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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 11 (1. Märzheft 1909)
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Bonus, Arthur: Ernste Kunst und schöne Formen: auch eine Aschermittwochsbetrachtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0295
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Iahrg. 22 Erstes Märzheft 1909 Hest 11

Ernste Kunst und schöne Formen

Auch eine Aschermittwochsbetrachtung

^^ie nachfolgenden Betrachtungen kamen mir beim Studium der
(-^^Kollwitzschen Radierungen, von denen der Kunstwart heut
einige in Nachbildungen vorführt.

Diese Radierungen sind ausgeprägt naturalistisch. Sie sind den-
noch so stark Ausdruck eines Gefühls, einer Stimmung, eines tiefen
Grübelns, sind besonders auch Darstellungen einer Massensuggestiou,
daß man die oft befremdlich häßlichen Formen über dem, was sie
von Leben vermitteln, vergißt; man fühlt sich dem Schicksal gegeu-
übergestellt. Zuzeiten, wie iu einigen Blättern des neuen Bauern-
kriegzyklus, geschieht das mit einer solchen Wucht, daß die Richtung
und Intensität erreicht wird, wo gewissermaßen die Stimmung über-
schlägt und Offenbarungen der inneren Welt- und Schicksals-
bewcgung zu sehen glaubt — wo sie „religiös" wird.

Eben dieser sozusagen ungewollt religiöse Eindruck, der ohne Ver-
mittlung von Vorstellungen erreicht ist, welche religiöse Gefühle nicht
sowohl durch sich selbst erzwingen als durch Erinnerung andeuten,
eben dieser unmittelbar religiöse Eindruck ist iu unserer gewollt
religiösen Kunst überaus selten.

Mir ist es oft wunderbar vorgekommen, daß gerade unsre frommen
Kreise Gewicht darauf zu legen Pflegen, schöne Formen zu sehen.
Sachlich müßte es ihnen ja ganz ferne liegen. Sachlich müßte ihnen
ja alles daran liegen, daß das Innere, das Geistige, das Erlebnis
sich als herr über den schönen Schein erweise. „Wir sahen ihu,
aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte." „Das Lebeu
ist erschienen, und wir haben gesehen und bezeugen und verkündigen
euch das Leben."

Aber man weiß, wie sehr es anders steht bei uns: ein Maler,
der cinen nicht schönen Christus malt, gilt den meisten Kirchlichen
fast schou als des Unglaubens überführt.

Das ist wohl so, weil überall bei uns die Tradition im Mittel-
punkt der Religion steht, so daß sie zu wahren unter allen Um-
ständen für fromm gilt. Die Tradition nun ist freilich sür schöne
Formen. Ich wüßte aber nicht, daß sie es aus irgendeinem be-
sonders frommen Grunde wäre.

Man kann ein leidenschaftlicher Anhänger der schönen Linien,
Formen, Farben in der Kunst sein. Man braucht diese Schönheit,
die man licbt, ja nicht in dem zu sehen, was überkommenerweise
als „schön" gilt, aber vielleicht mehr langweilig und geistlos als
schön ist. Man gibt auch zu, daß die schönen Formen, die man
liebt, jedenfalls weder das Ganze, noch das Höchste, noch gar eine
Bedingung der Kunst sind. Nur man ist für die eigene Person
ein inbrünstiger Verehrer der den Augen gefälligen Linien. Man
wird aber auf jeden Fall zugeben müssen, daß sie, was sie auch

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