Nachbar geschädigt
wird. Sie brauchten nicht drei Bilderreihen überein-
ander anzubringen, wie das die Franzosen in manchen
Sälen getan haben, und sie konnten ihre leeren Wände
würdig ausgestalten. Dies ist in durchaus vornehmer
und ansprechender Weise geschehen. Der erste Saal
ist z. B. trotz der schlechten Bilder, die da hängen,
ein weihevoller und schöner Raum. Man ist hier
nicht im Bazar, wie bei den Franzosen, sondern in
dem würdigen Empfangssaal eines Fürsten. Einen ähn-
lichen vortrefflichen Eindruck machen alle deutschen
Säle, deren jeder anderen Wand- und Bodenbelag und
besonderen Schmuck von stilvoll bemalten Stuckorna-
menten über den Türen hat. Die deutsche Abteilung
sieht, wenn man aus der französischen kommt, so
nobel, festlich und vornehm, die französische so elend,
schofel und billig aus, so krämerhaft und »pompier«,
wie die Pariser sagen, daß sich kein Besucher diesem
Eindruck entziehen kann. Hätte das Deutsche Reich
etwa die Hälfte der ausgestellten Sachen daheimge-
lassen und dafür die besten Arbeiten der Sezessionisten
nach St. Louis gebracht, so wäre die französische
Kunst ganz und gar aus dem Felde geschlagen worden.

Aber auch schon, wie die Verhältnisse liegen,
schneiden die Deutschen besser ab als die Franzosen.
Zwar hängen viele Sachen in den deutschen Sälen,
die herzlich wenig Beruf haben, die deutsche Kunst
des letzten Jahrzehntes zu vertreten, aber es fehlt auch
nicht an guten Bildern, und diese guten Bilder hängen
so, daß man sie mit Muße und Genuß beschauen
kann. In den französischen Sälen ist das Verhältnis
der guten zu den schlechten und langweiligen Sachen
kaum besser als bei den Deutschen. Auch hier haben

die alten Herren der Akademie, die Membres de l'In-
stitut die besten und schönsten Plätze eingenommen,
und auch hier hätte man die gute Hälfte aller aus-
gestellten Arbeiten weglassen müssen, wenn man
nur repräsentative Werke hätte zeigen wollen. Und
dazu gesellt sich als erschwerender Umstand das Auf-
einanderdrängen der Bilder, das kein einziges zur
Geltung gelangen läßt, und das geschmacklose Zu-
sammenhängen, das beispielsweise eine zarte Abend-
stimmung durch ein danebengehängtes koloristisches
Bravourstück erschlägt.

Und streng genommen hängt bei den Franzosen
mehr Schund als bei den Deutschen. Ich meine da-
bei nicht nur Schund vom künstlerischen Standpunkte,
sondern absoluten Schund. Es gibt sehr schlecht
gemalte Bilder, die aus irgend einem Grunde dem
Publikum gefallen und denen deshalb eine gewisse
Berechtigung zur Ausstellung nicht abgesprochen wer-
den kann. Werners kolorierte Photographien interes-
sieren den großen Haufen ungemein und sind hier
stets von vielen Menschen umlagert, welche die dar-
gestellten historischen Persönlichkeiten zu erkennen
und zu benennen suchen. Es gibt aber Bilder und
leider recht viele, die weder künstlerisch noch durch
den Gegenstand interessant sind. Solche hat das
Deutsche Reich nicht nach St. Louis geschickt, aber
in den französischen Sälen gibt es deren eine ganze
Anzahl, deren Anwesenheit man sich nur durch per-
sönliche Beziehungen der Urheber oder Urheberinnen
zu den maßgebenden Leuten der französischen Ab-
teilung erklären kann.

Nach all dem gesagten läßt sich feststellen: eine
Niederlage hat die deutsche Kunst in St. Louis trotz
dem Ausbleiben der Sezessionen nicht erlitten, aber
sie hätte hier einen glänzenden, durchschlagenden Sieg
erfochten, wenn alle Streitkräfte zugegen gewesen und
die Marodeure daheim geblieben wären. Auf die aus-
gestellten Bilder und Skulpturen näher einzugehen,
hieße Eulen nach Athen tragen. Alles, was in der
deutschen wie in der französischen Abteilung gezeigt
wird, ist in Europa stattsam bekannt. Auf beiden
Seiten sind auch einige große Tote herangezogen
worden. In Deutschland Hans von Marees, Feuerbach,
Leibi und selbstverständlich Lenbach, der ja bei Be-
schickung deser Ausstellung noch lebte, in Frankreich
Puvis de Chavannes, Pissarro und Sisley. Diese beiden
Impressionisten, sowie Claude Monet und Renoir sind
mit recht guten Proben ihrer Kunst vertreten, aber
sie hängen so schlecht und ungünstig, daß sie ihre
Bedeutung durchaus nicht zeigen können. Alles in
allem gewinnt man in der französischen Abteilung
einen besseren Überblick über die gesammte franzö-
sische Kunst der letzten 10 Jahre als in der deutschen,
aber die Veranstalter der französischen Sektion haben
etwas zu weit und zu tief gegriffen und nicht nur
ihre ausgezeichneten und guten, nicht nur ihre be-
rühmten und bekannten, sondern auch ihre mittel-
mäßigen, schlechten und unbekannten Maler und Bild-
hauer antreten lassen. Und in diesem breiten Sumpfe
der Mittelmäßigkeit verschwinden und ersticken die
Leute, auf die es ankommt.
 
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