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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 11 (1. Märzheft 1909)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0327
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Len verstopfteir Rinnen. Die ganze Atmosphäre schien von dieser Ver-
wahrlosigkeit vergiftet. Iedoch je weiter wir schritten, desto lauter ver°
nahmen wir die Stimmen des Lebens, nnd schließlich sahen wir ganze
Rotten des verkommensten Pöbels einhertaumeln. Die Lebensgeister des
alten Mannes flammten noch einmal auf — wie eine Lampe, die dem
Erlöschen nahe ist, und noch «inmal wnrden seine Schritte schneller. Als
wir um eine Ecke bogen, drang plötzlich ein lebhaster Lichtschein auf
nns ein — wir standen vor einem der vorstädtischen Lempel der An-
mäßigkcit — einem der Paläste des Dämons Alkohol.

Es hatte schon zu dämmern begonnen, doch drängten sich noch immer
neue Scharen elender Lrnnkenbolde durch die großen Türen aus und
ein. Mit eincm halb unterdrückten, heiseren Freudenschrei bahnte sich
der alte Mann seinen Weg und ging in seiner ursprünglichen Haltung
wieder ziel- und zwecklos unter dcr Menge auf und ab. Dies dauerte
jedoch nicht allzulange, da sich bald ein allgemeines Drängen nach den
Ausgängcn bemerkbar machte: der Wirt wollte für diese Nacht sein Lokal
schliejzen. Was sich jetzt auf dem Angesicht des sonderbaren Wesens, das
ich so hartnäckig verfolgte, abspiegelte, war mehr als Verzweiflung. Doch
hielt der Greis nicht einen Augenblick in seinem Wandern inne, sondern
wandte seine Schritte mit krankhafter Ausdauer wicder dem Herzen des
großen London zu. Rasch, in stets gleichem Tempo schritt er dahin,
während ich ihm in immer wachsender, seltsamer Verwunderung folgte.
Die Sonne g.ing auf, wie wir so dahinschritten, und als wir in dem
bclebtesten Teil dcr volkreichen Stadt anlangten und durch die Haupt-
straße mit dem großen Cafe D. kamen, herrschte dort bereits wieder
Menschengewühl und ein Verkehr, der dem Treiben am vorhergehenden
Abend nichts nachgab. Und auch hier, während das erwachte Leben
wuchs und an Fülle immer noch zunahm, setzte ich meine Verfolgung
beharrlich fort. Seiner Gewohnheit nach ging der Unbekannte hin und
her und kam, solange es Tag war, nicht mehr aus dem Getümmel jener
Straße heraus. Doch als sich die Schatten des zweiten Abends nieder-
senkten, fühlte ich mich zu Tode erschöpft. Ich trat dem Wanderer
fest entgegen und blickte ihm unverwandt ins Gesicht. Aber er bemerkte
mich nicht, sondern setzte seine feierliche Wanderung ruhig fort. Ietzt
folgte ich ihm nicht weiter. Und blieb stehen in tiefem Nachdenken.

„Dieser alte Mann", sagte ich endlich zu mir selbst, „ist die
Verkörperung, ist der Geist des Verbrechens. Er kann
nichtalleinsein. EristderMannderMenge. Es wäre
vergebens, ihm noch weiter nachzugehcn, denn ich würde doch nichts von
ihm, nichts von seinen Taten erfahren.".

Das schlechteste Herz der Welt ist ein abschreckenderes Buch, als der
Hortulus Animae; und viclleicht ist es eine der großen Barmherzigkeiten
Gottes, „daß es sich nicht lesen läßt"I?

Rundschau

GegendieSchundliteratur > Lext er hierdurch zum Abdruck
verbreitct der Dürerbund den , durch alle Zeitungen, aber auch für
folgcnden Aufruf ans Volk, dessen j Flugblätter jedem, der der guten

j. Märzhcft M9 27Z

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