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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 9 (1. Februarheft 1909)
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Avenarius, Ferdinand: Wildenbruch
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Pfordten, Hermann von der: Felix Mendelsohn-Bartholdy: geboren am 3. Februar 1809
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0160
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Einzelnen. Er fühlte in allen seinen Tiefen den großen kategorischen
Imperativ: suche zu helfen, wo irgend etwas deiner Hilfe bedarf.
Wo ihm ein Unrecht erschien, da war er da, da sprach er. Und da
es ihm immer heiliger Ernst dabei war, so sprach er niemals, ohne
daß er viele gewann und alle erwärmte. Man beurteilt auch den
Dichter in ihm gemeinhin viel zu einseitig nach seinen Dramen allein.
Manches des menschlich meist Erfreuenden seiner Kunst lebt gerade
in seinen Erzählungeu, mehr auch als in seiner Lyrik, lebt z. B. in
seinen feinen Schilderungen von Knabenseelen. In seinen Erzählungen
konnte er ja auch leise sprechen und behaglich verweilen.

Es ist ein gutes Zeichen, daß mau jetzt Wildenbruchs Wert weit
bis in die Kreise derer hinein erkennt, die politisch seine entschiedenen
Gegner waren. Der Gedanke an ihn, der so scharfer und so scharf
bekämpfter Kämpfer war, wirkt versöhnlich durch der Gesinnung Lauter--
keit. Das legt den schönsten Kranz auf sein Grab. A

Felix Mendelssohn-BarLholdy

geboren am 3. Februar 1809

^^-in Hundertjähriger wird geehrt und gefeiert — der Seltenheit
l^wegen. Ob es sich auch lohne, von hohem Alter so viel Auf--
^^hebens zu machen, das ist eine andere Frage, und ob es in--
teressant sei, was dabei zum Vorschein kommt, das läßt sich nur
von Fall zu Fall entscheiden.

Ähnlich steht es mit der Gepflogenheit, die hundertjährige Wieder--
kehr des Geburtstages berühmter Männer zu feiern. Das sieht recht
pietätvoll aus und gibt Anlaß zu festlichen Veranstaltungen, deren
wahrer Wert sehr verschieden eingeschätzt werden muß. Denn wenn
der, dem sie gelten, für uns tot ist und tot bleibt, so vermag ihn
auch der redlichste Eifer nicht wieder auszuerwecken, und dann hat
es bei flüchtiger, wenn auch noch so rauschender Erinnerungsfeier
sein Bewenden. Wohl aber mag es nützlich und möglich sein, an
solchen Gedächtnistagen, deren Stimmung die allgemeine Empfänglich--
keit günstig beeinflußt, den Toten dem drohenden Schicksal unver--
dienter Vergessenheit zu entreißen und dem, was er geschaffen hat,
nicht etwa nur das vielgerühmte historische Interesse, sondern wahr--
haft lebendige Teilnahme neu zu sichern.

So handelt es sich also auch bei dem diesjährigen Mendelssohn--
Iubiläum um die Frage: ist er uns schon tot? Dann könnten wir
ihn höchstens zu einem Scheinleben wiedererwecken, auf die kurze
Dauer der Festzeit und der Feststimmung. Oder lebt er uns noch,
hat er uns als Mensch und als Künstler noch etwas zu sagen?
Dann heißen wir den Anlaß willkommen, der uns in diesen Tagen
auf ihn hinlenkt; dann ist es aber auch hohe Zeit, daß wir uns auf
ihn besinnen. Denn darüber dürfen wir uns keiner Täuschung hin--
geben: in weiten Kreisen weiß man nichts mehr von ihm; seine
Musik bekommen wir selten mehr zu hören; und mancher wird denken,
es sei auch nicht allzuviel daran verloren.

Mendelssohn hat ja in höchstsm Maß das künstlerisch wie mensch--
lich bedenkliche Schicksal erfahren müssen, bei Lebzeiten vergöttert, bald

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