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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 11 (1. Märzheft 1910)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0374
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Lose Blätter

Aus Charles de Costers „Tyll Lllenspiegel und
Lamm Goedzak"

^Habeu wir uns cin letztes Nlal von einem modernen Nicderländer, von
Maarten Maartens, in die niodernen Niederlande führcn lassen, so
folgen wir heute einem toten in das Flandern, das seine Freiheit von
den Henkern dcr spanischen Inquisition erficht. Da der Naine unseres
heutigen Führcrs, Charles de Coster, sowohl in dcr neuesten Auflage des
Meherschen wie dcr des Brockhausschen Konversationslexikon noch fehlt,
so werden einige Daten über scin Leben am Platze sein. Costcr war
geboren am 20. August s827 in München. Er siedclte dann mit sciner
Familie nach Brüssel über, studierte, und lebtc nun, schlecht genug, von
seiner Feder. s858 hatte cr einen bescheidcnen Erfolg mit seinen „Legendes
Flamandcs" und zehn Iahre später mit den „Lontes Brabanqonnes".
Der Alenspiegel ist im Iahre M7 erschiencn. Costcr hattc, um sich ganz
den Vorarbeiten zn diesem, seinem Lcbensbnche widmen zu,können, einc
Stellung an den Staatsarchiven aufgegeben. Da er sich derart seiner
Einnahmen begeben hatte, und da ein materieller Erfolg des „Ulcnspiegels"
ausblieb, so geriet Coster in Schuldcn und starb, von seincn Gläubigern
gehetzt, am 7. Mai s879. In dicsem armen Leben abcr wuchs cine Perle,
die wie man ja sagt, von Tränen lebt und nur durch Tränen schön
wird: eben der Ulcnspiegel.

Ein französischcr Novellist hat einer Sammlung gedrängter Skizzcn
cine eigeutümliche Eintcilung gcgebcn; er vereint eine charaktergleiche
Menge von Skizzen zu eincr Gruppe und überschreibt solche Gruppcn:
spanische Schule, deutsche Schule usw. In dieser Art der Charaktcrisic-
rung wärc Costers Buch zu bezeichnen als: niederländische Schule, Glanz-
zcit, jedoch zcigen die Bildcr nicht eine einheitliche Manier, sondcrn
erinnern an die Art gar vicler Mcistcr. Hier ist Rubeus, „der Blut
unter scine Farbcn mengte"; hier ist Rembrandts Gcisterdunkcl; dieser
freundlichc Hausdurchblick, dieses Pferd, das sich vom Himmel abhebt,
gchören Pietcr dc Hooch und Wouwerman; auch Teniers ist ver-
tretcn, dcr dcn Blick in dic Tiefendimension seines Bildcs durch kleine
Ananständigkeiten zu ziehen liebt; dicses friedvolle Städtcbild hat man
bei dem unvergänglichcn Vermecr van Delft schon einmal geschen, und
dicse ungehcucrlichc Fresserei bci Iordaens. Wie man eine Galerie
ansieht, so wolle man das Buch lesen: hier einige zwanzig Sciten und
da einige zwanzig Seiten, aber nie zu viel auf einmal.

Da dcr Gegcnstaiü) so ganz und gar deutsch ist, so gibt die Abersctzung
aus dcm Französischen ins Deutsche dem Ulenspiegel scin natürlich Ge-
wand zurück, und das ist Verdienstlich. Wir cmpfehlen von den beiden —
es sind gleich zwei auf einmal gekommcn — die bei Diederichs in Iena
crschienenc, dcr wir auch unsre Probc entnehmen.

Wenn man jetzt lobt, lobt man immer im Superlativissimus; so hat
man auch den Ulenspiegel „die flandrische Bibcl" genanut. Das ist ge-
schmacklos und erdrückt den Ulenspicgel. Mutz denn schon verglichen
werden, dann verglcichc man diesen Sang von Not und Sieg der Flan-

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