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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 7 (1. Januarheft 1909)
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Avenarius, Ferdinand: Verstehen und Nacherleben
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0021
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fühle, und als solche um keiu Haar schwer minder wichtig ist als die
Sprache unsrer Gedanken. Wir könnten nur wiederholen, wir haben's
schon mehr als einmal ausgeführt: man vergegenwärtige sich, was
der Wegfall der begrifflichen Sprache und ihres schriftlichen Meder--
schlags für das Denken der Menschheit bedeuten würde, so hat man
das genaue Seitenbild zu dem, was der Wegfall der Kunst im weitesten
Sinne für das Gefühlsleben der Menschheit wäre. Da scheint alles
artistische Interesse denn doch nicht mehr, als ein schöner Fluß,
der ins Weltmeer fließt. Das Weltmeer ist wirklich größer, als
er. And das Weltmeer ist immer noch nicht die ganze Welt.
Da breiten sich die Reiche des Menschenseins von unsichtbaren Grenzen
der Vergangenheit weit unterm Horizont zu aufdämmernden Mög--
lichkeiten vor uns; die Millionen von Siedelungen streuen sich aus,
in denen Liebe und Haß, Irren und Rasten, Kranken und Genesen
des Menschenlebens weint und lacht; in den heiligen Hainen der
Religionen erheben sich die Tempel, auf den Bergen die Warten
des Denkens. Und mit Schwärmen von Schiffen verbindet sich's vom
einen Lande zum andern, während die kühnsten Gefühle hoch in den
Lüften, „die Brust getaucht in Morgenrot", der Sonne nachstreben.
Gerade so weit, wie die Menschheit selber, geht das Leben, aus dem
die Kunst neben ihren besonderen seine Werte, die Lebenswerte,
vermittelt. Ich muß mich im Verständnis einer Sprache üben, wenn
ich erfassen will, was drin gesagt wird, schon deshalb sind auf dem
Gebiete der Kunst Äbungen am Artistischen gewiß nicht zu unter--
schätzen. Aber nicht festkleben an der Freude an Wort-- und Satz-
gebildl Ansre große Aufgabe ist die: den einzelnen teilhaftig zu
machen an dem Gehalte, dessen Ausdruck das Tönen und Leuchten
der Kunst ist, ihn teilhaftig zu machen am großen Austausch von
Gefühlen und damit ihn zu beteiligen an der Entwicklung des
Innenlebens der Menschheit. A

Lose BLätter

Aus Frederik van Eedens Schriften

sDer holländische Dichter Frederik van Eeden ist an diescr Stelle
bereits vor zwei Iahren (Kw. XIX, W zu Wort gekommen. Aus seinem
„Kleinen Iohannes" wurden damals Proben gcbracht, die das Werk
gut kennzeichneten und auch den Ärheber, soweit er sich darin zu er-
kennen gab. Seitdem wurden mehrcre Arbeiten desselben Dichters, ältere
und neue, ins Deutsche übertragen und eines seiner Dramen in Deutsch-
land gespielt. Änsre Anschauung von seiner Art und Bedeutung muß
sich demgemäß erweitern und befestigen oder berichtigen.

Es wäre nichts Neues, wenn die vertrautere Bckanntschaft mit dem
Lebenswerk eines Schriftstellers, von dem wir nur ein Buch kannten,
uns Enttäuschung brächte. Bei van Leden erweist dergleichen Befürchtung
sich aus jedem neuen Baiwe als unbegründet.

Wir haben nün noch bei weitem nicht alles, was dieser rastlos und
vielseitig TLtige geschrieben und größtenteils in seiner Muttersprache
veröffentlicht hat. In dem, was wir bis jetzt kennen, spielen auch der

K Kunstwart XXII, 7
 
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