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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Kruse, John: Über einige Künstlerlexika
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0276

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Über einige Künstlerlexika

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weiter als bis Bezzuoli gekommen war, wurde die Arbeit
1885 unterbrochen, und die angekündigte Fortsetzung »nach
wesentlich verändertem Plane« von Hugo von Tschudi
kam nicht über das Stadium der Vorarbeiten. Nunmehr
soll, einer Mitteilung des Verlags W. Engelmann in Leipzig
zufolge, das große und schwierige Unternehmen doch noch
verwirklicht werden. Zwei Leipziger Kunstgelehrte, Dr. Ulrich
Thieme und Dr. Felix Becker haben die außerordentlich
umfangreichen Vorbereitungen für das Meyersche Künstler-
lexikon von dem Verlage übernommen und in langjähriger
gemeinsamer Arbeit systematisch ausgebaut. Das Lexikon
soll höchstens zwanzig Bände umfassen und die Biographien
aller bildenden Künstler: Maler, Radierer, Bildhauer, Archi-
tekten und Kunstgewerbler von der Antike bis zum Be-
ginn des 20. Jahrhunderts enthalten und es soll besonderer
Wert auf die Literaturnachweise bei den einzelnen Artikeln
gelegt werden. Das Programm lautet im einzelnen sehr
verheißungsvoll und die Herausgeber hoffen es mit Hilfe
vieler namhafter Fachleute des In- und Auslandes innerhalb
zehn Jahren durchführen zu können. Es scheint also alles
gut vorgespannt zu sein zu dieser langen Lexikonreise durch
zehn Jahre und es muß ein jeder Kunstinteressierter den
beiden Leitern ein herzliches Glückauf zurufen.

Ein solches Künstlerlexikon ist freilich zu groß und
teuer für die meisten privaten Bibliotheken. Das vom Ver-
lag Rütten & Loening in Frankfurt a. M. herausgegebene
Allgemeine Künstlerlexikon, dessen zweite Auflage 1878 bis
187g mit viel Verdienst von A. Seubert redigert wurde, hat
hier eine Aufgabe zu erfüllen. Eine dritte Auflage, welche
von drei Bänden zu fünf angewachsen ist, erschien 1895
bis 1901 unter Redaktion von Hans Wolfgang Singer. Eine
große Anzahl von Künstlerbiographien von älteren Zeiten
bis zu den neuesten ist hier gesammelt und verschiedenen
billigen Ansprüchen auf ein praktisches und handliches
Lexikon wird hier Genüge geboten.

Doch leider gar nicht alle! Die letzte Auflage scheint
sich freilich im allgemeinen die eifrigen archivalischen
Studien der letzten Jahrzehnte zugute gemacht zu haben, so
daß die Biographien, natürlich mit Hilfe der prächtigen
modernen Galeriekataloge, in den rein faktischen Aufgaben
berichtigt worden sind. Es versteht sich von selbst, daß
eine Menge neuerer Künstler von Bedeutung aufgenommen
wurden. Und in einem wichtigen Punkt hat die neue Auf-
lage eine deutliche Überlegenheit über die alte, nämlich in
der Behandlung der graphischen Künstler. H. W. Singer
ist auf diesem Gebiete zu Hause und man braucht, um die
Überlegenheit der neuen Auflage in diesem Falle einzu-
sehen, nur die Artikel beider zu vergleichen über zwei
Künstler wie Herkules Seghers, der seine herrlichen Atzungen
in einem Farbenton zu drucken verstand und somit die
Idee zu farbigen Kupferdrucken gab, und den Franzosen
Gaillard (f 1887), der mit dem Grabstichel ganz wie mit
der Radiernadel zu arbeiten anfing und gleichsam als Erbe
des alten Niederländers Jonas Suyderhoef die moderne Grab-
stichelradierung einführte. Ein so hervorragender Künstler
wie Charles Meryon, berühmt durch seine radierten An-
sichten von dem alten Paris, hat jetzt auch eine würdige
Biographie erhalten. Lunois, Rops und andere moderne
Graphiker sind ebenso vortrefflich behandelt.

Aber im ganzen scheint mir die frühere Auflage besser
redigiert als die spätere.

Erstens war es eine ausgezeichnete und für weitere
Nachforschungen notwendige Einrichtung in der alten Auf-
lage, jeder Biographie ein lakonisches Verzeichnis ihrer
Quellen anzufügen. Die neue Redaktion hat wegen Raum-
mangel diese kleinen nützlichen Nachrichten gestrichen.
Sie konnten aber doch in nur äußerst geringem Grade die

Seitenzahl vermehren, da sie in »Petit« in den notwendigen
Zwischenräumen der Artikel gedruckt waren.

