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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 7 (1. Januarheft 1909)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0022
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abgezogene Gedanke und die zeitliche Wirklichkeit eine große Nolle. Aus
beiden Gründen wäre es verfrüht, wollten wir hier den rein künstlerischen
Besitzstand des Mannes genau festlegen, der überdies erst im mittleren
Lebensalter steht und eine Lußere Lcbenskrise hinter sich hat, nach der er
sich möglicherweise bestimmter für die Kunst oder für Wissenschaft und
soziale Praxis entscheiden wird. Aber das eine dürfen wir heut schon
sagen: daß dieser Holländer, wo man ihn auch fasse, eine der höchst-
strebenden und reichsten Persönlichkeiten aus unseren Lagen ist.

Fredcrik van Eeden ist MO in Haarlem geboren, als Sohn einer
Pfarrerstochter nnd eines Großgärtnerei--Besitzers, der bald darnach das
Geschäft aufgab, um Schriftsteller, Philosoph und Botaniker zu werden.
Die Eltern waren beide, wie er in einer Lebensskizze* mitteilt, von rein
holländischer Abkunft. Es braucht keine fanatische Betreibung der Ab-
stammungstheorie, um die sämtlichen drei hauptmomente dieses Ur-
sprungs wiederzufinden als Hauptmomente in van Eedens Dichtung
(und offenbar anch in seiner Lebensgestaltung): das Holländertum, den
religiösen Zug und einen Idealismus, der unterirdische Zusammenhänge
mit der Werktagswelt bewahrt. Doch würden alle drei uns wcnig an-
gehen, wenn nicht ein vicrtes darüber und drum herum wäre: die künst-
lerische Begabnng.

Die Liebe zu den Naturwissenschaften, der Wunsch, wirtschaftlich zu
nützen, und die Erwägung, daß „in Holland die Laufbahn des Arztes
mehr Ehancen bot, als die des Künstlers", trieben den Achtzehnjährigen
zum Studium der Heilkunde. Acht Iahr später promovierte er, widmete
sich darnach dem Sonderstudinm von Hypnose und Suggestion und er-
richtete schon (887 mit einem andern Arzt in Amsterdam eine Klinik für
Psychotherapie.

Nach wciteren acht Iahrcn zog er sich aus ihr zurück. Im Iahr (898
gab er die medizinische Praxis ganz auf. Aus seiner Dichtung er-
kennen wir, daß die Unzulänglichkeit der ärztlichen Wissenschaft ihm
tiefe Unbefriedigung schuf. Um jene Zeit fingen die sozialen Fragen an,
ihn theoretisch nnd praktisch in Anspruch zu nehmen. Dem sozialistischen
Parteidogmatismus hielt er sich von vornherein fern. Ihn reizte es
viel mehr, zu handeln, als zu reden. Er beteiligte sich (893 an der Grün-
dung und seitdem mit Hingabe an der Arbeit einer Landkolonie, Walden
bei Vussum, in der kommunistische Grundsätze praktisch crprobt werden
sollten.

Ein Verein „Gemeinschaftlichcr Grundbesitz", den Fredcrik van Eeden
(902 gründete, bcsteht noch. Die Beteiligung unsres Dichters an dem
großen holländischcn Eisenbahner-Strcik von (90Z führte ihn dazu, nach
der Niederlage der Ausständischen zu dcren Gunsten in Amsterdam eine
Konsumgenossenschaft zn gründen. Die brachte es bald auf sechzigtausend
Mitglieder, ging aber nach zwei Iahren an den Schwierigkeiten der
Organisation zugrunde und verschlang dabei des Gründers ganzes Ver-
mögen.

Schon im frühesten Iünglingsaltcr war sich van Eeden starkcr lite-

'* Anfangs (903 auf Wunsch seiner deutschen Freunde geschrieben und
in dem klcinen Propagandahestchen enthalten, das der Berliner Verlag
Schuster L Loeffler versendct

(. Ianuarheft (909 7
 
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