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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,2.1910

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Heft 11 (1. Märzheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9023#0400
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Rundschau

Kometenfurcht

war ehedem eine allgemein bekannte
Sache: sobald ein Schweifstern am
Himmel auftauchte, fühlte man das
Vertrauen in des Erdbodens Zuver-
lässigkeit erschüttert und zitterte.
Ehedem, vor langen Fahren, in den
bewußten „finstern" Zeiten, ver-
steht sich, — jetzt weiß man ja, daß
ein Zusammentreffen der Erde selbst
mit dem Kern solch eines Welten-
wanderers vielleicht für ihn ge-
fährlich werden kann, nicht aber
für uns. Nicht einmal von der
„Blausäure" haben wir etwas zu
fürchten. Wenn wir im Mai durch
den Schweif des Hallehschen Ko-
meten rollen, werden wir gar nichts
davon merken, oder aber: es wird
ein Schauspiel für unsere Augen
werden. Das versichern uns die Zei-
tungen, die ja alles wissen, und so
weiß man's auch im Volk. Weiß
man's wirklich? Was man weiß,
dessen ist man doch sicher. Es gibt
aber Beobachter, die behaupten, dies
Wissen fühle sich im Volk durchaus
nicht vor allen Kometenbomben fest:
eine geheime Furcht schleiche tat-
sächlich wieder ziemlich bänglich
durch abertausend Gemüter. Wer
bedenkt, an was alles man heut-
zutage glaubt, von den Wahrsage-
rinnen aus Kaffeesatz bis zu den
neuen „Astrologen", der kann es
trotz aller Helle in der Sffentlich-
keit nur für wahrscheinlich haltcn,
daß diese Zeitgeistdeuter in den
Dämmerungen unü Dunkeln richtig
sehen. Es wcrden tausend Dinge
geglaubt, die wirklich nicht wahr-
scheinlicher aussehen, als ein gefähr-
liches Zusammentreffen mit dem i
erwartcten Kometen.

Nehmen wir also an: alle Astro-
nomen verstünden von ihrer Sache,
ehrlich zu sagen, einen Quark, unü

es sei höchst wahrscheinlich, daß
der Hallehsche Komet die Erde
zerschmettere, schmelze, zerstäube,
oder wenigstens vergifte.

Dann geschieht jedem von uns,
was einem jeden von uns ganz
ohne Zweifel auch sonst geschieht:
er stirbt. Für den Christen kann es
kein Unheil sein, wenn sern Gott ihn
zu sich nimmt, für den Ungläubigen
keins, wenn sein Dasein aufgehoben
wird, denn er weiß ja dann nichts
davon. Aber wir wollen in diesem
Zusammenhang nicht von der Tor-
heit der menschlichen Lodesfurcht
überhaupt sprechen. Christen oder
Heiden, wir sind eben Menschen.
Und was wir denken oder glauben
mögen, der Trieb zum Leben ru°
mort je mehr, je sensibler unsre
Nerven werden. Der Wilde weiß
„anständiger" zu sterben, als der
Durchschnittseuropäer von der groß-
artigen Zivilisation. Aber so oder
so, um dieses Sterben kommen
wir ja nicht herum. Was ist be-
sondres dabei, wenn wir wissen:
im Mai Glv geht es durch einen
Kometen zu Lnde?

Zugegeben: etwas, wie wir nun
einmal sind, sehr Unangenehmes:
wir wissen dann eben unsern
Todestag vorher. Aber auch etwas
ohne Beispiel Großes. Keine
Sorgen um hinterlassene Lieben
brauchen uns mehr zu quälen, keine
Selbstvorwürfe um nicht erfüllte
Pflicht, keine Schmerzen mehr um
unser Volk. Das Schicksal, das
viel tausendfach gewaltigere Sterne
aufflammen und erlöschen läßt,
Sternsonnen, um deren Mittelpunkt
vielleicht uusre Erde in Sonnenab-
stanü zu kreisen Raum hätte, immer
noch umschlossen von ihrer Kugel
— das Schicksal mischte dann auch
unser Kügelchen Lrde zu einem

l- Märzheft lM Z2st

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