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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

DOI Heft:
Heft 9 (1. Februarheft 1909)
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Avenarius, Ferdinand: Wildenbruch
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0159
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denn nun verwirklichen solle. Aber darin lag ja wieder eine Stärke
überall, wo die Rätsel aus den Dunkeln nicht ins Helle hineinragten.
Er hatte es leichter als andre, nicht „ja . . aber", sondern „ja — also"
zu sagen. Und tat es unbekümmert. Seine Tat war eigentlich nicht
das Dichten, das Gestalten gemäß den Gesetzen der Welt, sondern
das Reden, das Propagieren einer Idee. And zwar nicht einer
neuen, jungen, einer erst werdenden Idee, die sich ihre Anhänger
erst werben muß. Wildenbruch war in gewissem Sinne unter den
Deutschnationalen der erste Volksredner unsrer Zeit. Er war kein
Erweiterer unseres Verhältnisses zur Welt, er zeigte in keine noch
unerschlossenen Tiefen und führte auf keine vereisten Höhen zu nie
gesehenen Fernblicken, aber er war Sprecher seines Volks, soweit es
beim Preußen- und Hohenzollerntum auch seine Ideale sah.

Und war ein durchaus ehrlich begeisterter Sprecher dieses Teiles
seines Volks. Schiefer konnte ihn keiner beurteilen, als wer ihn
für einen Byzantiner hielt. Er, dem sich alles Abwesende idealisierte,
maß auch das lebende Hohenzollerntum an dem aus der Vergangen-
heit gewonnenen Idealen. Er sügte sich Wünschen des Kaisers und
der Kaiserin mit seinem Lehnsmann- und Familiengliedbewußtsein
wohl, schmeichelte ihnen aber nie, und machte aus seinem Groll kein
Hehl. Sein Verhältnis zum Hofe wechselte sozusagen zwischen Span-
nung und Abspannung, herzlich war es kaum je. Denn wenn Wil-
denbruch in irgendeiner öffentlichen Angelegenheit der Kunstpflege
eine Meinung gewonnen hatte, für die ihm das Eintreten nützlich
schien, so sprach er auch, und sprach unbedenklich und ganz ohne
Rücksicht auf Wünsche von oben. Immer im Sinne des Guten, Ge-
sunden, Freiheitlichen, vor allem: immer im Sinne einer Hochschätzung
der geistigen Güter. „Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem" —
man darf ihn nicht nur nach seinen dichterischen Leistungen be-
urteilen, so achtungswert sie oft genug waren. Tüchtige wie Wilden-
bruch mögen einseitig, mögen eng sein, wenn sie nur zugleich so ehr-
lich sind und so regen Verpflichtungsgefühls, für das Erkannte zu
wirken. Dann tragen sie doch zu der großen Arbeit bei, über dem
Zank und Durcheinander der Parteien die Gebildeten als die geistigen
Führer der Nation zu sammeln. Daß solche Männer so selten sind,
zeigt ihren Wert.

Blicken wir noch einmal auf diesen teuren Menschen als eine einheit-
liche Persönlichkeit zurück. Alles „Temperament" und alles „Theater-
talent" hätte Wildenbruch wohl die Phantasie und das tzerz derer
erobern können, die sich „blenden" lassen, auch den Sinn der Iugend
für eine Weile vielleicht — aber festhalten all den offensichtlichen
Schwächen zum Trotz, nein: festhalten hätten sie Wildenbruchs Publi-
kum nicht können. Festgehalten hat uns alle Wildenbruchs Wärme.
Ich meine nicht die Hitze seiner losgelassenen Phantasie, die so oft über-
kochte: ich meine, was bei allen seinen Werken aus dem Dichter-
zum Hörerherzen ging an Frohgefühl, innigem Sich-Hingeben und
an — sagen wir's doch ganz einfach: an Güte. Wildenbruch ist
ein durchweg gütiger, durchaus edler Mensch gewesen. Iknd auch
die dritte Forderung des großen Goetheschen Worts fehlte ihm wahr-
lich nicht: er war auch hilfreich. Nicht nur als Einzelner dem

j, Februarheft 1909
 
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