Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

DOI Heft:
Heft 10 (2.Februarheft 1909)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Otto: Wahrheitswert und Phantasiewert, [1]
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0227
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
eigene Handeln zu nehmen — wer von ihnen denkt daran?
Wenn sie nur während des Lesens ganz im Banne eines Denkers
stehen und einen mächtigen Eindruck gewinnen l Starke eigene Äber-
zeugungen würden ja nur erschweren, sich schnell in fremde Ideen
einzuleben und mit den Augen bald dieses, bald jenes großen Denkers
zu sehen. Warum sollte man also nicht bewußt den Wahrheitswert
hintenansetzen oder ihn geradezu ablehnen? And es ist dann nur
menschlich und natürlich, wenn dieser Standpnnkt von seinen Ver-
tretern als der schlechthin höherwertige, der bedeutendere, der reichere
und vielseitigere aufgefaßt wird. Karl Otto Erdmann

(Schluß folgt)

Lose Blätter

Aus Strindbergs Werken

sBjörnson, Ibsen, Strindberg — das war noch vor wenigen Iahren
für das Vewußtsein sehr vieler Literaturfreunde das große literarische
Himmelsbild, dessen drci Sterne ihnen mit ungefähr gleicher Helle über
dcm Norden zu leuchten schienen. Ietzt werden wenige mehr so denken.
Aber wie sich auch die Einsicht in Strindbergs Schwächen und damit
die Gegnerschaft gegen ihn stärken möge — es überraschen immer wieder
zwischen den allzu anfechtbaren auch Bücher einer so sichern und so
starken Kunst, daß von einer „Eliminierung" Strindbergs aus der Rcihe
der „Europäer" unter den Schriftstellern im Ernste noch gar nicht die
Rede sein kann. Er hat zu seinem sechzigsten Geburtstag ein skeptischeres,
abcr kein kleineres und vielleicht nicht einmal ein minder interessiertes
Publikum als früher.

Psychologisch genommen ist er cin Unbedingter, ein Nichts- oder Alles-
Mann, dessen Denken und Wollen ihn hemmungslos bis zu dcn äußer-
sten Grenzen führt — und auch über sie hinaus. Rücksichtslos und
scharfsichtig, selbstbewußt und oppositionslustig, wurde er in den achtziger
Iahren der Führer und Bannerträger einer literarischen Revolution in
Schweden. Dort mag cr eine ähnliche Stcllung eiugenommen haben, wie
in Deutschland Gerhart Hauptmann, nur daß Strindberg nicht von den
Führern einer Bewcgung nachträglich auf den Schild gehoben wurde,
soirdern diesc Bewegung selbst crregt hat. An dreißig Iahre sind seit-
dem verflossen, und heute ist der einst Gefeierte im Nordcn für viele
fast ein Gefehmter. Die Bcwunderung ließ nach für eine Kunst, die
sich mit Stolz naturalistisch nannte, und iiu Gruude doch nur einseitig
bclenchtete, was man früher im Dunkel hielt odcr der Darstellung unwert
fand. Abcr nicht nur das hat Strindberg vereinsamt, es wirkte ncben
dem Asthetischen auch Politisches und Persönliches mit: Strindberg hat
sich seit jener Zeit nach und nach in schroffen Gegensatz schier zu allen
„Richtungen" und Parteien scincs Vaterlandes gebracht, er, der vor
nichts Respekt und zu niemandem Vertrauen hatte. Dabei fehlt ihm
leider ganz der tzumor. Er sieht von allem nur den Ernst und nimmt
allcs schier ohne Änterschied wichtig. Am wichtigsten freilich nimmt er
sich selbst, wovon er ja durch eine große Zahl von Bekenntnis- und An°

(8^ , Kunstwart XXII, (0
 
Annotationen