Körperkultur
armung entgegenführt und die von
uns geschaffenen, im Schweiße
unsres Angesichts erarbeiteten Mil-
liarden alieniert. O. B.
„Die fließende Linie"
/?>»ie bisher so berühmte „gerade
»-r'Linie" ist überwundcn! Die
„fließende Linie" ist der Äber-
winderl
Wer wäre nicht bis in die letzten
Iahre „ästhetisch erschüttert" ge-
wesen, wenn er eine Dame sah,
die die „gerade Linie" — vom
Busen zur Fußspitze — zeigte?
Dabei war trotz der ungeheuren
ästhetischen Wirkung eine „Ein-
fühlung" immerhin noch möglich.
Man konnte sich ungefähr denken,
wie vorzüglich Atmung und Ver-
dauung sein mochten, wie äußerst
bequem es sich mit der geraden
Linie gehen und sitzen ließ.
Das ist alles überwunden, alles
in den Schatten gestellt von dem
„Geheimnisse der Pariser Damen»
welt, der fließenden Linie". Wer
eine Dame mit der „fließenden
Linie" sieht, wird nicht nur Lsthe-
tisch gerührt, sondern bekommt ein-
fach einen ästhetischen Schlag. Das
Le Plastique-Directoire-Mode-Kor-
sett „verleiht der Figur jene har-
monische, schmale Silhouette, welche
die neueste Pariser Direktoiremode
erfordert, ohne im geringsten die
Bewegungsfreiheit im Gehen oder
Sitzen zu hindern. Prima Batist
und Fischbein: 50, 60 und 75 M."
(„Leipz. N. Nachr." vom (8. Okt.
08). Die „fließende Linie" führt
auch von Brust zu Fußspitze, aber
nicht so steif und unschön, wie
die einst so vergötterte „gerade
Linie", sondern konkav in berücken-
dem Flusse. Ich dachte mir die
Entwickelung der geraden Linie zur
fließenden unwillkürlich fortgesetzt
und sah Sphinxe und andere Vier-
füßler. Von „Einfühlung" kann
bei der „fließenden Linie" natür-
lich nicht mehr die Rede sein,
denn hier kann man sich vor
Begeisterung gar nicht mehr vor-
stellen, w i e tadellos Atmung,
Blutumlauf und Verdauung vor
sich gehen, w i e bequem die
„fließende Linie" beim Sitzen und
Gehen ist. Die Bewegungsfrei-
heit wird „nicht im geringsten ge»
hindert".
Wenn ich Korsettfabrikant wäre,
ich würde die Entwicklung der
geraden Linie zur fließenden und
darüber hinaus beschleunigen. Ich
würde den Damen schon zu Weih-
nachten die „gekrümmte Linie"
oder — da auch Menschen einiger-
maßen das Bedürfnis haben, den
Kopf oben zu behalten — die
„Schlangenlinie" bescheren.M.F.
(72
Kunstwart XXII, 9
armung entgegenführt und die von
uns geschaffenen, im Schweiße
unsres Angesichts erarbeiteten Mil-
liarden alieniert. O. B.
„Die fließende Linie"
/?>»ie bisher so berühmte „gerade
»-r'Linie" ist überwundcn! Die
„fließende Linie" ist der Äber-
winderl
Wer wäre nicht bis in die letzten
Iahre „ästhetisch erschüttert" ge-
wesen, wenn er eine Dame sah,
die die „gerade Linie" — vom
Busen zur Fußspitze — zeigte?
Dabei war trotz der ungeheuren
ästhetischen Wirkung eine „Ein-
fühlung" immerhin noch möglich.
Man konnte sich ungefähr denken,
wie vorzüglich Atmung und Ver-
dauung sein mochten, wie äußerst
bequem es sich mit der geraden
Linie gehen und sitzen ließ.
Das ist alles überwunden, alles
in den Schatten gestellt von dem
„Geheimnisse der Pariser Damen»
welt, der fließenden Linie". Wer
eine Dame mit der „fließenden
Linie" sieht, wird nicht nur Lsthe-
tisch gerührt, sondern bekommt ein-
fach einen ästhetischen Schlag. Das
Le Plastique-Directoire-Mode-Kor-
sett „verleiht der Figur jene har-
monische, schmale Silhouette, welche
die neueste Pariser Direktoiremode
erfordert, ohne im geringsten die
Bewegungsfreiheit im Gehen oder
Sitzen zu hindern. Prima Batist
und Fischbein: 50, 60 und 75 M."
(„Leipz. N. Nachr." vom (8. Okt.
08). Die „fließende Linie" führt
auch von Brust zu Fußspitze, aber
nicht so steif und unschön, wie
die einst so vergötterte „gerade
Linie", sondern konkav in berücken-
dem Flusse. Ich dachte mir die
Entwickelung der geraden Linie zur
fließenden unwillkürlich fortgesetzt
und sah Sphinxe und andere Vier-
füßler. Von „Einfühlung" kann
bei der „fließenden Linie" natür-
lich nicht mehr die Rede sein,
denn hier kann man sich vor
Begeisterung gar nicht mehr vor-
stellen, w i e tadellos Atmung,
Blutumlauf und Verdauung vor
sich gehen, w i e bequem die
„fließende Linie" beim Sitzen und
Gehen ist. Die Bewegungsfrei-
heit wird „nicht im geringsten ge»
hindert".
Wenn ich Korsettfabrikant wäre,
ich würde die Entwicklung der
geraden Linie zur fließenden und
darüber hinaus beschleunigen. Ich
würde den Damen schon zu Weih-
nachten die „gekrümmte Linie"
oder — da auch Menschen einiger-
maßen das Bedürfnis haben, den
Kopf oben zu behalten — die
„Schlangenlinie" bescheren.M.F.
(72
Kunstwart XXII, 9