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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 8 (2. Januarheft 1909)
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Rundschau
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0140
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lichen Kultur, die Blüte des
Schönen, aber gerade deswegen
überflüssig wie ein König, bei der
höchsten inneren Notwendigkeit ihres
Daseins (was man Beruf nennt)
ohne alle äußere Notwendigkeit, in
Zeiten, deren gesperrte Verhältnisse
alles menschliche Begehren auf die
Bedürfnisse des nächsten mate-
riellen Lebens reduzieren. So droht
über den Olymp der Kunst ein
Proletariat hereinzubrechen, schreck-

licher vielleicht als das in der indu-
striellen Welt, weil in der Kunst
eine weit edlere Bildung der
Menschheit zu verderben ist als in
der Industrie, und weil der Künst-
ler sich nicht im äußersten Fall
wie der Arbeiter helfen kann, son-
dern stumm die Wucht des bitter-
sten Pauperismus tragen, anständig
wie ein König sterben muß, weil er
wie ein König gelebt hat.

Ferdinand Kürnberger (M8)

Unsre Bilder und Noten

einem Bilde wie diesem hicr von Carlos Grethe werden
^M'Hcinige sagen: uns interessiert das Kolorit, andere: uns die Natur-
stimmung. Vci einem Meistcr wie Grethe gehen Mittel und Ausdruck
so vollkommen zusammcn, daß es von der besondern Empfäuglichkeit des
Beschauers für dies odcr das abhängt, was ihm zunächst bewußt wird.
Es ist aber nicht gesagt, daß diescs bcwußt Werdende beim Kunstgenuß
nun auch die Hauptrolle spiele. Lbensowenig wie sicher ist, daß das-
jenige, was einem Maler beim Schaffen bewußt wird, auch der eigentliche
Erreger seines Schasfcns ist. Dieser cigentliche Erreger kann ganz hinten
im llnbewußten sitzen unü nur als seine ausführenücn Organe die Mittel
lenken, die dem Maler bewußt werden und die er deshalb für das Wesent-
liche halten mag. Kunst ist ja wie Natur „alles mit einem Male", nur
zur Klärung unsrer Gedanlen über sie analysieren wir. Und gleichviel,
ob vor unserm Bilde das wundersaine Farbenleben oder all die Gefühls-
verbinduugen von Luft und Meer und Kühle, von Feierabendpracht und
Ruhe nach der Heimkehr zuerst bewußt werden, dem ruhig Genießenden
geht schließlich doch alles ein, sogar das lctzte Unbewußte, und er „hat"
vor diesem Meisterwerke iu dcr Tat „alles mit einem Male" als Ganzes.

Schlechterdings ein Meisterwerk schcint uns auch des Grafen Leopold
von Kalckreuth Bildnis seiner Gattin in der Lür. Ein Mcister-
werk des Intimcn, von dem ich vermuten möchte, daß es cinmal zu den
wenigen „unstcrblichen" Schöpfungen unsrer zeitgenössischen Kunst ge°
zählt werden wird. Nicht, daß cs niciner Meinung nach jemals ein groß
Publikum habeu werde. Es wird ihm vielleicht ähnlich wic Lionardos
Mona Lisa gehen; die wird ja auch nur von wenigen genossen, diese weni-
gen aber genicßen sie mit tiefer Bewunderung, und diese wenigen waren
wohl da zu jcder Zeit. Ilnd doch, der tiefe seclische Ausdruck auf Lionar-
dos wie Kalckreuths Bild scheint viellcicht für den oberflächlich Prüfendcu
„Zufall". „Zufall" heißt in diesem Sinnc ja eigentlich: er ist vielleicht
ohne Absicht ins Bild gekommen. Aber er kam als der endliche natürliche
Ausfluß eincr Stimmung, welche die Sammlung langen Erlebens war.
Das Licht wirkte gar so ruhig und schön, als diese Frau die Atcliertür
zum Hinausgchen öffnete und noch cinmal zurückhörend in ihr stehen-
blieb. Möglich, das gab den Anlaß, alles übrige hob sich aus den Unter-

2. Ianuarheft (IOZ

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