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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 8 (2. Januarheft 1909)
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Avenarius, Ferdinand: Groß-Berlin: auch eine nationale Frage
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0086
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Iahrg. 22 Zweites Ianuarheft 1909 Heft8

Groß-Berlin

Auch eine nationalc Frage

«i^weierlei gab der alten Stadt die Form: Mauer, Wall und
^><Graben, die sie wehrhaft machten, und der Marktplatz, der sie
^Inährhaft machte. Die Mauer schützte vor dem Feind, der Markt-
platz lockte die Freunde und Nachbarn an, zu fröhlichem und ein-
träglichen Handel. Der prächtige Dom, das stolze Rathaus, schöne
Brunnen, später auch wohl Standbilder, schmückten ihn. Er war
nicht nur Kaufladen und Kontor, sondern auch das Prunkgemach der
Stadt. Wer ihn betrat, sollte sich des reizvollen Bildes freuen und
sich's in seinem Rahmen wohl sein lassen. Mit den andern Plätzen
und nun gar erst mit den Gassen trieb man keine Raumverschwen-
dung. Festungswerke drücken immer auf das Mauerwerk, das sie
umschließen, aber ein allzu großer Kreis läßt sich schwer verteidigen.
And da die Winter kalt und die Heizanlagen nicht die besten waren,
liebten die Bürger es auch deshalb, recht nahe aneinauder zu rücken.
Von dieser alten Stadt und ihrer besonderen Schönheit können wir
nicht allzuviel in die Gegenwart hinübertragen. Nur die Kunst,
Plätze würdevoll oder lieblich auszufüllen, die Gebäude fein gegen-
einauder abzustimmen; etwaige Flußufer malerisch zu gestalten, ohne
diese Absicht fühlen zu lassen, nur das können unsre Städtebauer
uud Architekten den Altvordern absehen. Italien bietet den Tech-
nikern, Deutschland den Dichtern unter ihnen reichere Anregung.

Die neue Stadt muß ein ganz anderes Gebild sein; sie ist das
eigentliche, bevorzugte Heim des Menschen geworden, der immer
nur urlaubsweise aufs Land geht, sonst aber durchaus aus sie an-
gewiesen ist. Das Gärtchen hinterm Hause, das Kohlfeld vorm Tore,
das den Großvätern frische Luft und Gelegenheit zu körperlicher Aus-
arbeitung bot — der Enkel weiß nichts mehr davon. Seine Stadt
entbehrt auch zumeist des starken Mittelpunktes. Berlin z. B. zerfällt,
wie jeder Kenner weiß, in sechs oder sieben ziemlich selbständige
Städte, die sich wohl an der Peripherie berühren, deren sogar in
der Wesensart verschiedene Bewohner aber sehr selten zusammen-
treffen. Sie haben nicht einmal dieselben Erholungsstätten; nicht
einmal Sonntags sehen sie sich und fühlen sich als Bürger eines
Gemeiuwesens. Die moderne Stadt bedarf also zahlreicher Plätze
und Luftkessel für den Arbeitstag, zahlreicher Parke und öffentlicher
Gärten für den Feierabend. Nnd nun erst, wieviel grünen Wald,
wieviel freies Feld hat sie für die Feiertage ihrer Bevölkerung nötigl
Die moderne Stadt muß daneben Schmuck und Schönheit über ihr
ganzes Weichbild verstreuen; keinem Platze, keiner Straßenflncht soll
man es ansehen können, daß sie allein der grauen Nützlichkeit dienen.
Es ist das wie mit dem nächtlichen Lichtergewimmel in der großen
Stadt. All diese phantastischen Lampen- und Laternenschwärme in
ihrer bewegten Buntheit; dies märchenhafte Durcheinander von gelben

2. Iauuarhcft GOst 65
 
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