Ebenso sind die Faksimilia von Künstlermonogrammen
der vorigen Auflage jetzt ganz gestrichen worden, was
einen Verlust für den Wert des ganzen Werkes bedeutet.

Eine ernsthaftere Anmerkung aber ist, daß die neue
Auflage nicht mit derselben Sorgfalt, auch nicht mit der-
selben und gerechten Abwägung wie die alte redigiert
scheint. Ich bin verpflichtet, diese Behauptung mit einigen
Beispielen zu stützen.

Der Artikel über Gavarni läßt den Künstler 1801 (an-
statt 1804) geboren und den 23. (anstatt 24.) November 1866
gestorben sein. Und nun trifft es sich so, daß die richtigen
Aufgaben sich nicht nur in der Monographie der Brüder
Goncourt (auf die der Artikel hinweist), sondern auch in
der alten Auflage des Lexikons befindet!

Warum das unrichtige Geburtsjahr 1826 der alten Auf-
lage für den Maler Rudolf Henneberg nicht nach H. Riegel
und dem Braunschweiger Kataloge von 1891 in das richtige
1825 geändert ist, begreift man nicht.

Ebenso sollte das unrichtige Todesjahr der alten Auf-
lage für Adrian van der Kabel, 1695, nicht stehen geblieben
sein, da der Katalog der Münchener Pinakothek sowohl
das richtige Datum, den 16. Januar und die Jahreszahl 1705,
mitteilt, eine Angabe, die sich auf die Monographie R. de
Cazenoves (1888) über diesen holländischen Landschafts-
maler gründet.

Rembrandts Biographie, welche über eine Seite ein-
nimmt, läßt viel zu wünschen übrig. Es wird von ihm
ganz positiv behauptet, daß er sich im Jahre 1665 das
zweite Mal verheiratete. Dies ist nach allen den Resultaten der
minutiös genauen Rembrandtforschungen der letzten Zeiten
eine äußerst unsichere, lose Hypothese. Am wahrschein-
lichsten hat sich Rembrandt nur einmal verheiratet. Da-
gegen ist es eine Möglichkeit, daß er, wie Hofstede De
Groot, sich auf einige authentische Zeichnungen stützend,
annimmt, wirklich einmal eine Reise nach England gemacht,
so daß die kategorische Behauptung der Biographie, er
habe niemals Holland verlassen, jedenfalls problematisch ist.

Was wird damit gemeint, daß Rembrandt für uns einer
von den am meisten sympathischen Meistern sei, weil er,
wie es heißt, »die Kunst rein empfand und klar zwischen
dem Schönen in der Natur und dem Schönen in der Kunst
zu scheiden vermochte, gänzlich von aller Association ab-
sah«? Was ist das eigentlich für altästhetischer Unsinn?

Das Selbstporträt mit Saskia in Dresden wird ganz
auffälligerweise zu »Wein, Weib und Gesang« umgetauft
und von dem berühmten Gemälde »Samson und Delila«
in Dresden wird behauptet, es befinde sich in Kassel!
Schließlich ist es unerklärlich, daß bei der Frage von
Faksimile-Werken nach den Radierungen des Meisters nicht
das letzte und vornehmste genannt wird, die geschätzte
Arbeit des Russen Rovinski mit sämtlichen Plattenzuständen
in 1000 Phototypien (1890) wiedergegeben.

Die Biographie des großen Bildhauers Schwedens
J. T. Sergel ist von den zwanzig Zeilen in dem kleinen
Artikel der früheren Auflage, wo man doch eine kurze
ästhetische Charakteristik fand, jetzt zu neun einfach re-
ferierenden Zeilen zusammengeschmolzen und die früheren
unrichtigen Angaben über Geburts- und Todesjahre sind
beibehalten (1736 und 1813 anstatt 1740 und 1814). Wenn
es zu viel ist, von einem deutschen Verfasser Kenntnis von
Dr. G. Göthes 1898 erschienenen großen Monographie
über Sergel zu verlangen, sollte man wenigstens die Artikel
in dem Schwedischen Konversationslexikon »Nordisk Fa-
miljebok« durchgesehen haben, wo richtige Jahresangaben
gegeben werden.

Der Mangel an gerechter Abwägung der Artikel, den
 
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