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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 7 (1. Januarheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0043
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nur in erhöhten Augenblicken
unsres Geisteslebens begegnet. Nun
wurde unsre Hingebung Skepsis.
Früher hatte es „Ligenart" ge-
heisten, dann sagte man „persön--
liche Note" und schlietzlich „Per-
sönlichkeitswert". Aber das schlichte,
unauffällige Wort schien uns an
vielen Stcllen den Sinn völlig zu
erschöpfen, an dcnen das preziöse
mit seiner Wichtigkeit unser Ohr
traf. Und über eine Weile stietz
uns eine Verlogenheit ab, die durch
neue Wortverbindungen und Wort-
gestaltungen unsern Geist zur höch-
sten Anspannung zwang, damit
wir in schimmernden Schläuchen
abgestandenes Wasser fänden. Nnter
der Mimikry eines seltsam blitzen-
den Gefieders satz Minderwertigkeit.

Dicse Täuschung erzeugte unser
Mitztrauen und unsern Ilnwillen
gegen jede schwer begreifliche
Sprache. Wir glauben jetzt: wer
wirklich eine Jnnerlichkeit zu
äutzern habe, könne fie in fchlich-
ten Worten erfchließen. Wir wün-
schen ftatt einer Anspannung
der besondern „sprachschöpfcrischen
Kraft" einfach eine Anspannung
dcr Kraft beim Gedankenbildem
Dann wird eine reinliche Sonde-
rung eintreten zwischen den einen,
deren Talmibesonderheit nur all-
gemein zugängliche Adjcktive an
einen ungewöhnlichen Ort zu fetzen
vermag, und den andern, deren
echte Außerordentlichkeit ungewöhn-
liche Erkenntnisse an allgemein zu-
gängliche Orte stellen kann. Die
guten neuen Ausdrücke werden
trotzdem nicht umsonst ersunden
Hans Wantoch

Eine christolögischeEpopöe

(7>atz Evangelien und Legenden-
^tradition ein schier unerschöpf-
licher Onell von dichterischer An-
regung und Sammelstätten reiz-
vollster „Stoffe" find, ift uns von

jeher geläufig, und der Methoden
sind zahlreiche, sich ihrer zu be-
mächtigen. Ich sehe vor anderen
zwei als künstlerisch wirksam an,
welche ich die intensive und die
idhllische Mcthode nennen möchte.

Zu jencr gehört das starke Kon-
zentriercn seelischer, religiös-cthi-
scher, historisch-geistiger oder rein
gefühlsmäßiger Affekte in eine
knappe Form; als Beispiel sei das
Gethsemane-Gedicht der Droste-
Hülshoff, zum Vergleich aus der
bildenden Kunst Grünewalds Gol-
gatha-Gemälde genannt; natürlich
ist auch in den Evangelien selbst —
wenn das nicht als Kunst Ge-
meinte doch als Kunst beurteilt
werden darf — vieles dieser Gat-
tung enthalten. Der Idhllikcr geht
mit größercr Freiheit und Heiter-
keit ans Werk; er ist eigentlich
immer Optimist; sein Feld ist das
bunte Leben; die zahllosen Szenen
mchr oder minder beglückcnder
1 Gottcsherrlichkeit auf Erden zichcn
ihn vornehmlich an; im Gegensatz
zum intensiven Dichter, der es je
und je mehr mit dem bewegten,
hier mit dem innerlichst bcwegten
Menschentum zu tun hat, zieht ihn
das ruhende, Bildmäßige mehr an,
und dic Innerlichkeit läßt er gern
mehr erraten, er findet wohl auch
zu eiuiger Didaktik und zu andcrm
Nebenwcrk Zeit. Es ist die Stim-
mung von Goethes „Legende", von
zahlreichen Krippenspielen, von
Cranachs „Ruhe auf der Flucht",
und auch die des größeren Teils
der Evangelien, die hier gemeint ist.

Im Gegensatz zu beiden bcdiente
sich Friedrich Wilhelm Hclle
einer Methode, die man mit eini-
gcm Recht die extensivc nenncn
kann. Er war der Verfasser cines
epischen Gedichtes, welches in drei
starken Bänden über fünfzigtausend
Zeilen umspannt. Den Inhalt
dieses „Iesus Messias" bildet nicht

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