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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 9 (1. Februarheft 1909)
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Avenarius, Ferdinand: Vom Subalternen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0156
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bürger" sieht ein konservativer Schriftsteller den letzten Schutz gegen
den Amsturz. Man verlangt, daß den kleinen und kleinsten Be-
hörden die Wonne der Reglementiererei und Verbieterei beschnitten
oder entzogen werde. Man erhofft, daß ein Aberweisen womöglich
aller Äbertretungssachen vor den Richter infolge der zu erwartenden
Verzweiflung eine Regulierung erzwingen könne. Wie schwer hier
das Bessern ist, wissen wir alle, wenn wir auf unser Volk in seinen
Massen blicken. Die haben ja oft so wenig Selbstzucht, daß kaum
ein paar tausend Leute beieinander stehen können ohne Gedränge —
wo die Aufsicht fehlt. Daß sie in den Ziergärten Blumen und
Zweige abreißen — wenn kein Amiformierter Wache hält. Daß
nicht zehn miteinander debattieren können, ohne sich über die Munde
zu fahren — wo eine Leitung fehlt. Daß sie sich ihre eignen Heimaten
auch selbst xuinieren — wenn keine Vorschriften das verhindern.
Mit andern Worten: daß sich Erwachsene wie dumme Iungen
benehmen. Wie halbe Kinder, die glauben, das Äberdenstrang-
schlagen an sich sei „die Freiheit". Anser Volk begreift ja nur
ausnahmsweise, daß „meine Freiheit" allein bedeuten kann: Äber-
nahme des ordnenden Prinzips vom Schutzmann in mich selber.
Mit andern Worten: Selbstzucht statt Fuchtel. Zugegeben, das Kom-
mandieren von draußen kann nur in dem Maße zurückweichen, wie
das Sich-selber-regieren-können wächst. Aber eben deshalb muß
man's wachsen lassen, muß es anregen, nicht hemmen. Es wächst
nicht, wenn's auf allen Seiten eingezwängt ist. Und der gute Wille
setzt Einsicht voraus, deshalb liegt der Kern des Problems dort,
wo die Eiusicht liegt. Das Aufkommandieren der Ordnung muß
nach und nach dadurch ersetzt werden, daß ein Verstehen der Ord-
nungsnotwendigkeit von innen heraus den Willen zur Ord-
nung erzeugt. Erst das Verstehen für andre Rechte gibt ja dem
einzelnen die Möglichkeit, seine eigenen Rechte zu verstehen und
frei zu gebrauchen. Wir müssen mehr und mehr vom Komman-
dieren zum Erziehen kommen. Während wir vorläufig das Er°
ziehen der Massen zur Staatsbürgerfähigkeit fast nur den Parteien
überlassen. Vor allem den Sozialdemokraten, — über deren Dlsziplin
wir dann mit Spott oder Arger sprechen.

Linzelratschläge können wir nur geben, wo wir etwas vom Ein-
zelnen verstehen. Sonst gilt hier das satirische: „Da seh Er zu" —
es ist nicht unsre Sache, den Regierenden über unser Gebiet hinaus
Dilettanten-Ratschläge zu geben. Ansre Sache ist, am Bewußtmachen
tiefer Schäden so mitzuhelfen, daß die Befähigten und Berufenen im
Volk besseren Willen zur Mitarbeit finden, wenn sie zu Reformen
schreiten, und selber stärker empfinden, wo Reformen not tun. Was
die Sozialdemokraten für ihre Genossen konnten, Disziplin aus dem
Begreifen ihrer Notweudigkeit für den besonderen Parteizweck zu
schaffen, sollten wir das nicht ohne Rücksicht auf Parteien im ganzen
Volk anstreben können? Ob mit viel oder wenig Aussicht ist ganz
gleich. Wir müssen's versuchen, weil wir es zur Stärkung der
Volkskraft brauchen.

And so wollen wir auch mit flüchtigem Hinweis an all dem vorbei-
gehen, was der verwünschte Kommandiergeist uns Freunden einer

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